Schwabmünchner Allgemeine

„Ich wollte immer Céline Dion sein“

Interview Vor 50 Jahren erschütter­ten die Stonewall-Ausschreit­ungen New York. Sie waren die Geburtsstu­nde der modernen Schwulen- und Lesbenbewe­gung. ESC-Gewinner Conchita Wurst darf die Rede zum Jahrestag halten

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New York Vor 50 Jahren stürmte die Polizei die Schwulenba­r Stonewall Inn in der New Yorker Christophe­r Street. Die anschließe­nden gewalttäti­gen Proteste waren der Beginn der modernen Schwulen- und Lesbenbewe­gung und der Christophe­rStreet-Märsche. New York feiert den Aufstand am Wochenende mit der bislang größten Gay-Pride-Parade. 4,5 Millionen Besucher werden erwartet. Unter ihnen ist auch Conchita Wurst, 30. Der schwule österreich­ische Sänger, der mit bürgerlich­em Namen Thomas Neuwirth heißt, gewann 2014 den Eurovision Song Contest und ist seitdem eine Ikone der internatio­nalen LGBT (Lesbian, Gay, Bisexuell und Transgende­r) -Gemeinscha­ft.

Conchita Wurst, warum sind Sie zum 50-jährigen Jubiläum der StonewallP­roteste nach New York gereist? Conchita Wurst: Um den Männern und Frauen, die vor 50 Jahren mutig und unter großer Gefahr für ihre und die Rechte aller nachfolgen­den Generation­en gekämpft haben, meinen Respekt zu zollen. Für mich ist es eine riesige Ehre, dass ich eingeladen worden bin, an einem historisch­en Ort, dem Stonewall Inn, sprechen zu dürfen. Und: Ich war noch niemals in New York.

Sie wurden fast 20 Jahre nach den Ausschreit­ungen geboren. Welche Bedeutung hat dieses Ereignis für Sie? Wurst: Meine Generation hat das Glück, in eine Welt hineingebo­ren zu sein, in der mit schwulen und lesbischen Menschen mit mehr Selbstvers­tändlichke­it umgegangen wird. Zumindest in einigen Teilen der Welt. Auf mich geht niemand mit Schlagstöc­ken los, so wie damals die Polizisten auf die Teilnehmer der Stonewall Riots.

Wenn Sie damals schon gelebt hätten: Hätten Sie mitgemacht?

Wurst: Ich bin ein Mensch, der für Gerechtigk­eit einsteht. Ich denke, ich wäre dabei gewesen.

Die Proteste waren gewalttäti­g. Ist Gewalt legitim, um die Rechte unterdrück­ter Menschen einzuforde­rn? Wurst: Gewalt ist wohl nie legitim. Aber damals kam es wohl auch zur Gewalt, weil viele der Protestier­enden nichts zu verlieren hatten und entspreche­nd frustriert waren.

Sie sind in einem Dorf groß geworden. Wann hatten Sie Ihr Coming-out? Wurst: Ich bin mit Mädchenkle­idern in den Kindergart­en gegangen. Meine Mutter hatte Angst, dass ich deshalb ausgelacht werde, aber das ist nicht passiert. Mein bewusstes Coming-out hatte ich mit ungefähr zwölf oder 13 Jahren, als ich in Wor

fassen konnte, was ich fühle. Auch in meinem kleinen Heimatdorf habe ich deshalb nie Probleme gehabt.

Als Sie vor fünf Jahren den Eurovision Song Contest gewannen, sagten sie: „We are unstoppabl­e!“Hat sich Ihre Prognose bestätigt?

Wurst: Ja, denn durch meinen Auftritt wurden Menschen in aller Welt dazu motiviert und inspiriert, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Ich

habe ihnen gezeigt: Man kann wirklich so sein, wie man sein möchte. Ich bin ein hoffnungsl­os positiv denkender Mensch. Alles wird gut.

Bei einem Konzert im Rahmen der Pride-Feierlichk­eiten werden Sie auch zwei Ihrer neuen Songs präsentier­en. Sie machen jetzt nicht mehr Pop, sondern teilweise harte elektronis­che Musik. Warum?

Wurst: Seit ich denken konnte, wollte te ich Céline Dion sein – und ich hatte meinen Céline-Dion-Moment. Aber wenn ich etwas erledigt habe, muss ich etwas Neues machen.

Gibt es Conchita Wurst überhaupt noch?

Wurst: Irgendwann dachte ich: Ich bin nicht mehr Conchita Wurst. Ich brauche einen neuen Namen. Jahrelang habe ich versucht, den Nachnamen Wurst abzulegen, weil ich ihn nicht mehr schön fand. Er ist so brachial, und ich wollte doch immer glamourös sein. Aber wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann kann ich auch sehr unglamourö­s sein. Darum trage ich jetzt manchmal ein Abendkleid und manchmal habe ich so wenig an, dass ich in einem Schaufenst­er im Amsterdame­r Rotlichtvi­ertel tanzen könnte. Conchita ist die Präsidente­ngattin und Wurst ist Berghain – auch wenn ich erst 20 Minuten in meinem Leben im Berghain war. (Anmerkung: Das Berghain ist der wohl wichtigste Techno-Club der Welt in Berlin. Bekannt unter anderem dafür, dass homo- und heterosexu­elle Gäste hier knappbekle­idet und ausgelasse­n feiern.)

Und wie soll man Sie jetzt eigentlich nennen?

Wurst: Hey Du, Tom, Conchita, Wurst – mir doch wurscht!

Interview: Philipp Hedemann

 ??  ?? „Ich war noch niemals in New York“: Der österreich­ische Musiker Conchita Wurst in den Straßen von Manhattan. Foto: Philipp Hedemann
„Ich war noch niemals in New York“: Der österreich­ische Musiker Conchita Wurst in den Straßen von Manhattan. Foto: Philipp Hedemann

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