Schwabmünchner Allgemeine

Schluss mit Badespaß?

Haftung Viele bayerische Gemeinden machen Sprungtürm­e, Rutschen und Flöße an ihren Seen dicht. Nach einem Urteil fürchten sie Klagen, falls sich jemand verletzt. Und was machen die anderen?

- VON JONATHAN MAYER

Ammersee Vor wenigen Monaten war hier noch alles wie immer. Kinder rutschten vom Festland aus ins Wasser, Jugendlich­e und Erwachsene sonnten sich auf einem Holzfloß im See. Das Naturbad St. Alban in der Gemeinde Dießen bot viel Abwechslun­g. Heute sind die Rutschen abmontiert, das Floß fehlt, das Naturbad ist kein Naturbad mehr. Nur zwei Stege führen noch ins Wasser. Der Grund: Ein Urteil des Bundesgeri­chtshofs aus dem Jahr 2017, das jetzt seine Wirkung zeigt.

Damals beschlosse­n die Karlsruher Richter die sogenannte Beweislast­umkehr für Badeunfäll­e. Das heißt: Kommt es zu einem Zwischenfa­ll, muss nicht der Geschädigt­e beweisen, dass die Gemeinde als Betreiber Schuld hat. Stattdesse­n muss die Gemeinde beweisen, dass sie keine grob fahrlässig­en Fehler begangen hat.

Im Hintergrun­d des Urteils steht ein Unfall aus dem Jahr 2010: Eine Zwölfjähri­ge hatte sich in einem See in Rheinland-Pfalz in einem Seil an einer Boje verfangen. Minutenlan­g war das Kind unter Wasser, bis die Badeaufsic­ht es entdeckte und einschritt. Das Mädchen überlebte, erlitt jedoch schwere Hirnschäde­n und ist seitdem schwerbehi­ndert. Die Familie klagte auf Schmerzens­geld, der BGH stellte einen grob fahrlässig­en Pflichtver­stoß der Badeaufsic­ht fest – und verschärft­e die Regeln. Sobald ein Seebad über Einrichtun­gen wie Flöße, Rutschen oder Sprungtürm­e verfügt und Eintritt verlangt, spricht man von einem „Naturbad“. Eine Badeaufsic­ht ist dann zwingend notwendig.

Derzeit gibt es in Bayern rund 334 kommunale Naturbäder und mehr als 900 große und mittlere Badeseen. Aber: Es gibt nicht genügend Bademeiste­r. Laut Bundesverb­and fehlen deutschlan­dweit knapp 2500.

In Dießen ist das „Naturbad“mit Rutschen und Floß heute deshalb eine „Badestelle“, ohne Rutschen, ohne Floß, ohne Badeaufsic­ht und ohne Eintrittsp­reise. Keine leichte Entscheidu­ng, wie Bürgermeis­ter Herbert Kirsch erklärt. „Aber die Alternativ­e wäre eine permanente Badeaufsic­ht gewesen, das hätte uns im Jahr 100 000 Euro gekostet.“Und die Gemeinde hätte vier bis fünf Bademeiste­r einstellen müssen. „Das Personal dafür gibt es nicht.“

Die Badegäste freut die Veränderun­g an der Badestelle nicht gerade. Evelyn Kleber, blondes Haar, sonnengebr­äunte Haut, sitzt im Halbschatt­en einer Birke direkt am See. Rechts die beiden Stege im Wasser, in der Ferne ragen die Alpen in die Höhe. Es ist angenehm warm. Die 66-Jährige schwimmt fast jeden Tag im Ammersee. Sie sagt: „Durch solche Entscheidu­ngen wird man immer mehr eingeschrä­nkt. Die meisten Unfälle passieren ja nicht wegen der Gerätschaf­ten.“Sie selbst habe das Floß oft und gerne benutzt, um sich zu sonnen. Die Entscheidu­ng des Gemeindera­tes die Geräte abzubauen könne sie aber verstehen.

Zehn Kilometer nördlich von Dießen, in Utting, ist das Naturbad noch immer ein Naturbad und der knapp zehn Meter hohe Sprungturm, als Fotomotiv bekannt, steht dort, wo er seit Jahrzehnte­n steht. Der dortige Gemeindera­t hatte sich gegen eine Schließung entschiede­n, aber weitreiche­nde Veränderun­gen eingeführt. Eine davon ist im Naturbad deutlich zu sehen. Über einen hölzernen Steg geht es zum Sprungturm. Die Tür zum Treppenauf­gang wurde erst zu Beginn dieser Badesaison eingebaut. Das Holz ist noch deutlich heller als der Rest des Turms. Bürgermeis­ter Josef Lutzenberg­er erklärt: „Wir mussten dafür sorgen, dass außerhalb der Öffnungsze­iten niemand nach oben kommt.“

Lange hat man in Utting über die Schließung diskutiert. Am Ende entschied sich der Gemeindera­t für den Sprungturm, vor allem, weil er einer der zentralen Treffpunkt­e der 4000-Einwohner-Gemeinde ist. Lutzenberg­er: „Das ist ein Stück Lebensqual­ität. Junge Leute werden in dem Bad sozialisie­rt. Da lernt man Umgangsfor­men, Schwimmreg­eln und so weiter.“

Die Entscheidu­ng hat aber nicht nur Vorteile. Rupert Riedel, Pächter des Kiosk und zugleich Rettungssc­hwimmer im Bad, sieht die Entwicklun­g mit gemischten Gefühlen: „Eigentlich ist es völliger Wahnsinn, das Bad unter diesen Bedingunge­n weiterzube­treiben.“Der 52-Jährige steht im Schatten eines Baumes, den Blick fest auf den Turm und den See darunter gerichtet. Dutzende Kinder springen vom Vier-Meter-Brett ins kühle Wasser. Für ihn hat sich nach dem Urteil einiges verändert. Denn auch wenn er im Notfall einschreit­et und jemandem das Leben rettet, könne er noch verklagt werden. „Wie will ich denn beweisen, dass ich nichts dafür kann?“Das Unfallrisi­ko gebe es beim Baden eben immer.

 ??  ?? Trotz eines BGH-Urteils bleibt der Sprungturm in Utting am Ammersee geöffnet – mit verschärft­en Regeln. Die Öffnungsze­iten wurden angepasst, Rettungssc­hwimmer eingestell­t und eine Tür versperrt nach Betriebssc­hluss den Zugang. Fotos: Jonathan Mayer
Trotz eines BGH-Urteils bleibt der Sprungturm in Utting am Ammersee geöffnet – mit verschärft­en Regeln. Die Öffnungsze­iten wurden angepasst, Rettungssc­hwimmer eingestell­t und eine Tür versperrt nach Betriebssc­hluss den Zugang. Fotos: Jonathan Mayer
 ??  ?? Evelyn Kleber aus Dießen vermisst das Floß im Ammersee.
Evelyn Kleber aus Dießen vermisst das Floß im Ammersee.

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