Sein stachliges Paradies
Hausbesuche Josef Dietrich hat über 300 Kakteen in seinem Garten in Ellgau. Einige seiner Pflanzen sind älter als 50 Jahre und stammen aus seiner Kindheit. Im Alter stößt der 74-jährige Sammler an seine Grenzen
Ellgau Josef Dietrich ist zehn Jahre alt, als er sich in seiner Schule im tschechischen Liberec um einen kleinen Kaktus kümmern darf. Seine Lehrerin hat dem Buben das Pflänzchen zur Pflege gegeben. 64 Jahre später sitzt Dietrich in seinem Garten in Ellgau, seine Frau Herta lächelt wissend, als er von den Anfängen seiner Leidenschaft für Kakteen erzählt. Denn das Pflänzchen, eine Echinopsis, ist zu einem blühenden, großen Kaktus gewachsen. Er war der Beginn einer lebenslangen Begeisterung. Inzwischen hat der 74-Jährige mehr als 300 Kakteen und andere Pflanzen.
Große, fleischige Blätter einer Aloe Vera, zehn Zentimeter lange Stacheln eines rund zwei Meter hohen Kaktus und ganz viele kleine kugelförmige Mini-Kakteen in ebenso kleinen Untertöpfen. So sieht der Vorgarten von Josef Dietrich aus. „Die großen Kakteen sind 50 Jahre alt“, sagt der 74-Jährige und zeigt stolz auf ein besonders prächtiges Exemplar mit ausgeprägten, kräftigen braunen Stacheln. Die Leidenschaft des Rentners, dessen Freunde ihn nur noch „Yucajosef“nennen, ist deutlich spürbar. Bereits in mehreren Generationen ranken in seinem Garten Kakteen, die aus seiner Jugend und auch aus der Kindheit seiner Tochter stammen. „Die Aloe hat meine Tochter Anna bekommen, als sie etwa vier Jahre alt war“, sagt Dietrich. 20 Jahre später ist die kleine Pflanze 50 Zentimeter groß und hat dicke rot-grüne Blätter.
Das Ehepaar sitzt im Schatten seines Gartens in Ellgau unter zwei großen Obstbäumen. Um sie herum stehen Kakteen, Sukkulenten und andere bunte Blumen. Von den Ästen hängen aus einem Blumentopf mehrere haarige, zentimeterdicke Ranken herab. Wie überdimensionale Spinnenbeine muten sie an. An ihnen kleben rote, kegelförmige Blüten. Unwirklich erscheint es. Die Dietrichs nehmen es gar nicht mehr wahr. Das Leben mit den Kakteen ist das Paar inzwischen gewohnt. In der Ecke des Gartens steht ein Gewächshaus. In der schwülheißen Luft zieht Dietrich neue Kakteen nach. Ein Kaktus sticht hervor: Gummiartig fühlt er sich an, die rissige Oberfläche und die quadratische Form erinnern an einen Stein. Neben dem Gewächshaus schmiegt sich in die tropische Gartenlandschaft ein kleines Gemüsebeet. Salat und Tomaten wachsen darin. Dietrichs Ehefrau pflegt es, das ist ihre Leidenschaft.
Für Josef Dietrich sind seine Pflanzen mehr als ein Hobby. Sie sind seine Kinder und Enkelkinder. Sie begleiten den 74-Jährigen schon fast sein ganzes Leben, inzwischen lebt er mit ihnen im Einklang, wie seine Frau sagt und lacht. So sehr, dass das Paar die Urlaube inzwischen nach seinem Garten richtet. „Die Kakteen sind kein Problem“, sagt Dietrich. „Die müssen nicht oft gegossen werden. Die anderen Pflanzen aber schon.“Und um die kümmert sich der Rentner am liebsten selbst. Aus diesem Grund verreisen die Dietrichs nur noch wenige Tage am Stück. Traurig sind sie deswegen aber nicht. „Ich habe hier mein Paradies“, sagt Josef Dietrich. Und seine Frau ergänzt: „Es ist im Sommer bei uns so schön, wieso also wegfahren?“
Josef Dietrich ist bekannt für seine Sammelleidenschaft. Angefangen hat sie mit seinem ersten Kaktus, doch es wurden immer mehr. Auf Ausstellungen, seinen vielen Reisen, aus seiner tschechischen Heimat, als Geschenk von Freunden oder im Tausch mit anderen Pflanzenliebhabern. Der Garten in Ellgau wurde stachliger und stachliger. „Er kann nicht aufhören“, sagt seine Frau. „Aus Angst, dass eine Pflanze abstirbt, setzt er wieder neue Ableger an.“Ein Kreislauf.
Herta Dietrich schüttelt bei dem Anblick der vielen Kakteen in ihrem Garten immer wieder ungläubig den Kopf. Im Scherz sagt sie: „Über die Jahre sind es immer mehr geworden, so schnell konnte ich gar nicht schauen.“Aber sie kennt es nicht anders. Sie kennt ihren Mann nicht anders. Als sich das Paar vor vielen Jahren kennengelernt hatte, brannte in Josef Dietrich bereits seine stachlige Leidenschaft.
Immer wieder, wenn „Yucajosef“über seine Kakteen spricht, wendet er sich ihnen zu. „Mich faszinieren die unterschiedlichen Formen“, sagt
er und seine Stimme wird sanft. „Sie wachsen nur in südlichen Ländern und lieben die Wärme. Genauso wie ich.“
Das Ehepaar unterstützt sich, aber trotzdem stößt es immer mehr an seine Grenzen. Mehr Pflanzen dürften es nicht werden, sagt Herta Dietrich. „Wir sind nicht mehr die Jüngsten, wer soll sich darum kümmern?“Eine Frage, die sie sich jedes Jahr im Winter stellen, wenn eine große Herausforderung auf das Paar wartet: Sobald es kalt wird, müssen Hunderte Kakteen, die nicht winterfest sind, umgetopft werden. Oder sie ziehen ins Haus. Oder sie
Josef Dietrich
bleiben während der kalten Monate im Gewächshaus. Für den Umzug der stachligen, teils meterhohen Pflanzen hat sich der 74-Jährige ein paar Kniffe einfallen lassen. Einen alten Kartoffelsack nimmt er dafür als Aufhänghilfe. „Um sie umtopfen zu können, hänge ich die Kakteen an einer Wäscheleine auf und klopfe den Topf runter“, erklärt Dietrich. Als Tragehilfe nutzt er ein langes, weißes Tuch, dass er um den Hals trägt. „Ich wickel es herum“, erklärt er, „und hebe den Kaktus so hoch.“Große Exemplare bugsiert er mithilfe eines Wägelchens, kleinere trägt er mit der Hand. Richtig verletzt habe er sich übrigens noch nicht, versichert der Rentner. Lediglich ein paar kleine Stiche, aber das sei beim Umgang mit Kakteen völlig normal.
Seine Leidenschaft hat den 74-Jährigen vor einiger Zeit sogar in die Welt der sozialen Netzwerke getrieben. Regelmäßig veröffentlicht er als „yucajosef“auf Instagram Bilder seiner Kakteenlandschaft und lässt sich von anderen Nutzern inspirieren. Besonders die arabischen Länder interessieren ihn. „Die Pflanzen finde ich sehr schön“, sagt er. Durch die trockene Hitze würden die Kakteen dort unter idealen Bedingungen gedeihen. „Instagram hat meinen Blickwinkel erweitert. Früher habe ich alles alleine gemacht, jetzt habe ich einen Einblick in die ganze Welt bekommen.“
„Instagram hat meinen Blickwinkel erweitert. Früher habe ich alles alleine gemacht, jetzt habe ich einen Einblick in die ganze Welt bekommen.“