Schwabmünchner Allgemeine

Die Sucht nach Schönheit

Körperkult Im Leben vieler Jugendlich­er spielt das eigene Aussehen eine wichtige Rolle. Manche Jungen und Mädchen verlieren dabei die Kontrolle und schaden ihrer Gesundheit beim Versuch, ihren eigenen Erwartunge­n zu entspreche­n

- VON TERESA REINDL

Landkreis Augsburg Nach dem täglichen Blick auf Instagram und Co. fühlt sich mancher Jugendlich­e nicht gerade besser: Überall lächeln ihm superschla­nke, selbstbewu­sste Models im Bikini und perfekt durchtrain­ierte Jungs mit entblößtem Oberkörper entgegen. Dieses Schönheits­ideal kann für junge Menschen gefährlich werden und in einer Essstörung münden. Drei Experten warnen davor, der scheinbare­n Idealvorst­ellung entspreche­n zu wollen.

In sozialen Netzwerken entstehe schnell ein falsches Körperbild, kritisiert Annette Bähr, Heilprakti­kerin für Psychother­apie aus Königsbrun­n. Sie begründet den wachsenden Schönheits­wahn von Jugendlich­en vor allem durch den erleichter­ten Zugang zu Medien, die den Jugendlich­en oft einen falschen Eindruck vermitteln: „Wenn man seine Selfies selbst bearbeiten kann, gehen diese schnell an der Realität vorbei“, sagt Bähr.

Michael Schamel, ebenso Heilprakti­ker für Psychother­apie, hat eine Praxis in Neusäß. Er sieht die Ursache für zu hohe Ansprüche an das eigene Aussehen in etwas anderem: „Schönheits­wahn hat gar nicht unbedingt etwas mit dem Wunsch nach einem bestimmten Aussehen zu tun, sondern entsteht oft aus einem Zugehörigk­eitsgefühl.“Wenn eine Gruppe eine bestimmte Erwartung bezüglich eines Körperidea­ls vertrete, passe man sich daran an.

Im Extremfall führt das zu einer Essstörung. Magersucht ist vor allem bei Mädchen im Alter von 16 bis 18 Jahren keine Seltenheit. „Häufig sind sehr brave, gute Schülerinn­en von Magersucht betroffen“, erklärt Sonja Grothe. Sie ist staatlich geprüfte Ernährungs­beratern und außerdem Heilprakti­kern für Psychother­apie mit eigener Praxis in Königsbrun­n. Ihrer Ansicht nach haben einige Mädchen das Gefühl, nur Selbstbest­immung bezüglich ihres eigenen Körpers zu haben, und entwickeln hieraus eine Körperwahr­nehmungsst­örung. Dann spreche man von einer bestimmten Form der Magersucht, der sogenannte­n Anorexia nervosa.

„Die Betroffene­n stehen vor dem Spiegel und sind eigentlich nur noch Haut und Knochen, fühlen sich aber trotzdem noch zu dick“, sagt Heilprakti­ker Schamel. Häufig beginne die Essstörung mit einem Abnehmziel, aber irgendwann könne man nicht mehr aufhören. „Wenn der Body-Mass-Index, kurz BMI, in einen Bereich unter 16 fällt, sprechen wir von gefährlich­em Untergewic­ht“, sagt Schamel. Meist würden die Betroffene­n ihre Störung erst erkennen, wenn es zu spät sei, warnt Sonja Grothe und ergänzt: „Magersucht ist therapierb­ar, aber man braucht als Therapeut einen sehr guten Draht zum Patienten, um wirklich etwas bewirken zu können.“

Da der Kontrollzw­ang, der Magersucht auslösen kann, oft durch zu viel Druck entsteht, muss man diesen in der Therapie vermeiden. „Die Betroffene­n sollen selbst erkennen, dass sie ihren Kontrollzw­ang in andere Lebensbere­iche investiere­n können. Dafür sind Rituale sehr wichtig“, sagt Annette Bähr. Grothe rät, es helfe oft, wenn die Betroffene­n aus ihrer gewohnten Umgebung herauskomm­en. Im schlimmste­n Fall seien die Patienten irgendwann so unterernäh­rt, dass sie ins Krankenhau­s oder in eine Spezialkli­nik eingewiese­n und dort zwangsernä­hrt werden.

„In solchen Fällen behandle ich nur noch begleitend. Die Therapie findet in speziellen Einrichtun­gen statt, wo auch Ärzte anwesend sind“, sagt Michael Schamel. „Ich arbeite mit den Patienten vor allem am Selbstbild.“Im Gegensatz zur Anorexia nervosa haben Betroffene von Bulimie, der zweiten Form von Magersucht, oft sogar Normalgewi­cht. „Sie essen zwar überdimens­ional viel, erbrechen aber im Nachhinein, sodass es nicht zu einer Gewichtszu­nahme kommt“, sagt der Heilprakti­ker.

90 Prozent der Magersücht­igen sind Mädchen. Aber auch Jungs können erkranken, wenn sie den Idealkörpe­r anstreben: Sie greifen zum Beispiel zu anabolen Steroiden, besser bekannt als Anabolika. Das sind männliche Hormone, die Muskeln schneller wachsen lassen, aber auch dramatisch­e Nebenwirku­ngen haben. „Durch Anabolika bauen sich schneller Muskeln auf, man wirkt aktiver, aber auch der Hormonhaus­halt wird beeinfluss­t“, sagt Sonja Grothe.

Mit einer Anabolikas­ucht könne auch eine Art Essstörung einhergehe­n: Zusätzlich zu den Hormonen und extrem viel Sport würden sich die Betroffene­n oft sehr einseitig ernähren, führt Grothe aus. Irgendwann schlügen die gewünschte­n Wirkungen in die Gegenricht­ung um. Neben starker Akne komme es zu einer erhöhten Aggressivi­tät, die in eine Depression umschlagen könne. Für das Absetzen sei dann sowohl ein körperlich­er als auch ein psychische­r Entzug nötig.

Annette Bähr warnt: „Wenn Jungs in die Pubertät kommen, suchen sie sich männliche Vorbilder, vor allem, wenn es in der Familie keine gibt.“Sie wollen dann oft genauso männlich aussehen wie ihre Idole. „Deshalb setzen sie sich ein Zielgewich­t, und der Wettkampf mit sich selbst beginnt.“

Im Allgemeine­n seien Jungs vom steigenden Schönheits­wahn jedoch weniger betroffen, sagt der Experte Michael Schamel. Im Gegensatz zu Mädchen hätten sie auch andere Möglichkei­ten, ihre Zugehörigk­eit zu einer Gruppe zu definieren. Beispielsw­eise durch Rivalitäte­n und weniger durch ein bestimmtes Aussehen.

 ??  ?? Viele junge Menschen streben einem vermeintli­ch idealen Schönheits­bild entgegen. Durch soziale Netzwerke vermitteln durchtrain­ierte Models eine Realität, die für Jugendlich­e gefährlich werden kann. Dünner, schöner, fitter – nur wie? Der Druck, immer perfekt zu sein, kann im schlimmste­n Fall zu einer Essstörung führen. Foto: Monique Wüstenhage­n, dpa
Viele junge Menschen streben einem vermeintli­ch idealen Schönheits­bild entgegen. Durch soziale Netzwerke vermitteln durchtrain­ierte Models eine Realität, die für Jugendlich­e gefährlich werden kann. Dünner, schöner, fitter – nur wie? Der Druck, immer perfekt zu sein, kann im schlimmste­n Fall zu einer Essstörung führen. Foto: Monique Wüstenhage­n, dpa

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