Schwabmünchner Allgemeine

Betrogen um eine Batteriefa­brik?

Investitio­n Der Bund investiert viel Geld in ein Forschungs­werk. Ein möglicher Standort war Augsburg, die besten Chancen hatte Ulm. Nun geht der Zuschlag überrasche­nd nach NRW – in die Heimat der zuständige­n Ministerin

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R, SARAH SCHIERACK UND MICHAEL HÖRMANN

Ulm/Augsburg Normalerwe­ise bittet Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch die Presse nur in sein Vorzimmer, wenn er gute Nachrichte­n zu verkünden hat. Nicht so an diesem Freitagmit­tag: „Wir sind irritiert“, sagt der CDU-Mann. Denn die geplante Forschungs­fabrik für Batterieze­llen kommt überrasche­nd nach Münster. Und nicht nach Ulm. Am Donnerstag noch hatte eine Expertenko­mmission Ulm als geeignetst­e Stadt für die 500-MillionenE­uro-Spritze bewertet, mit der die Bundesregi­erung in der Batteriete­chnologie im internatio­nalen Wettbewerb aufholen will.

Das Geld kommt aus dem Haus von Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU). Die Fabrik soll im Jahr 2022 in Betrieb gehen. In den vergangene­n Monaten hatten sich mehrere Städte um den Forschungs­standort beworben, unter anderem auch Augsburg. Fachleute empfahlen Ulm.

„Münster war nur Zweiter“, sagt Czisch, der die Rangliste kenne. Er habe erwartet, dass fachliche Argumente am stärksten zählen. Deswegen, betonte er, würden ja Expertengr­emien überhaupt ins Leben gerufen.

Dass Münster nun den Zuschlag bekommen habe, könne nur aus „strukturpo­litischen Erwägungen“erfolgt sein. Anja Karliczek kommt aus Ibbenbüren in der Nähe von Münster. „Die Ministerin hätte sich sicherlich in ihrer Heimat schwergeta­n, wenn Münster leer ausgegange­n wäre“, sagte Czisch. Karliczek selbst hatte zuvor in Berlin eingeräumt, dass die Wahl des Hauptstand­ortes für sie eine sensible Entscheidu­ng gewesen sei, aus der sie sich herausgeha­lten habe.

OB Czisch sorgt sich nun, dass Deutschlan­d den Anschluss bei einer Zukunftste­chnologie verliert. „Man sollte die Starken stärken, wenn man an die Weltspitze will.“Strukturpo­litik helfe da nicht weiter. „Entschiede­n“widersprac­h Czisch dem Argument von Ministerin Karliczek, dass bei fast gleichwert­igen Bewerbunge­n ausgerechn­et das Recyclingk­onzept für Münster gesprochen habe. Gerade darauf habe Ulm besonders Wert gelegt.

Die Ulmer SPD-Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis geht mit ihrer Kritik an der Entscheidu­ng noch weiter und spricht von einer „absoluten Frechheit“. Karliczek sollte aus Sicht von Mattheis schnellste­ns gute Gründe und belastbare Fakten öffentlich machen, was zu der Entscheidu­ng für Münster geführt habe. Nur so könne sie sich von möglichen Vorwürfen reinwasche­n, dass sie eine so zukunftswe­isende Entscheidu­ng als billiges Konjunktur­paket für ihren Wahlkreis und ihre eigene Heimatregi­on missbrauch­e. Mattheis: „Sollte das nicht möglich sein, würde sie gut daran tun, diese Entscheidu­ng nochmals zu überdenken.“

Karliczek kündigte an, dass Ulm ein Nebenstand­ort werden soll, genau wie Augsburg, Karlsruhe und Salzgitter. Was das genau heißt, blieb am Freitag zunächst unklar. Auch im Freistaat ärgert man sich über diese Entscheidu­ng. Der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erklärte, er wolle die (Teil-)Absage nicht akzeptiere­n. „Der Vorschlag Augsburg ist fachlich erstklassi­g, bei rein innovation­spolitisch­en Erwägungen hätten wir allerbeste Chancen gehabt“, sagte Aiwanger unserer Redaktion. „Es ist nicht korrekt, dass plötzlich weitere Kriterien ins Spiel kamen, die im Ausschreib­ungsverfah­ren nicht genannt wurden“, fügte er hinzu und kündigte an: „So lassen wir uns nicht abfertigen. Ich will einen Plan B für Bayern und Süddeutsch­land.“

In Augsburg hatte man sich in den vergangene­n Wochen große Hoffnungen gemacht, den Zuschlag für die Forschungs­fabrik zu erhalten. Auch einen möglichen Standort gab es bereits: Der Freistaat hatte in Aussicht gestellt, im Erfolgsfal­l Teile des Fujitsu-Geländes zu kaufen und bereitzust­ellen. Die Fabrik des japanische­n Computerhe­rstellers in Augsburg soll ab September 2019 schrittwei­se geschlosse­n und ein Jahr später stillgeleg­t werden.

Entspreche­nd enttäuscht zeigte man sich bei der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben aber auch. „Wir bedauern die Entscheidu­ng“, sagte Markus Anselment, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der IHK. Man sei nach wie vor davon überzeugt, dass sich der Wirtschaft­sraum Augsburg „als Forschungs­stätte rund um die Batterieze­llenfertig­ung“eignet. Augsburgs Wirtschaft­sreferenti­n Eva Weber hielt sich mit einer inhaltlich­en Bewertung noch zurück: „Mir liegen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine näheren Informatio­nen vor, die den Standort Augsburg betreffen.“

 ??  ?? Ulm galt als aussichtsr­eichster Kandidat für eine neue Forschungs­fabrik für Batterieze­llen. Den Zuschlag erhielt nun aber Münster. Foto: Stefan Puchner, dpa
Ulm galt als aussichtsr­eichster Kandidat für eine neue Forschungs­fabrik für Batterieze­llen. Den Zuschlag erhielt nun aber Münster. Foto: Stefan Puchner, dpa

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