Was Augsburg würdig für das Welterbe macht
Interview Die Wasserversorgung der Stadt ist seit 800 Jahren so vorbildlich, dass sie kommende Woche den Unesco-Titel erhalten könnte. Wie die Chancen stehen und welche Herausforderungen eine Ernennung mit sich brächte
In gut einer Woche wird feststehen, ob Augsburg sich Welterbe nennen darf. Frau Böhmer, käme es so, müsste Sie das doch besonders freuen ...
Maria Böhmer: Ja, denn tatsächlich habe ich Anfang der 80er Jahre eineinhalb Jahre lang in Augsburg gewohnt. Diese Zeit hat meine Liebe zu dieser Stadt sehr gefördert. Augsburg hat sehr viele Reize, aber mich freut vor allem, dass das Thema Wasser auf solche Resonanz stößt.
Als Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission dürfen Sie unter den drei deutschen Titel-Anwärtern aber keinen Favoriten nennen, oder? Böhmer: Für alle drei deutschen Bewerber stehen die Chancen gut. Der Internationale Denkmalrat Icomos hat die Bewerbungen unter wissenschaftlichen Kriterien geprüft und eine Einschreibung in die WelterbeListe empfohlen. Alle drei Bewerbungen sind sehr überzeugend – und sie erfüllen das entscheidende Kriterium: Sie sind für die Menschheit von außergewöhnlichem universellen Wert.
Machen sich die drei deutschen Bewerber gegenseitig Konkurrenz? Man hört oft, die Unesco bevorzuge Bewerber aus anderen Ländern, da Deutschland auf der Welterbe-Liste bereits so gut vertreten ist.
Böhmer: Allgemein sind europäische Welterbestätten auf der Liste stark vertreten. Im Gegenzug gäbe es in Afrika viele Orte mit hohem Naturoder Kulturwert. Deshalb ist das Thema Welterbestätten in Afrika stets im Blick des Welterbekomitees. Wir brauchen auf der Unesco-Liste aber eine gute Mischung aus Themen und Ländern. Augsburg und die Montanregion Erzgebirge/ Krusnohori stehen für bedeutende technische Entwicklungen. Das wäre bei den Welterbestätten zusätzlich ein wichtiger Aspekt.
Augsburgs Bewerbung dreht sich nicht nur um die historische Wasserversorgung, auch der künftige Umgang mit der Ressource Wasser spielt eine Rolle. Welche Möglichkeiten und Chancen ergeben sich daraus?
Böhmer: Die Vereinten Nationen haben sich vor kurzem auf eine Agenda verständigt, die allen Menschen weltweit bis zum Jahr 2030 den Zugang zu sauberem Wasser und guter Sanitärversorgung sichern soll. Wenn zu diesem Thema aus Augsburg Impulse gegeben werden können, wäre das großartig. Welterbestätten sollen Orte des Dialogs sein. Es reicht nicht, eine touristische Sehenswürdigkeit zu bieten, es geht darum, die Verständigung über die Grenzen hinweg zu fördern.
Die Idee, in Augsburg künftig auch Tagungen zum Thema Wasser abzuhalten, ist demnach richtig?
Böhmer: Genau solche Aktivitäten sind mit dem Titel Welterbe ebenso verbunden wie die Vermittlung von Wissen und Bildung. Es geht nicht nur darum, etwas Vorhandenes zu konservieren, es geht ums Entwickeln von Welterbestätten.
Welterbestätten sind immer auch Touristenattraktionen, auch in Augsburg rechnet man mit mehr Besuchern, sollte die Stadt den Titel bekommen. Ist das Fluch oder Segen?
Böhmer: Man darf den Tourismus nicht mehr als Randthema betrachten. Für viele Menschen stellt es einen großen Reiz dar, eine Welterbestätte zu besichtigen. Es fördert das Verständnis, wenn man Zeugnisse der Geschichte in anderen Regionen und Kulturen kennenlernt. Das ist gelebte Verständigung über Landesgrenzen hinweg. Nicht zu vergessen der wirtschaftliche Aspekt, der beim Tourismus eine Rolle spielt.
Es gibt auch ein Zuviel an Tourismus. Böhmer: Ja, die anfängliche Freude über einen Zuwachs an Gästen kann auch zur Belastung werden. Wir sehen das am Beispiel Venedig. Wir müssen uns deshalb stärker einem nachhaltigen Tourismus verschreiben. Auch das ist eine gemeinschaftliche Aufgabe.
Die Unesco beobachtet die Entwicklung ihrer Welterbestätten genau, zum Beispiel bei Bautätigkeiten. Bekäme Augsburg den Titel, wie sehr wäre damit eine weitere Stadtentwicklung eingeschränkt?
Böhmer: In Bamberg wurde im April das Besucherzentrum Welterbe eröffnet, in einem zweistöckigen Neubau mitten in der Altstadt. In den Neubau wurde die Front der ehemaligen Sterzermühle integriert. Wo früher die Mühle klapperte, versorgt heute eine moderne Turbine 300 Bamberger Haushalte mit sauberem Strom. Ich würde den Welterbe-Titel darum nicht als Hemmnis sehen, sondern als Chance.
Dresden dürfte das anders beurteilen.
Durch den Bau der Waldschlösschenbrücke über die Elbe wurde dem Elbtal der Welterbetitel aberkannt. Böhmer: Was wir aus dieser Entwicklung lernen konnten, ist, dass sich Welterbestätten in solchen Fällen frühzeitig an die Unesco wenden sollten. Die Unesco will keine Entwicklung verhindern, sie möchte sie nur verträglich gestalten.
Warum ist es notwendig, Landschaften oder Gebäude zu Welterbestätten zu ernennen? Der Schutzgrad vieler Denkmäler ist in Europa durch andere Verordnungen wie zum Beispiel den Denkmalschutz doch bereits hoch. Böhmer: In Deutschland haben wir einen hohen, geradezu vorbildlichen Schutzgrad. Wenn wir uns aber weltweit umsehen, sehen wir, dass viele Welterbestätten bedroht sind – durch Naturkatastrophen wie ein Erdbeben in Nepal, durch terroristische Bedrohungen wie im Nahen Osten oder in Afrika, durch den Klimawandel wie beim Great Barrier Reef vor Australien ... Die Völkergemeinschaft hat eine Verantwortung für den Schutz und Erhalt solch ein
maliger Stätten. Und sie hat auch die Verantwortung, dies weiterzugeben an die nachfolgenden Generationen.
Kommen wir zur Tagung nächste Woche in Aserbaidschan. Sie waren 2015 Vorsitzende der Welterbekomitee-Sitzung in Bonn. Wie muss man sich das vorstellen, wenn Vertreter aus 21 Ländern zusammenkommen?
Böhmer: Die Mitglieder des UnescoKomitees sind nicht nur die diplomatische Vertretung ihrer Länder. Das Gremium besteht aus hoch qualifizierten Fachleuten aus 21 Staaten. Diese Komitee-Mitglieder werden sich in ihrer Tagung zunächst mit dem Erhalt von Welterbestätten und dem Schutz gefährdeter Stätten beschäftigen. Danach kommen die Neueinschreibungen.
Wer stellt die Bewerber vor? Böhmer: Ein Mitglied von Icomos wird die Bewerbung Augsburgs erläutern. Danach kann darüber diskutiert werden. Oft dauert das lange, so wie vergangenes Jahr im Fall des Naumburger Doms. Es kann aber auch schnell gehen: Vor zwei
Jahren waren die Höhlen und die Eiszeitkunst der Schwäbischen Alb gerade erst aufgerufen, da hatten schon alle für eine Aufnahme entschieden. Bekannt gegeben wird das durch einen Hammerschlag.
Es könnte aber auch sein, dass man seine Bewerbung nochmals nacharbeiten muss ...
Böhmer: Das kann auch passieren, aber bei Augsburg gehe ich weder davon aus, dass die Bewerbung zurückgestellt, noch dass sie abgelehnt wird.
Das klingt sehr positiv. Dann frage ich mal so weiter: Wenn wir also ab nächster Woche Welterbe sind, was geschieht dann?
Böhmer: Dann beginnt erst die eigentliche Arbeit, denn ab dann geht es darum, das Welterbe Augsburg zu erhalten, zu schützen, den Dialog mit den Menschen herzustellen. Dafür ist unter anderem ein Bildungszentrum wichtig, in dem Besuchern der besondere Wert der Wasserversorgung vermittelt werden kann. Ich hatte bereits 2015 einige UnescoBotschafter nach Augsburg eingeladen, um ihnen die Wasserversorgung dort näherzubringen.
Schön, Sie haben also schon damals für den Bewerber Augsburg Werbung gemacht?
Böhmer: (lacht) Nein, ich habe nur mit Leidenschaft informiert. Interview: Nicole Prestle
Prof. Maria Böhmer ist seit 2018 Präsidentin der Deutschen UnescoKommission. Zuvor war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Sonderbeauftragte für das UnescoWelterbe. 1950 in Mainz geboren, habilitierte sie sich 1982 mit einer Arbeit über Lehrerfortbildung.