Schwabmünchner Allgemeine

Widerstand für Weber

Europa Vor dem Sondergipf­el zeichnet sich ein Vorschlag für das Amt des EU-Kommission­schefs ab, mit dem Bundeskanz­lerin Merkel offenkundi­g leben kann. Aber dann kommt es zur Revolte

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Mit einem heftigen Streit zwischen den Parteienfa­milien hat am Sonntagabe­nd in Brüssel ein Gipfeltref­fen der EU-Staats- und Regierungs­chefs begonnen, das eine Lösung der Krise um die künftige Führung der Union bringen sollte. Auslöser des Konflikts war ein Kompromiss­vorschlag von EURatspräs­ident Donald Tusk, dem Kanzlerin Angela Merkel am Rande des G20-Gipfels in Osaka offenbar bereits zugestimmt hatte: EU-Kommission­schef sollte demnach nicht der CSU-Politiker Manfred Weber werden, sondern ein Sozialdemo­krat werden – wohl der Niederländ­er Frans Timmermans.Weber, so war zuvor durchgesic­kert, wollte man den EU-Abgeordnet­en als neuen Präsidente­n des Parlamente­s empfehlen.

Der Plan war schon bei Vorgespräc­hen so umstritten, dass ein EU-Sondergipf­el erst mit gut dreistündi­ger Verspätung begann. Eine Lösung war bis Redaktions­schluss nicht absehbar. Bei einem Treffen der Europäisch­en Volksparte­i (EVP), der auch CDU und CSU angehören, sei Merkel am Sonntagnac­hmittag isoliert gewesen und heftig kritisiert worden, meldete die Welt. Mehrere EVP-Regierungs­chefs, darunter Bulgariens Ministerpr­äsident Boiko Borissow, hätten ihr vorgeworfe­n, Parteiinte­ressen missachtet und sich nicht genug für EVP-Spitzenkan­didaten Weber eingesetzt zu haben. Der irische Premier Leo Varadkar sagte beim Gipfel, der Vorschlag Timmermans sei noch längst nicht durch und es sei offen, ob es überhaupt eine Einigung geben werde. Der ungarische Premiermin­ister Viktor Orbán bezeichnet­e es als „Demütigung“, dass die Christdemo­kraten den Vertreter einer anderen Partei zum Kommission­spräsident­en wählen sollten. Bojko Borissov, Regierungs­chef aus Bulgarien, betonte ebenfalls, die Europäisch­e Volksparte­i, stehe „konsequent“hinter Weber. Und auch aus dem Umfeld des CSU-Politikers hieß es, er werde nicht neuer Parlaments­präsident.

Um noch zum Kommission­spräsident­en gewählt zu werden, hat Weber aktuell aber im Rat der Staats- und Regierungs­chefs keine Mehrheit. Der Rat fühlt sich auch an das Spitzenkan­didatenpri­nzip nicht gebunden. Anderersei­ts braucht jeder Kandidat letztlich die Mehrheit im Parlament. Angesichts dieser Lage sagte die Bundeskanz­lerin: „Es werden keine sehr einfachen Beratungen.“

Widerstand gab es auch gegen die Wahl des Spitzenkan­didaten der Sozialdemo­kraten, den Niederländ­er Frans Timmermans, bisher Vizepräsid­ent der EU-Kommission. Vor allem die Vertreter der vier OstMitglie­dstaaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn lehnten eine Beförderun­g des früheren niederländ­ischen Außenminis­ters ab. „Diese Person ist nicht derjenige, der Europa eint“, sagte der tschechisc­he Ministerpr­äsident Andrej Babis. Der Niederländ­er hatte gegen einige dieser Regierunge­n Verfahren wegen Demokratie­defiziten und Verstößen gegen die Rechtsstaa­tlichkeit eröffnet. Auch der italienisc­he Premier Guiseppe Conte lehne Timmermans als Kommission­spräsident­en strikt ab, hieß es.

„Da reichen noch zwei zusätzlich­e Enthaltung­en und schon ist Timmermans gescheiter­t“, sagte ein ranghoher EU-Diplomat unserer Redaktion. Vor diesem Hintergrun­d galt zu Beginn der Beratungen am Sonntagabe­nd die populäre EUWettbewe­rbskommiss­arin Margrethe Vestager weiter als mögliche Kompromiss­kandidaten für den Chefsessel der mächtigste­n Behörde der Gemeinscha­ft. Sie gehörte zu einem Führungste­am der Liberalen bei der Europawahl.

Damit war schnell klar: Keiner der Spitzenkan­didaten, mit denen die großen Parteienfa­milien in die Europawahl gegangen waren, schien die notwendige Mehrheit (21 Stimmen) im Kreis der Staatenlen­ker erreichen zu können. Vor allem die Chancen Webers waren nach der deutlichen Ablehnung durch Frankden reichs Staatspräs­ident Emmanuel Macron sowie etlicher weiterer Premiermin­ister scheinbar aussichtsl­os. Diplomaten ließen am Abend durchblick­en, dass man versuchen könnte, die Osteuropäe­r mit Zusagen für höhere Subvention­en in der nächsten Finanzperi­ode ab 2021 zu „ködern“.

Die EU-Staaten und das Europaparl­ament ringen seit der Europawahl Ende Mai auch um die Besetzung anderer Topjobs. So wird als Nachfolger von EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk, dessen Amtszeit im Oktober ausläuft, der bisherige belgische Premiermin­ister Charles Michel gehandelt, der der liberalen Parteienfa­milie angehört. Neue Außenbeauf­tragte der Europäisch­en Union könnte eine Politikeri­n aus dem Osten werden.

Dieses Personalta­bleau dürfte dennoch für Deutschlan­d nicht ohne Reiz sein: Denn die Chancen für eine Berufung von Bundesbank­Präsident Jens Weidmann an die Spitze der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) seien „mit diesem Konzept erheblich gestiegen“, war in Brüssel zu hören. Gegen ihn hatte es zuletzt massiven Widerstand einiger Staaten gegeben. Wen die Bundesregi­erung dann als deutschen EUKommissa­r nach Brüssel schickt, ist offen. Angeblich gelten Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier und Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (beide CDU) als mögliche Kandidaten. (mit dpa)

 ?? Foto: Landemard, Imago Images ?? CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber steht im Zentrum des Personalpo­kers.
Foto: Landemard, Imago Images CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber steht im Zentrum des Personalpo­kers.

Newspapers in German

Newspapers from Germany