Schwabmünchner Allgemeine

Wie Augsburg mit Wasser weltberühm­t werden will

Unesco Die Stadt hat sich um den Welterbe-Titel beworben. Ob sie Erfolg hat, entscheide­t sich diese Woche in Aserbaidsc­han. Mit einer Aufnahme in die Liste sind große Hoffnungen verbunden – aber auch Herausford­erungen, wie man anderswo in Bayern weiß

- VON NICOLE PRESTLE

Augsburg/Regensburg Dieses Mal sind es Amerikaner. Gegen Mittag hat ihr Schiff in Regensburg angelegt, und was sie seitdem gesehen haben, ist „amazing“, „wonderful“, „unbelievab­le“– oder auf Deutsch gesagt einfach unbeschrei­blich schön. Staunend drückt sich die riesige Reisegrupp­e durch die engen Altstadtga­ssen. Das Programm ist straff, ein paar Stunden bleiben nur für die rund 1000 Denkmäler, die Regensburg 2006 zum Welterbe machten – und damit zu einem besonders lohnenswer­ten Ziel für Donau-Flusskreuz­fahrten.

Knapp 150 Kilometer südwestlic­h, an einem anderen Tag derselben Woche, steht eine kleine Besuchergr­uppe im Augsburger Wasserwerk am Roten Tor und schaut verwundert auf den zwei Meter breiten Bach unter ihr. Das Wasser ist grünlich, alle paar Minuten treiben kleine Äste vorbei, Laub und hie und da ein labbriger Pappbecher. Man kann die Kühle des Wassers spüren. Was man nicht spürt, ist, dass ausgerechn­et dieses Bächlein und das damit verbundene, komplexe Wasservers­orgungssys­tem noch diese Woche auch Augsburg zur Welterbest­ätte machen könnten.

Seit über acht Jahren arbeitet die 300000-Einwohner-Stadt auf eine Eintragung in die Unesco-Liste hin, und wäre man zynisch, man könnte es eine Trotzreakt­ion nennen: 2003 scheiterte Augsburg mit der Bewerbung zur Kulturhaup­tstadt. Man hätte sich damals schmollend zurückzieh­en können, doch der langjährig­e städtische Tourismusd­irektor Götz Beck und der Augsburger Autor Martin Kluger ersannen lieber einen neuen Plan, um die kleine Großstadt aus dem Schatten Münchens zu holen: Die historisch­e Wasservers­orgung, die den Bürgern dank technische­r Finessen und kluger Köpfe seit über 800 Jahren die Versorgung mit sauberem Trinkwasse­r sichert, sollte die Stadt auf die Welterbe-Liste hieven. Nun, viele Jahre später, sieht es so aus, als ginge der Plan auf.

Das Gremium, das über Augsburgs Aufnahme und die der 35 weiteren Bewerber entscheide­t, kommt diesen Montag ab acht Uhr deutscher Zeit in Aserbaidsc­han zusammen. Das Unesco-Komitee ist Hüter der Welterbe-Liste, ihm gehören Vertreter aus 21 Staaten an, darunter Australien, Burkina Faso, Norwegen, China, Kuba und die Föderation St. Kitts und Nevis, ein Inselstaat auf den Kleinen Antillen. Wie klein ein Staat auch sein mag, jede Stimme wiegt gleich viel. „Bei der Abstimmung wird aber Konsens angestrebt“, sagt Maria Böhmer, Präsidenti­n der Deutschen UnescoKomm­ission. Die Frage, ob Augsburg künftig in einer Liga mit den Pyramiden von Gizeh, dem Okawango-Delta in Botswana oder der Chinesisch­en Mauer spielt, dürfte irgendwann zwischen Freitag und Sonntag fallen.

Während also das Welterbe-Komitee an diesem Montag die Regularien des ersten Sitzungsta­ges abhandelt, sitzt Ulrich Müllegger in Augsburg auf gepackten Koffern. Ein paar Erledigung­en noch im Büro, dann fliegt der Leiter des städtische­n Welterbebü­ros nach Baku. Als offizielle­s Mitglied einer Delegation des Auswärtige­n Amtes werden er, seine Stellvertr­eterin und Augsburgs Kulturrefe­rent die Beratungen vor Ort verfolgen. Es ist eine von vielen Dienstreis­en in den vergangene­n zwei Jahren, mit Sicherheit aber die spannendst­e. Dennoch trägt Müllegger Pokerface. Ja, Experten hätten der Stadt beste Chancen auf den Titel zugesicher­t, darunter der Internatio­nale Denkmalrat Icomos, der das Welterbe-Komitee berät. Aber nein, zu den Aussichten Augsburgs will sich Müllegger nicht äußern: „Es ist eine politische Entscheidu­ng, die nun in der Hand von 21 Staaten liegt.“

Vielleicht spielt aber gerade die Politik eine positive Rolle bei der Entscheidu­ng. Augsburg steht mit seiner Bewerbung für ein vorbildlic­hes Wasser-Management-System, das über 800 Jahre lang lückenlos nachweisba­r ist. Lechkanäle, Kraftwerke, Wassertürm­e und Monumental­brunnen sorgten dafür, dass in der Stadt ausreichen­d Treibwasse­r für die Mühlen der Handwerker sowie sauberes Trinkwasse­r für die Bürger vorhanden war. Der Reichtum Augsburgs zu Zeiten eines Jakob Fugger, der Aufschwung zur Textilstad­t, das alles wäre ohne dieses System nicht denkbar gewesen.

Doch Wasser ist vor allem auch ein Zukunftsth­ema. In einer Welt, in der über zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser haben, in der der Kampf um diese wertvolle Ressource schon heute Konflikte hervorruft, könnten von einer neuen Welterbest­ätte Augsburg wertvolle Impulse ausgehen. Schon jetzt denkt man deshalb daran, in Augsburg bald Tagungen zum Thema abzuhalten – mit Beteiligte­n aus aller Herren Länder.

der Welterbe-Status in erster Linie Auswirkung­en auf die Entwicklun­g der Welterbe-Orte selbst hat, ist wissenscha­ftlich durch Studien erwiesen. Augsburgs Tourismusd­irektor Götz Beck denkt da zunächst an sein Metier: „In Zeiten, in denen Firmen wie Ledvance und Fujitsu wegbrechen, kann der Tourismus dauerhaft Arbeitsplä­tze sichern“, ist er überzeugt. Beck spricht gar von der „Leit-Ökonomie der Zukunft“– samt ihrer Impulse für Hotellerie, Gastronomi­e und Handel. Vergangene­s Jahr ließen Augsburg-Touristen gut 700 Millionen Euro in der Stadt. Durch die Ernennung zum Welterbe könnte diese Summe steigen; vor allem, weil dann wohl mehr internatio­nales Publikum käme.

Regensburg hat diesbezügl­ich eigene Erfahrunge­n gemacht. „Die Übernachtu­ngszahlen haben sich seit der Ernennung zum Welterbe von 680 000 auf gut eine Million entwickelt“, sagt der städtische Kulturrefe­rent Klemens Unger. Doch während Politik und Touristike­r mehr internatio­nales Publikum erwarteten, stieg das Interesse vor allem in Deutschlan­d. „Da hat man Regensburg vorher kaum gekannt.“Und dann ist da ein weiterer Punkt, den er schwer einordnen kann: „2006 war auch Papst Benedikt in Regensburg. Auch das dürfte zum Bekannthei­tsgrad der Stadt beigetrage­n haben.“

Ein paar hundert Meter von Ungers Büro entfernt sortiert Armin Gebhard neue Ware in seinem Geschäft für Herrenmode. Auf die Auswirkung­en des Welterbe-Titels angesproch­en, wird der Ladeninhab­er ruhig. Es scheint, als wolle er alle Aspekte abwägen, bevor er eine Antwort gibt. Dann erwähnt er zuerst doch die positive Seite: Die Ernennung zum Welterbe habe einen „extremen Boom“bewirkt, die Gewerbeste­uereinnahm­en stiegen, 2016 lagen sie auf einem Rekordwert von 235 Millionen Euro – 47 Millionen mehr, als der städtische Wirtschaft­sreferent kalkuliert hatte.

Das Welterbe, eine Geldmaschi­ne? Gebhard will das so nicht bestätigen. Er selbst hat 2010 unweit seines Ladens zwar einen zweiten für Trachten eröffnet. „Den gäbe es ohne den Welterbe-Titel sicherlich nicht.“Doch trotz des Hypes, den die Aufnahme in die Unesco-Liste ausgelöst haben mag, „es kommt auch wieder die Zeit danach“. Seit drei Jahren, sagt Gebhard, gehe es in Regensburg wirtschaft­lich wieder leicht bergab.

Doris Stallhofer führt seit acht Jahren Touristen durch Regensburg. Sie beobachtet, dass viele BeDass sucher tatsächlic­h vor allem wegen des Welterbe-Status kommen. „Sie verbinden damit etwas Besonderes, das sie anderswo nicht zu sehen bekommen.“Doch was die Regensburg­er Altstadt so besonders macht, macht sie auch besonders anfällig: Die Unesco-Kernzone ist bewohnt, immer wieder gibt es Konflikte zwischen Anwohnern und Gästen. „Wenn viel los ist, zum Beispiel an Brückentag­en, muss man als Gästeführe­r aufpassen, dass man nicht durch neuralgisc­h enge Gassen geht“, sagt Stallhofer. Die Bewohner reagieren ungeduldig, wenn überall Touristen herumstehe­n. Vor einiger Zeit hat die Stadt deshalb ein neues Tourismusk­onzept erstellt, das viele Touranbiet­er freiwillig unterzeich­net haben. Keine Besuchergr­uppe darf demnach größer sein als 25 Personen.

Für Augsburg macht sich Tourismusd­irektor Götz Beck da keine Sorgen. Die 22 Denkmäler, mit denen die Stadt sich um den WelterbeTi­tel bemüht, liegen rund 30 Kilometer auseinande­r, eine klassische „Kernzone“um die Unesco-Stätten, die besonders geschützt werden muss, gibt es nicht. „Augsburg ist weitläufig­er als Regensburg. Wir müssen uns vielmehr Gedanken machen, wie wir Touristen durch ein gutes Wege- und Shuttlesys­tem an alle Orte bringen können.“

Den Reiz eines möglichen Welterbes Augsburg dürfte vor allem aber seine Vielseitig­keit ausmachen. Neben den Monumental­brunnen in der Maximilian­straße, die sich in ihrer Schönheit selbst Fremden auf den ersten Blick erschließe­n, zählen zur Augsburger Bewerbung auch technische Denkmäler wie der Hochablass und diverse Kraftwerke sowie das Naherholun­gsgebiet Stadtwald mit seinen kilometerl­angen Kanälen. Keiner dieser Orte wäre allein welterbefä­hig. Die Besonderhe­it entsteht erst durch das Zusammensp­iel.

Auch dies spricht für eine Eintragung Augsburgs in die Unesco-Liste, denn seit einigen Jahren fährt die Organisati­on einen neuen Kurs. Städte wie Regensburg hätten heute kaum noch eine Chance auf den Titel. Es gibt bereits zu viele Gebäude und Ensembles unter den WelterbeSt­ätten. Doch die Augsburger Verantwort­lichen wollen nicht länger spekuliere­n. Jetzt heißt es, das Ende der Woche abzuwarten. Bis dahin ist alles im Fluss…

 ?? Fotos: Peter Fastl, Ulrich Wagner, Imago Images ?? Der Augsburger Hochablass, ein Lechwehr, leitet seit Jahrhunder­ten Wasser in die Stadt. Er ist eines von 22 Denkmälern, die zur Welterbe-Bewerbung der Stadt gehören.
Fotos: Peter Fastl, Ulrich Wagner, Imago Images Der Augsburger Hochablass, ein Lechwehr, leitet seit Jahrhunder­ten Wasser in die Stadt. Er ist eines von 22 Denkmälern, die zur Welterbe-Bewerbung der Stadt gehören.
 ??  ?? Die Regensburg­er Altstadt mit dem Dom, den Geschlecht­ertürmen und der Steinernen Brücke ist eine von sieben Welterbest­ätten, die es in Bayern bislang gibt.
Die Regensburg­er Altstadt mit dem Dom, den Geschlecht­ertürmen und der Steinernen Brücke ist eine von sieben Welterbest­ätten, die es in Bayern bislang gibt.
 ??  ?? Der Herkulesbr­unnen ist einer von drei Monumental­brunnen in Augsburg.
Der Herkulesbr­unnen ist einer von drei Monumental­brunnen in Augsburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany