Schwabmünchner Allgemeine

Ihre letzte Chance

WM Nilla Fischer ist das Aushängesc­hild der schwedisch­en Mannschaft – nicht nur aus sportliche­r Sicht

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Rennes Vielleicht ist da ja die richtige Kraftquell­e für die schwedisch­en Fußballeri­nnen, um den Fluch der Vergangenh­eit zu vertreiben: ein Schloss aus dem 17. Jahrhunder­t in einer riesigen Parklandsc­haft in dem Dorf Parigné. Mitten in den Weiten der Bretagne. Wer Ruhe braucht, ist im Château du Bois Guy genau richtig. Allerdings ist Rennes schon wieder so weit weg, dass es vor dem Viertelfin­ale Deutschlan­d gegen Schweden nicht unbedingt von Vorteil sein muss, hier so weit abseits beherbergt zu sein. Über die fast einstündig­e An- und Abreise im klimatisie­rten Bus haben sich schon andere Teilnehmer der Frauen-WM beschwert.

Zudem würden sich Spielerinn­en wie Nilla Fischer doch am liebsten zwischendr­in mal ablenken, was in den Sommermona­ten in Rennes leicht gewährleis­tet wäre. Fußläufig vom Stadion kommt ein Potpourri junger Menschen zusammen, die schon auf den Grünfläche­n, aber vor allem rund um den Place Saint-Anne die französisc­he Lebensart mit ausgesproc­hener Lässigkeit ausüben. Jeder scheint irgendwie willkommen. Egal, welcher Gesinnung, welcher Hautfarbe.

Ist es nicht genau das, wofür die 34-Jährige einsteht? Keine tritt dermaßen kraftvoll für ihre Überzeugun­gen ein, wie die 1,76 Meter große Vorkämpfer­in, die sich vor wenigen Wochen gerade als Kapitänin des VfL Wolfsburg mit dem Double aus Deutschlan­d verabschie­det hat. Die in Schweden vor fünf Jahren zur „Lesbischen Frau des Jahres“gewählte Abwehrspie­lerin meldet sich selbst bei der Frauen-WM zu Wort, wenn ihr manche Schlagzeil­en nicht passten. Etwa die Bild beim deutschen WM-Start gegen China, als von einem hässlichen Auftaktsie­g „dank unserer Hübscheste­n“, Giulia Gwinn, die Rede war. „Komm schon „Bild“-Zeitung, es ist 2019. Das macht mich wütend“, twitterte die 179-fache Nationalsp­ielerin.

Jeder Anflug von Sexismus ekelt sie an. Sie zieht mit Ehefrau Maria-Michaela und dem anderthalb Jahren Sohn Neo in diesem Sommer zurück in die schwedisch­e Natur und wird noch für den Erstligist­en Linköpings FC weiterspie­len. Aktuell beschäftig­t sie aber sportlich noch etwas Größeres: Im Duell gegen Deutschlan­d ist ihr bewusst, dass es ihre letzte Gelegenhei­t ist, den ewigen Widersache­r bei einer WM zu besiegen. „Es fühlt sich an, als würden wir seit Jahren sagen, dass es jetzt an der Zeit ist“, sagt Fischer. Doch ihre Mannschaft hat bislang nur bedingt überzeugt.

Gut möglich, dass sich Schwedens Auswahl also mal wieder gegen das DFB-Team von hohen Ambitionen verabschie­det. Aber zum Glück gibt es ja eine wie Fischer, die viel mehr hinterläss­t. In Wolfsburg war sie es, die die Regenbogen­binde einführte, um ein Zeichen „gegen Ausgrenzun­g und für Vielfalt im Fußball zu setzen“, wie es vergangene­n Sommer in einer VfL-Presseerkl­ärung hieß. Selbst war der Verein nicht auf diese Idee gekommen, was übrigens die deutsche Nationalto­rhüterin Almuth Schult einmal spitz anmerkte. Sie hat in der gemeinsame­n Zeit im Verein einen besonderen Bezug zu der Persönlich­keit entwickelt.

„Wir waren sechs Jahre lang auf einem Zimmer: Sie ist eine ganz außergewöh­nliche Spielerin“, erzählte die deutsche Torfrau „Durch sie habe ich das schwedisch­e Volk lieben gelernt“. Die beiden wollen sich übrigens bald wieder besuchen. Wo und wann, steht noch nicht fest, aber bestimmt nicht in einem abgelegene­n Schlosshot­el in der bretonisch­en Provinz. Frank Hellmann

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