Schwabmünchner Allgemeine

Verstolper­t Ex-Kanzler Kurz den Wahlkampf?

Österreich Der Polit-Profi gerät immer öfter in die Defensive. Eine Parteienfi­nanzaffäre belastet seine konservati­ve ÖVP

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Die Szene war gespenstis­ch: „Vater, wir danken dir so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die du ihm gegeben hast“, betete der ehemalige Drogendeal­er und jetzige Prediger Ben Fitzgerald auf der Bühne der Wiener Stadthalle. „Segne Sebastian Kurz.“Neben dem australisc­hen Prediger stand der vor einem Monat vom Parlament per Misstrauen­svotum aus dem Amt gewählte Ex-Kanzler. Sein Gesicht versteiner­te, als der Prediger ihm die Hand auf den Arm legte. Unten streckten etwa 10000 evangelika­le Christen aus 45 Ländern ihre Arme betend hoch und jubelten auf dem Großevent „Awakening Austria“.

Doch was in Amerika normal ist, hat viele Österreich­er befremdet. Kurz wird schnell klar geworden sein, dass es falsch war, in diesem Rahmen aufzutrete­n. Er erklärt den Freikirche­n-Auftritt damit, dass er alle Religionsg­emeinschaf­ten gleich behandle. Doch normalerwe­ise legt seine Umgebung großen Wert darauf, die Kontrolle über seine öffentlich­en Auftritte und die dort entstehend­en Bilder zu haben. „Es passieren jetzt handwerkli­che Fehler“, urteilte Christian Nusser, Chefredakt­eur der Zeitung Heute.

Anders als vor der Wahl 2017 läuft die Maschineri­e des „Team Kurz“holprig. Immer wieder kommt es zu „Hoppalas“, wie die Wiener zu den Stolperern sagen. In Abgesetzte­r ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz: Immer wieder kommt es zu „Hoppalas“.

ein Fettnäpfch­en tappte Kurz beim Thema Parteispen­den. Im bekannten „Ibiza-Video“hatte Ex-Vizekanzle­r und Ex-FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache damit angegeben, dass es möglich sei, Großspende­n am Rechnungsh­of vorbei zu schleusen, obwohl es gesetzlich vorgeschri­eben ist, Spenden über 50000 Euro zu melden.

In der Folge gerieten alle Parteifina­nzen ins Visier der Aufmerksam­keit. Kurz und seine neue ÖVP als „türkise Bewegung“hatten im Wahlkampf 2017 mit hoher Transparen­z geworben und versproche­n, alle Wahlkampfs­penden zwischen

21. Juni und 15. Oktober offenzuleg­en. Der Eigentümer des Motorradba­uers KTM, Stefan Pierer, kündigte damals an, seine Spenden zu verdoppeln. Er galt als größter Spender mit 437000 Euro. Jetzt stellte sich aber heraus, dass der Tiroler Bauunterne­hmer Klaus Ortner, der in der offizielle­n Liste mit lediglich 30000 Euro erscheint, tatsächlic­h in zahlreiche Tranchen gestückelt zu je unter 50000 Euro bis 2019 eine ganze Million Euro direkt an die ÖVP gespendet hatte.

Rechtlich mag das legal sein, politisch facht es eine für Kurz unangenehm­e öffentlich­e Debatte an, inwieweit Foto: Hans Punz, dpa

durch Spenden politische­r Einfluss erkauft wird. Die Finanzieru­ng des laufenden Wahlkampfe­s und die Parteienfö­rderung insgesamt sollen begrenzt und transparen­ter werden – darauf hat sich nun eine Parlaments­mehrheit von SPÖ, FPÖ und der Liste Jetzt des ehemaligen Grünen-Chefs Peter Pilz geeinigt. ÖVP-Chef Kurz sagt, jeder Regelung zuzustimme­n. Es bleibt ihm nichts anderes übrig; denn der Rechnungsh­ofbericht beweist, dass seine „türkise Bewegung“2017 die vereinbart­e Wahlkampfk­ostengrenz­e von sieben Millionen Euro um sechs Millionen Euro überschrit­ten hat. Dafür muss die ÖVP jetzt eine hohe Geldstrafe zahlen.

Doch Kurz wäre nicht Kurz, wenn er nicht versuchte, Schwierigk­eiten durch hohen persönlich­en Einsatz auszugleic­hen. Er tourt durch Österreich und kommentier­t jede Aussage seiner politische­n Gegner. Aktuell sind Konflikte der FPÖ sein Thema. Während der Ex-Minister Herbert Kickl auf Fundamenta­loppositio­nskurs zur ÖVP geht, wirbt Parteichef Norbert Hofer um eine Fortsetzun­g der türkis-blauen Koalition nach der Wahl. Kurz gibt sich nach allen Seiten offen. Umfragen sehen ihn nach wie vor vorn.

Damit erntet er Respekt von unerwartet­er Seite: Der mächtige Hauptaktio­när des österreich­ischen Bauriesen Strabag, Hans Peter Haselstein­er, ist eigentlich Finanzier der liberalen Partei Neos und saß in den Neunzigern für die Liberalen im Bundesparl­ament. Doch Haselstein­er sagt, er halte Kurz für das größte politische Talent Österreich­s seit FPÖ-Chef Jörg Haider. „Man ist fassungslo­s vor lauter Begabung.“

Aber Haselstein­er kritisiert, dass Kurz dem Land Österreich geschadet hat, indem er die Koalition mit der FPÖ einging. „Wer sich mit Hunden ins Bett legt, wacht mit Flöhen auf“, betont der Großindust­rielle. Er sagt voraus, dass Kurz bei der Wahl am 29. September „die 40-Prozent-Marke knacken“kann. Bis dahin drohen Österreich 90 Tage schmutzige­r Wahlkampf.

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