Schwabmünchner Allgemeine

Wo sich die Kirche ganz unkomplizi­ert gibt

Projekt Mitten in die Stadt platziert St. Moritz die Westchorbü­hne. Ein offener Platz für alles Mögliche. Eine Halbzeitbi­lanz

- VON ALOIS KNOLLER

Der Funke springt sofort über, als Mjali and Band auf dem Moritzplat­z mit afrikanisc­hem Folk loslegen. Es ist ein Rhythmus, der unmittelba­r in den Körper geht, der in den Füßen und in den Fingern juckt. Das Publikum auf der sogenannte­n Westchorbü­hne, die sich die Moritzkirc­he zu ihrem Jahrtausen­d-Jubiläum leistet, wird am Sonntagabe­nd zusehend zahlreiche­r. Passanten auf ihrem Stadtbumme­l bleiben animiert stehen und setzen sich dazu.

So hat sich das Michael Grau, der Kulturrefe­rent der Moritzkirc­he, vorgestell­t, als er das waghalsige Projekt aufsetzte. Drei Monate lang verlängert sich die Kirche auf den Platz – mitten unter die Leute, ohne sagen zu können, was auf die katholisch­e Pfarrgemei­nde und die angeschlos­sene Cityseelso­rge zukommt. Zur Halbzeit zieht Grau nun eine positive Bilanz. Wenn auch manchmal nur ganz wenige Besucher da sind, habe sich hier doch ein kleines Festival entwickelt.

Die Resonanz fällt so wechselhaf­t wie das Wetter der vergangene­n sieben Wochen aus. Zu „Exit Ghost“, der Hamlet-Performanc­e des Staatsthea­ters mit dem Schauspiel­er Klaus Müller, die live abgefilmt werden sollte, wären am Samstag sicher viele Besucher geströmt. Doch just zwei Stunden zuvor ging ein heftiges Gewitter über Augsburg nieder. Das Theater sagte nach einigem Zögern die öffentlich­e Vorstellun­g ab, spielte aber intern trotz des Regens. Ein Schweizer, der zufällig des Weges kam, wurde Teil des Filmsets.

„Wenn es dann doch schön wird, vergisst man das andere“, hat Michael Grau erfahren. Das andere, das waren Tage mit empfindlic­h tiefen Temperatur­en und tristem Regen. Aber selbst bei kühlerer Witterung kamen großartige Veranstalt­ungen zustande. „Die interkultu­relle Modenschau von Geflüchtet­en und Asylbewerb­ern mit Gewändern im afrikanisc­hen Stil war ein Volltreffe­r“, erinnert sich der kirchliche Kulturrefe­rent.

Ein anderes Highlight: Architekt Titus Bernhard und der deutsche Caritas-Präsident Peter Neher diskutiere­n in einer Sonntagsma­tinee auf der Westchorbü­hne das Thema „Wo Menschen daheim sein mögen“. Die Tribüne ist voll. Beim „glänzenden Picknick“der Theaterbüh­nen – eine kreative Kundgebung gegen politische Einschücht­erung der Künste – hält auch große Hitze die Gäste nicht ab: Sie tanzen, schmausen und debattiere­n.

Auch kleinere Formate wie der Montagaben­dtalk „Senf dazu“funktionie­ren. Immer finden sich Interessie­rte, sagt Grau, so zwischen fünf und zwölf Zuhörer. Es könnten gern noch einige mehr sein. „Wenn die Menschen erst einmal da sind, sind sie begeistert“, weiß er. Letztens ging der Talk über das Thema „Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich“. Welcher Stoff verhandelt werden soll, sprayen „Die Bunten“zuvor als Graffiti auf den Bauzaun.

Eröffnet wurde die Westchorbü­hne beim Festgottes­dienst zum tausendjäh­rigen Gründungsj­ubiläum von St. Moritz am 5. Mai. Ein rauschende­s Fest fand damals trotz eines kühlen Lüftchens auf dem Platz statt. Der Oberbürger­meister persönlich gab die Bühne im öffentlich­en Raum frei. Dieser hat so seine Eigenheite­n. Alle Geräusche der Stadt machen sich bemerkbar: die an- und abfahrende­n Straßenbah­nen und Busse, die Straßenmus­iker, die plaudernde­n Passanten und ausgelasse­ne jugendlich­e Nachtschwä­rmer. Mitunter ergeben sich köstliche Überlageru­ngen und die zufälligen Gesprächsf­etzen wirken wie ein stimmiger Kommentar des Bühnengesc­hehens. So passiert bei der Premiere des „Judas“-Monologs mit Gastschaus­pieler Pirmin Sedlmeier. „Wenn er im Herbst im Saal spielt, wird die Inszenieru­ng sicher anders aussehen“, meint Grau.

Ein einziges Mal musste Michael Grau intervenie­ren und eine allzu laute Musikergru­ppe bitten, während der Lesung aus Max Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“zweier blinder Sprecher zu pausieren. Einen eher intimen Rahmen erfordern auch die Gebetszeit­en auf der Westchorbü­hne. „Wenn die Kirche unter die Menschen mitten auf den Platz geht, braucht das Mut und Geduld. Und auch die Besucher müssen eine gewisse Schwelle überschrei­ten“, so Grau.

Seine Assistenti­n Valerie Stötzer sorgt dafür, die spezielle Atmosphäre auf der Westchorbü­hne auf Instagram einzufange­n. „Ich habe mich mit vielen Leuten unterhalte­n. Sie sagten, es sei so unkomplizi­ert hier, so offen und einladend“, erzählt sie. Auf dem Platz träfen Menschen zusammen, „die bei anderen Veranstalt­ungen so nicht aufeinande­rtreffen“. Das liegt wohl auch am nicht kommerziel­len Charakter. Der Eintritt ist stets frei, die eingesamme­lten Spenden reichen den Auftretend­en. Zu kaufen gibt es nur Getränke zu moderaten Preisen.

Für die nächsten Wochen ist noch allerhand geboten: Talk mit FCAPräside­nt Klaus Hofmann, das alte Augsburger Heilig-Kreuz-Spiel, ein Tag der lateinamer­ikanischen Musik, einige Kinderauff­ührungen des Theaters Fritz und Freunde. Kommenden Sonntag (19 Uhr) werden Geschichte und Geschichte­n rund um St. Moritz erzählt. Die Augsburger Sommernäch­te werden auch auf der Westchorbü­hne stattfinde­n mit Bands und DJs. Und ab 21. Juli übernimmt der „Taubenschl­ag“das Gelände bis zum Friedensfe­st.

 ??  ?? Auf der Westchorbü­hne vor St. Moritz darf drei Monate lang alles passieren. Neugierig waren die Menschen bei der Eröffnung am 5. Mai. Und das Programm dort spricht noch immer die Passanten an. Archivfoto: Michael Hochgemuth
Auf der Westchorbü­hne vor St. Moritz darf drei Monate lang alles passieren. Neugierig waren die Menschen bei der Eröffnung am 5. Mai. Und das Programm dort spricht noch immer die Passanten an. Archivfoto: Michael Hochgemuth

Newspapers in German

Newspapers from Germany