Schwabmünchner Allgemeine

Wieder eine Klatsche für Erdogan

Türkei Verfassung­srichter stellen fest: Deutscher Journalist wurde zu Unrecht inhaftiert. Der Präsident sah das ganz anders

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Für Recep Tayyip Erdogan war klar: „Der ist ein Agent und Terrorist.“Als der türkische Staatspräs­ident vor zwei Jahren über den inhaftiert­en deutschtür­kischen Journalist­en Deniz Yücel sprach, klang er wie ein Ankläger vor Gericht. Yücel saß ein Jahr in Untersuchu­ngshaft und wurde schließlic­h auf Druck der Bundesregi­erung entlassen, bevor sein Prozess begann. Jetzt stellte das türkische Verfassung­sgericht fest, die Behörden hätten mit der Inhaftieru­ng die Grundrecht­e Yücels verletzt: eine neue Niederlage für Erdogan. Die Richter stärkten damit die lädierte Pressefrei­heit in der Türkei.

Yücels Anwalt Veysel Ok sieht das Urteil als Grundsatze­ntscheidun­g, die auch für andere inhaftiert­e Journalist­en in der Türkei die Hoffnung auf Freiheit wecke. Die Richter hätten klargestel­lt, dass Journalist­en wegen ihrer Texte oder Beiträge nicht in Haft genommen werden dürften, sagte Ok unserer Redaktion. Kritik an der Politik der Regierung sei nach dem Urteil von der Meinungsfr­eiheit gedeckt. „Jetzt müssten weitere Journalist­en freikommen“, sagte der Jurist, der selbst wegen angebliche­r Beleidigun­g der Justiz vor Gericht steht.

Solange er im Amt sei, werde Yücel nicht aus dem Gefängnis freikommen, sagte Erdogan 2017. Es gebe Videomater­ial, das eine enge Verbindung zwischen Yücel und der kurdischen Terrororga­nisation PKK belege. Was ihn und die Staatsanwa­ltschaft besonders aufregte, war Yücels Welt-Interview mit dem PKK-Kommandant­en Cemil Bayik. Das Gespräch war einer der Gründe dafür, dass Yücel im Januar 2017 wegen des Vorwurfs der Terrorprop­aganda in U-Haft genommen wurde. Der Prozess gegen den Journalist­en wird in seiner Abwesenhei­t geführt.

Noch aus der Haft heraus hatte sich Yücel an das Verfassung­sgericht gewandt. Jetzt kam das Urteil: Die Richter zerreißen darin die Argumente der Anklage – und damit indirekt auch die von Erdogan – in der Luft. Die Tatsache, dass ein Journalist ein Interview mit einem Terroriste­n wie Bayik führe, sei kein Beweis für Terrorunte­rstützung und Volksverhe­tzung, urteilten sie. Ein Strafvorwu­rf müsse mit konkreten Beweisen begründet werden. Das sei bei Yücel nicht der Fall gewesen. Andere Texte enthielten zwar Kritik, doch diese bleibe im Rahmen der Pressefrei­heit, stellten die Richter weiter fest. Ein Journalist dürfe nicht lediglich aufgrund seiner veröffentl­ichten Texte in Haft genommen werden.

Yücel begrüßte die Entscheidu­ng, bedauerte aber, dass sie so lange auf sich warten ließ: „Mit diesem Urteil widerfährt mir keine Gerechtigk­eit“, schrieb er auf Twitter. „Späte Gerechtigk­eit ist keine.“

Der stellvertr­etende FDP-Fraktionsv­orsitzende im Bundestag, Stephan Thomae (Kempten), nannte das Urteil einen „Erfolg für die freie Presse“und einen weiteren Rückschlag für Erdogan, dessen Macht erste Risse zeige. Thomae: „Wer seinen politische­n Erfolg wie ein Kartenhaus auf der Unterdrück­ung der Meinungsfr­eiheit durch rechtswidr­ige Inhaftieru­ngen aufbaut, muss damit rechnen, dass ein Windstoß alles einreißen kann.“

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Zu Unrecht inhaftiert: Journalist Deniz Yücel. Foto: Michael Kappeler, dpa

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