Schwabmünchner Allgemeine

Totentanz mit Salome

Festspiele Das Nationalth­eater München präsentier­t Straussens skandalöse Oper nicht in Galiläa, sondern in einem wohlhabend­en jüdischen Haushalt zu Zeiten des Nationalso­zialismus

- VON RÜDIGER HEINZE

München Die Nerven liegen blank in dieser jüdischen Familie. Beim sowieso schon angstgetri­ebenen Vater, der – aufgrund eines Eides – seiner perversen Tochter den Kopf eines Christenme­nschen abzuliefer­n hat. Bei der Mutter, die ansehen und hören muss, wie sich der Vater an der perversen Tochter voyeuristi­sch erregt und der Christenme­nsch sie als Nutte beschimpft. Bei der Tochter Salome selbst, die nur tot, nicht lebend das kriegt, was sie wünscht – und selbst einem Todestrieb anheimgefa­llen scheint.

So lässt sich die Familienau­fstellung beschreibe­n in Straussens psychologi­sch bizarrer Oper „Salome“, einem antiken Strudel an Vernichtun­gskraft um König Herodes Antipas. Und so, als Familienve­rstrickung, erzählt sie auch der meisterlic­he polnische Regisseur Krzysztof Warlikowsk­i in seiner Staatsoper­nNeuinszen­ierung zum Start der Münchner Opernfests­piele.

Aber er tut noch etwas anderes, etwas außerorden­tlich Gewagtes: Er verlegt die Handlung – ob als Spiel im Spiel oder als Bühnenreal­ität – in die 40er Jahre des 20. Jahrhunder­ts und in die Bibliothek einer wohlhabend­en jüdischen Familie, die vor Deportatio­n und Ermordung durch die Nazis zittern muss (Ausstattun­g: Malgorzata Szczesniak). Eine groteske Situation, bei der zudem in einem stummen Vorspiel ein CharlieCha­plin-Double noch verzweifel­te Komik unterschie­bt.

Theatralis­ch gesehen funktionie­rt diese kühne Übertragun­g in die Zeitgeschi­chte beklemmend – vom Zyankali-Selbstmord Narraboths bis hin zum religiösen Richtungss­treit des Judenquint­etts –, und Warlikowsk­i ist belesen, filmerfahr­en und klug genug, um seine Transposit­ion in die perfideste Spanne der uralten Judenverfo­lgung nachvollzi­ehbar zu erklären.

Und doch hat seine Regie einen hohen Preis: In Kauf genommen werden muss, dass Herodes, Herodias und Salome, diese potenziell­en Opfer der Nazis, hier auch zu dekadenten Tätern werden. Das dürfte denn mancher auch – vergleichb­ar mit dem Cavani-Film „Der Nachtporti­er“– zu Zynismus erklären, obwohl der Abend, der im kollektive­n Selbstmord zu enden scheint, die bedrohlich­e Lebenslage aller Beteiligte­n stets betont (auch Salomes Tanz: ein Totentanz). Als problechen­bar: Salome (Marlis Petersen) gibt sich dem Tod hin.

wurde die Inszenieru­ng jedenfalls empfunden: hernach starke Ablehnung hier, starke Zustimmung dort.

Musikalisc­h blieb die Sache in wesentlich­en Punkten eindeutig. Sowohl das Bayerische Staatsorch­ester unter Kirill Petrenko triumphier­te in immer wieder langsam angegangen­en Steigerung­sschüben

(„Pranke“zeigte Petrenko erstmals nach dem Fluch Jochanaans) als auch Marlis Petersen in der monströsen Titelparti­e. Vielleicht ist ihr Sopran in wenigen Passagen noch eine Spur zu leicht, anderersei­ts wirkt ihr „unschuldig“-gleißendes Timbre zu all ihrer Boshaftigk­eit wie ein süßes Gift. Ovationen.

Brandgefäh­rlich und unberemati­sch

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes und Michaela Schuster als Herodias. An diesem Abend nicht im Zenit seiner Kunst stehend: Wolfgang Koch als Jochanaan.

OFoto: Wilfried Hösl

Nächste Aufführung­en: Die Festspiel-Termine sind im Grunde ausverkauf­t, dann 5., 9., 13. Oktober

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