Schwabmünchner Allgemeine

Der Plattenspi­eler

Vor 30 Jahren rief Dr. Motte die Loveparade ins Leben. Privat mag er es gerne ruhig, doch die Musik lässt ihn einfach nicht los

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Hin und wieder beleuchtet ein Scheinwerf­er die tanzenden Menschen, der Boden überträgt den Schall lauter Bässe in ihre Magengegen­d und Dr. Motte steht am DJ-Pult, dreht an den Reglern, nickt mit dem Kopf, wie er es immer getan hat. Es ist, als sei die Zeit stehen geblieben: 30 Jahre ist es her, dass der DJ die Loveparade ins Leben gerufen hat. Und der 58-Jährige mit dem bürgerlich­en Namen Matthias Roeingh steht immer noch an den Plattentel­lern. „Uns ging es nur darum, mit unserer Musik am Tag – die Nacht gehörte uns ja schon – zu demonstrie­ren, für eine bessere Welt.“Und heute? Dr. Motte sagt: „Der Geist der Loveparade lebt weiter in der aktuellen Klubkultur.“

Damals, am 1. Juli 1989, tanzten 150 Menschen bei der ersten Loveparade auf dem Berliner Kurfürsten­damm. Ihr offizielle­s Motto:

„Friede, Freude, Eierkuchen“. Zehn Jahre später kamen 1,5 Millionen Menschen nach Berlin, sie brachten Neonfarben, nackte Haut und bunte Haare.

Dr. Motte wuchs im ruhigen Berliner Stadtteil Spandau auf. Wenn seine Mutter klassische Musik hörte, dirigierte der Vierjährig­e mit einem Kochlöffel das Orchester. Er demonstrie­rte schon als Zwölfjähri­ger gegen den Vietnamkri­eg. In der Schule war er weniger motiviert – wegen schlechter Noten verließ er sie vorzeitig. Nach einer geschmisse­nen Stelle machte er eine Ausbildung zum Betonbauer.

Seinen Spitznamen Motte, der später sein Künstlerna­me wurde, bekam er in seiner Zeit als Punk. Als der Techno aufkam, wechselte er die Szene. Dort wurde er zum Kult-DJ. Manche sahen in ihm auch den Vordenker des Genres – viele seiner Ideen bezog er aus dem Buddhismus. Dr. Motte geriet im Laufe der Jahre mehrmals in die Kritik. Ihm wurden Antisemiti­smus und Homophobie vorgeworfe­n. Außerdem wurde er zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er Mitarbeite­r eines Ordnungsam­ts als „Blockwarte“beleidigt und „Heil Hitler“gerufen hatte. Seine Arbeit hingegen war höchst angesehen, er wurde mit vielen Preisen wie dem Bambi ausgezeich­net. 1995 schickte ihn das Goethe-Institut als Kulturbots­chafter nach San Francisco. Heute betreibt der DJ neben seinen Auftritten ein Musiklabel, setzt sich außerdem für soziale Projekte und den Erhalt der Klubkultur ein. Foto: dpa

Dabei mag es der Mann, der vergangene­s Jahr seine Managerin Ellen Dosch geheiratet hat, privat gerne ruhig: „Eigentlich habe ich die ganze Zeit mit so viel Musik zu tun, dass ich froh bin, wenn ich mal keine Musik zu hören brauche.“

Doch auch die Loveparade lässt ihn nicht los – die Rechte sind längst verkauft. Die Loveparade zog ins Ruhrgebiet. 2010 kam es zur Katastroph­e – 21 Menschen starben im Gedränge in Duisburg. Dr. Motte sagte Jahre später, ihn plagten Schuldgefü­hle, weil er kein Veto gegen den Verkauf des Namens eingereich­t hatte. Der heutige Rechteinha­ber schloss eine neue Loveparade aus. Dr. Motte tut das nicht. Angehörige der Opfer hätten ihm gesagt, er wäre der Einzige, der wieder eine Loveparade machen könnte, er hätte ihre Unterstütz­ung. „Da geht mir das Herz auf.“Philipp Wehrmann

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