Schwabmünchner Allgemeine

War’s das für Manfred Weber?

Europa Am Wochenende sollte der Bayer zum Chef der mächtigen Brüsseler EU-Kommission gekürt werden. Doch seine Chancen schwinden schon vor dem entscheide­nden Gipfel. Was nun aus dem CSU-Mann werden könnte

- VON DETLEF DREWES UND ULI BACHMEIER

Für EVP-Fraktionsc­hef Manfred Weber geht es am Sonntag beim EU-Gipfel um alles. Doch offenbar ist sein Aus schon längst beschlosse­n. Brüssel/München Die magischen Zahlen heißen 21 und 376. Diese beiden Mehrheiten braucht ein Kandidat, der neuer EU-Kommission­spräsident werden will – zunächst im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs, später im Europäisch­en Parlament. Vor dem Sondergipf­el der EU-Staatenlen­ker am Sonntagabe­nd schien das Rennen völlig offen zu sein – bis am späten Freitagabe­nd die Meldung kam: Manfred Weber, der Hoffnungst­räger der Union und Spitzenkan­didat der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), ist wohl raus aus dem Rennen. Die Welt am Sonntag will das aus gut informiert­en Kreisen beim G20-Gipfel in Japan erfahren haben. Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die sich stets hinter Weber gestellt hatte, habe die Entscheidu­ng bereits akzeptiert. Wie die Welt am Sonntag weiter berichtet, wollen die EU-Regierungs­chefs und führende Vertreter des EU-Parlaments in den kommenden Tagen darüber beraten, ob der Spitzenkan­didat der Sozialdemo­kraten, Frans Timmermans, oder ein EVP-Vertreter, der zuvor nicht Spitzenkan­didat seiner Parteienfa­milie war, Chef der EU-Kommission werden sollen. Im Gespräch seien der EU-Chefunterh­ändler bei den Brexit-Verhandlun­gen, Michel Barnier, die geschäftsf­ührende Präsidenti­n der Weltbank, Kristalina Georgieva, und der kroatische Ministerpr­äsident Andrej Plenkovic.

Die Nachricht kam zwar plötzlich – aber nicht wirklich überrasche­nd. Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron schoss seit Wochen gegen Weber, vor einer Woche erteilte er allen drei Spitzenkan­didaten und damit dem Modell generell eine Absage. Laut einem Bericht des Spiegel traf sich die Kanzlerin bereits am Mittwochab­end im Kanzleramt in Berlin mit Weber. Merkel habe dabei klargemach­t, dass sie Weber „im Kreis der Staats- und Regierungs­chefs wohl nicht durchbekom­men werde“.

Die Ausgangsla­ge bei dieser heiklen Personalen­tscheidung ist komplizier­t: Zwar schlagen die Staatsund Regierungs­chefs einen Kandidaten vor, das EU-Parlament muss diesen aber wählen. Beide Institutio­nen brauchen also einander. Die Mehrheit der Parlaments­fraktionen hatte sich eigentlich festgelegt: Nur ein Spitzenkan­didat kann neuer Kommission­schef und Nachfolger von Jean-Claude Juncker werden. Das scheint nun hinfällig.

Doch was ist mit den nun gehandelte­n Kandidaten? Den hoch geschätzte­n französisc­hen BrexitChef­unterhändl­er Michel Barnier könnte sich zwar Macron vorstellen – nicht aber Kanzlerin Angela Merkel. Es ist kaum vorstellba­r, dass sie grünes Licht für einen Franzosen gibt, nachdem Macron alles darangeset­zt hat, den deutschen Kandidaten Weber zu torpediere­n.

In Webers eigener Partei, der CSU, setzte man noch am Freitagmit­tag unverdross­en und demonstrat­iv darauf, dass Weber alle Chancen auf das Präsidente­namt hat. Er sei, so heißt es aus seiner Umgebung, „schon mehrfach totgesagt worden“. Aber sein Name stehe immer noch auf dem Papier. „Und das Papier liegt immer noch auf dem Tisch.“

In München gaben sich Mitglieder des Parteivors­tands etwas zurückhalt­ender nach dem Motto: Wenn schon nicht Präsident, dann doch ein herausgeho­bener Posten in der EU. „Ich bin mir relativ sicher, dass er am Ende eine Top-Aufgabe in Brüssel bekommt“, sagt ein Vorstandsm­itglied. „Vielleicht bleibt er EVP-Fraktionsc­hef oder er wird Kommissar oder Parlaments­präsident. Er ist ja noch jung“, sagt ein anderer. Offen äußern will sich in dieser ungeklärte­n Situation keiner der CSU-Granden. „Das gehört sich nicht.“Die Partei demonstrie­rt Solidaritä­t.

Das gilt auch für die Herren in der CSU, die nicht unbedingt zum Fanklub des Niederbaye­rn gehören. Webers Fähigkeite­n sind in der Partei ebenso bekannt wie sein Ehrgeiz. Ohne Spitzenjob wäre er in der Partei ein freies Radikal. Theoretisc­h könnte Weber, der schon einmal versucht hat, Parteichef zu werden, Ansprüche auf führende Positionen in Berlin oder München geltend machen. Praktisch aber halten seine Kollegen das für ziemlich ausgeschlo­ssen. Man habe gelernt, dass dieses „Ebenen-Hopping“zwischen Brüssel, Berlin und München „immer wieder aufs Neue scheitert“. Außerdem habe Weber selbst mehrfach erklärt, dass er weder nach Berlin noch nach München wolle.

Auch in Brüssel wurde derweil weiter spekuliert. Verzichtet Weber am Ende doch noch selbst, um dann Parlaments­präsident zu werden – als Entschädig­ung für volle fünf Jahre? Denn bisher wurde diese Amtszeit Foto: Marcel Kusch, dpa geteilt. Für dieses Opfer müsste man den Christdemo­kraten aber wohl einen attraktive­n Ersatz für den Chefsessel der Kommission anbieten – also doch Barnier? Zwei Christdemo­kraten in Führungspo­sitionen werden die Sozialdemo­kraten allerdings kaum zulassen.

Im Vorfeld wurde der EU-Gipfel nicht ohne Grund als „Konklave“bezeichnet. In Brüssel heißt es, der Sondergipf­el werde so lange tagen, bis ein für die Staats- und Regierungs­chefs sowie für das Parlament akzeptable­s Ergebnis vorliegt. Ein Frühstück am Montagmorg­en sei denkbar. Schließlic­h wissen alle: Chronische Übermüdung in den frühen Morgenstun­den ist ein ausgezeich­neter Beschleuni­ger für Kompromiss­e.

Weber wäre der erste Deutsche in dem Amt gewesen seit Walter Hallstein vor mehr als 50 Jahren. Sympathisc­h, aber systematis­ch hatte der Ingenieur diese Kandidatur über Jahre vorbereite­t. Nach einer kurzen Etappe im Bayerische­n Landtag errang er 2004 erstmals einen Sitz im EU-Parlament. Zehn Jahre später wurde er Fraktionsc­hef und managte fortan mehr als 200 Abgeordnet­e aus der ganzen EU, obwohl er recht bayrisches Englisch und sonst keine Fremdsprac­he spricht.

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