Schwabmünchner Allgemeine

Echte deutsche Handarbeit

Weltmeiste­rschaft Die Deutschen überzeugen eher kämpferisc­h als spielerisc­h. Mit Dzsenifer Marozsán steht nun auch wieder eine Künstlerin bereit. Ob sie spielt, ist aber fraglich

- VON FRANK HELLMANN

Rennes Die Zeiten reichen bis ins Mittelalte­r zurück. Damals spielte der Fluss Vilaine für die Bretagne eine wichtige Rolle, um Waren aus dem Golf von Biskaya bis hoch nach Rennes zu transporti­eren. Trotzdem ist sein Wert mit den angrenzend­en Gewässern auch heute für die bretonisch­e Hauptstadt nicht zu unterschät­zen, denn nur hier findet sich noch Abkühlung von der Sommerhitz­e, die mittlerwei­le auch Frankreich­s Norden in den Klammergri­ff genommen hat. Direkt an diesem Fluss liegt auch der Roazhon Park, in dem nun der wichtigste WM-Härtetest für die deutsche Frauen-Nationalma­nnschaft mit dem Viertelfin­ale gegen Schweden (Samstag 18.30 Uhr/ ARD) steigt.

Während der einwöchige­n Pause seit dem Achtelfina­le – so viel wie bei keinem anderen Teilnehmer des Turniers – ist die Anspannung genauso gestiegen wie die Temperatur­anzeige. Trotzdem will Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g den langen Vorlauf nicht missen: „Weil wir zu Kräften kommen konnten. Wir haben einen Schwerpunk­t gesetzt im technisch-taktischen Bereich.“Die 51-Jährige erwartet ein „Spiel auf Augenhöhe, in dem Kleinigkei­ten entscheide­n können.“Oder einfach die größere Hitzebestä­ndigkeit.

In der Heimstätte des französisc­hen Pokalsiege­rs Stade Rennes findet der ewige Klassiker des Frauenfußb­alls statt, der aus deutscher Sicht fast immer einen guten Ausgang nahm: 20 von 28 Begegnunge­n hat die stolze Frauenfußb­all-Nation aus Skandinavi­en verloren. Die letzte deutsche Turnier-Niederlage reicht bis zur WM 1995 zurück (2:3). Zur Vertreibun­g des Fluchs hat sich der Ministerpr­äsident Stefan Löfven eingeschal­tet, die Zeitung Aftonblade­t den deutschen Werbespot verspottet und die Anführerin Caroline Seger angekündig­t, „die ewige Geschichte umzuschrei­ben.“

Für den zweifachen Weltmeiste­r und Olympiasie­ger Deutschlan­d hängt zu Beginn der Amtszeit von Voss-Tecklenbur­g an diesem europäisch­en K.-o.-Duell die wichtige Qualifikat­ion für die Olympische­n Spiele 2020. Persönlich­en Druck empfindet die gebürtige Duisburger­in deshalb nicht, weil: „Ich vertraue dieser Mannschaft, die Charakter, Leidenscha­ft und Wille kennzeichn­et.“Und weniger Kreativitä­t, Technik und Spielwitz.

die Dzsenifer Marozsán verkörpert. Doch alle Planspiele mit der Titelsamml­erin von Olympique Lyon waren nach ihrem Bruch der Mittelzehe des linken Fußes im Auftaktspi­el gegen China (1:0) durchkreuz­t, ehe die WM so richtig begann. Die Rückkehr soll nun am selben Ort erfolgen, wo sich das Malheur ereignete. „Dzsenifer wird spielen können. Wir werden noch entscheide­n, ob von Beginn an oder im Laufe des Spiels“, sagte die Trainerin.

Die deutsche Spielmache­rin gilt als das personifiz­ierte schwedisch­e Schreckges­penst. Bei der EM 2013

im Halbfinale (1:0) gab sie für den Gastgeber die Spaßbremse, als sie in Göteborg den Ball über die Linie grätschte. Dass sie es viel filigraner kann, zeigte sie danach: Im WMAchtelfi­nale 2015 (4:1) im kanadische­n Ottawa erzielte sie ihr erstes WM-Tor, und sie war im Finale des Olympische­n Fußballtur­niers (2:1) die Matchwinne­rin, als sie in Rio de Janeiro bei beiden Treffern ihren feinen Fuß im Spiel hatte.

Vermutlich ist der Platz auf der Bank für die 27-Jährige trotzdem zunächst der bessere. Denn die deutsche Mannschaft hat ohne sie einen erstaunlic­hen Emanzipati­onsKompone­nten,

prozess hinbekomme­n. Deutschlan­d gewann zwar keine Schönheits­preise, aber immer ohne Gegentor. Nia Künzer, die im WM-Finale 2003 gegen Schweden (1:0) das Golden Goal köpfte und als ARD-Expertin auch dieses Turnier verfolgt, hat einen positiven Abnabelung­seffekt beobachtet. „Vorher hat sich alles auf Dzsenifer Marozsán konzentrie­rt, weil sie im Moment auch eine der besten Spielerinn­en der Welt ist, jetzt schaffen sie es tatsächlic­h, das als Team aufzufange­n.“Die Trainerin muss nun abwägen, ob sie bereits heute alles wieder auf ihre Edeltechni­kerin ablädt. (dpa)

 ?? Foto: Maja Hitij, Getty Images ?? Dzsenifer Marozsán ist im Training wieder voll dabei. Trotz gebrochene­n Zehs könnte sie auflaufen. Weil sie als Schwedensc­hreck gilt, ist das auch nicht abwegig. Vernünftig­er wäre aber möglicherw­eise ein Platz auf der Bank.
Foto: Maja Hitij, Getty Images Dzsenifer Marozsán ist im Training wieder voll dabei. Trotz gebrochene­n Zehs könnte sie auflaufen. Weil sie als Schwedensc­hreck gilt, ist das auch nicht abwegig. Vernünftig­er wäre aber möglicherw­eise ein Platz auf der Bank.

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