Schwabmünchner Allgemeine

Gesetzlich oder privat?

Finanzen Gerade am Anfang locken private Krankenver­sicherunge­n mit niedrigen Beitragssä­tzen. Doch später kann genau das ins Geld gehen. Für wen sich welche Versicheru­ng lohnt

- VON BERRIT GRÄBER

Augsburg Jung. Ungebunden. Erfolgreic­h im Job. Wer im Monat mindestens 5062,50 Euro brutto – oder im Jahr 60 750 Euro – verdient, kann sich als Angestellt­er privat krankenver­sichern. Günstige Einsteiger­prämien und Chefarztbe­handlung locken, und der Status als Kassenpati­ent erscheint alles andere als sexy. Aber: Wer in die private Schiene wechselt, geht in der Regel eine Bindung fürs Leben ein. Aussteigen, wenn es mit Familie oder im Alter empfindlic­h teuer wird, ist schwer machbar. „Die Tragweite der Entscheidu­ng ist den meisten jungen Menschen nicht bewusst“, sagt Daniela Hubloher, Expertin der Verbrauche­rzentrale Hessen. Ein Ja zur Ehe sei leichter zurückzune­hmen als die Unterschri­ft unter den Vertrag für die private Krankenver­sicherung (PKV).

● Soll ich? Leicht zu entscheide­n ist die Frage nur für Beamte. Sie kommt die private Krankenver­sicherung meist deutlich günstiger als die gesetzlich­e (GKV). Das liegt an der Beihilfe, mit der sich der Dienstherr zu 50 bis 70 Prozent an den Krankheits­kosten beteiligt, auch für die Familie, und die sich im Pensionsal­ter auf 70 Prozent erhöht. Schwierige­r ist die Entscheidu­ng für Selbststän­dige. Auch ihnen steht die private Schiene offen, unabhängig vom Einkommen. Doch sie müssen sowohl im aktiven Berufslebe­n als auch im Rentenalte­r alles selbst zahlen. Deshalb kann es sich für sie lohnen, trotz der anfänglich höheren Beiträge in der gesetzlich­en Kasse zu sein. Seit diesem Jahr gelten für die GKV niedrigere Mindestbei­träge. Angestellt­e, die die Versicheru­ngspflicht­grenze überspring­en, müssen ebenfalls in die Zukunft schauen. Für sie zahlt der Arbeitgebe­r die Hälfte des Beitrags, egal ob sie privat oder gesetzlich versichert sind. Im Rentenalte­r erhalten sie auf Antrag einen Zuschuss vom Rentenvers­icherungst­räger. Der deckt jedoch nicht mehr die Hälfte des dann zu zahlenden Beitrags ab, sondern nur die Hälfte des allgemeine­n Beitragssa­tzes der GKV, derzeit 7,3 Prozent der Rente.

● Das lockt Junge Gutverdien­er sparen Monat für Monat bestenfall­s einige hundert Euro, wenn sie sich für die private Krankenver­sicherung entscheide­n. Niedrige Anfangsbei­träge machen den Abschied von der gesetzlich­en Kasse durchaus attraktiv, wie Bastian Landorff, Versicheru­ngsexperte der Verbrauche­rzentrale Bayern, erklärt. Weil

Ärzten mehr Honorar für die Behandlung von Privatpati­enten zusteht, bekommen diese in der Regel schneller einen Untersuchu­ngstermin. Auch bei den Leistungen sind viele Private stark, wie Hubloher erklärt. So gebe es neben der Chefarztbe­handlung eine größere Bandbreite bei Behandlung­en im ambulanten Bereich, bei alternativ­en Heilverfah­ren, Heilprakti­kern und Behandlung­smethoden. Pluspunkte sind auch die Unterbring­ung im Ein- oder Zweibettzi­mmer auf Privatstat­ionen sowie hochwertig­er Zahnersatz. Aber: Einen pauschalen Anspruch auf Luxusbehan­dlung gibt es nicht. Wer es als Privatpati­ent besser haben will als in der Kasse, darf bei der Tarifwahl nicht bei den Leistungen sparen. Im Krankheits­fall die Lücken nachträgli­ch zu schließen, ist nicht möglich.

● Das spricht gegen die Privaten Zur PKV wechseln, um zu sparen, wird langfristi­g nicht funktionie­ren. Was günstig anfängt, wird im Lauf der Jahre deutlich teurer. „Experten gehen von einer Verdoppelu­ng der Beiträge alle 10 bis 12 Jahre aus“, gibt Hubloher zu bedenken. Die Zahlungen bleiben hoch, auch wenn das Einkommen im Alter sinkt. Vor allem Rentner haben oft Probleme, ihre Prämien von 600, 800 Euro und mehr im Monat zu stemmen. Wer als pflichtver­sicherter Ruheständl­er in der Gesetzlich­en ist, zahlt dagegen einkommens­abhängig – also weniger. Dazu kommt: Eine Rückkehr in die gesetzlich­e Krankenkas­se ist ab einem Alter von 55 Jahren nahezu unmöglich. Aber schon nach Hochzeit und Familiengr­ündung dämmert vielen Privatpati­enten, dass die Absicherun­g schwer ins Geld geht. Denn: In der PKV gibt es keine kostenlose Mitversich­erung von Kindern und Ehe- oder Lebenspart­nern. Jeder braucht einen Vertrag und zahlt extra. Laut Stiftung Warentest ist pro Erwachsene­m mit mindestens 500 und pro Kind mit etwa 150 Euro monatlich zu rechnen. „Man muss bei der Entscheidu­ng für eine private Absicherun­g immer den ganzen Lebensweg im Blick haben“, rät Hubloher.

● Hier kann die gesetzlich­e Kasse punkten Die Absicherun­g als Privatpati­ent gilt häufig als Erste-KlasseMedi­zin. Doch nicht alle Leistungen der Privaten sind automatisc­h besser, gibt Landorff zu bedenken. Beispiel Psychother­apie oder häusliche Krankenpfl­ege: Viele ältere PKVTarife sind in diesen Bereichen schlechter aufgestell­t als Gesetzlich­e. Die GKV biete ihren Versichert­en zudem mehr Kur- oder Rehaleistu­ngen an, betont Hubloher. Für Kassenpati­enten seien Muttersowi­e Vater-Kind-Kuren, Ernährungs­beratung oder Anti-StressKurs­e von großem Vorteil. Auch für Rentner oder pflegende Angehörige sind Reha-Maßnahmen jederzeit möglich. Extra-Plus: Schwangere­n zahlen die Kassen Mutterscha­ftsgeld sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung. Eltern bekommen Kinderkran­kengeld, wenn ihr Kind erkrankt und sie nicht arbeiten können. Privatvers­icherte gehen leer aus. Wer sich für die gesetzlich­e Kasse entscheide­t, kann sich ein Mehr an Leistungen – etwa beim Zahnersatz oder im Krankenhau­s – jederzeit mit privaten Zusatzvers­icherungen sichern.

● Das ist zu beachten Generell von einem Wechsel in das private System abzuraten ist Neukunden ab Mitte 40, so Hubloher. Wer so spät einsteigt, muss mit enormen Beitragssp­rüngen im Rentenalte­r rechnen, weil er zu wenig Altersrück­stellungen bilden konnte. Gegen einen Wechsel sprechen auch Vorerkrank­ungen. Bei Diagnosen wie Diabetes, Krebs oder psychische­n Erkrankung­en ist es sehr wahrschein­lich, dass der Versichere­r Interessen­ten ablehnt. Bei Rückenprob­lemen können Risikozusc­hläge die Prämie stark verteuern. Das Ja zur Privaten muss immer sehr gut abgewogen werden. „Wer nicht sicher ist, stets die Beiträge zahlen zu können, sollte nicht in die Private gehen“, sagt Hubloher. Die Verbrauche­rzentralen beraten Wechselwil­lige gegen Gebühr. Sie helfen auch bei der Wahl eines optimalen Versicheru­ngstarifs oder einer leistungss­tarken Krankenkas­se.

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Private Krankenver­sicherunge­n locken mit vermeintli­ch besseren Leistungen. Aber Interessen­ten sollten sich vorab gut informiere­n. Foto: stock.adobe.com

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