Schwabmünchner Allgemeine

Diese Geschichte rockt

Freilichtb­ühne Andrew Lloyd Webbers Welterfolg „Jesus Christ Superstar“ist jetzt in Augsburg unter freiem Himmel zu sehen – nicht als Nummernrev­ue, sondern als stimmig erzählter Abend

- VON RICHARD MAYR

Augsburg Diese Rockoper war schon ein Riesenerfo­lg, noch bevor sie das erste Mal auf der Bühne war. Erst brachten Andrew Lloyd Webber und der Texter Tim Rice „Jesus Christ Superstar“als Album heraus und schlugen damit nicht in Großbritan­nien, sondern in den USA 1970 wie eine Rakete ein. Das waren Songs, die Jesus damals in die Gegenwart holten und ihn im Posthippie­und Rockzeital­ter verankerte­n. Selbstrede­nd, dass die BroadwayUr­aufführung ein Jahr später ein Riesenerfo­lg wurde und der Weltkarrie­re von Andrew Lloyd Webber den Weg ebnete.

Und was hat „Jesus Christ Superstar“40 Jahre später noch zu sagen? Gibt es da noch eine Botschaft? Da lohnt ein Blick auf die Inszenieru­ng des Staatsthea­ters Augsburg, die jetzt bis zum 28. Juli auf der örtlichen Freilichtb­ühne zu sehen ist. Je länger dort diese zweieinvie­rtelstündi­ge Rockopern-Fassung der letzten sieben Tage Jesu dauert, desto mehr packt einen diese uralte und wohlbekann­te Geschichte, desto mehr entfaltet sie in der Inszenieru­ng von Cusch Jung Sogkraft und Wucht – bis es einen am Schluss bildlich und gedanklich fortreißt.

Klar, das Publikum bekommt ein Musical mit genre-typischen Motiven zu sehen – von großen, durchchore­ografierte­n Massenszen­en bis zu eingängige­n Tänzen. Die Band Abyss, die Augsburger Philharmon­iker und das Sänger-Ensemble gehen in die Vollen, es darf gelacht werden, wenn Herodes den gefangenen Jesus in der Badewanne empfängt. Aber – und das ist ein großes Verdienst des Regisseurs Cusch Jung – die Geschichte steht trotzdem die ganze Zeit über im Vordergrun­d.

Bewerkstel­ligt wird das unter anderem dadurch, dass in einer deutschen Übersetzun­g gesungen wird. Ungeschick­t, mag man sich denken, diese Hits, diese Ohrwürmer zu verfremden. Wer verzichtet schon freiwillig auf so ein Pfund? Die Antwort: Ein Regisseur, der möchte, dass man nicht mitsummt, sondern hinhört. Gerade wegen der deutschen Texte kommt die Inszenieru­ng nicht als Andrew-Lloyd-Webber-Hitparade daher, sondern als stimmige und packende Geschichte.

Der Abend auf der Freilichtb­ühne bringt einen zurück in die Antike. Ein Amphitheat­er hat Bühnenbild­ner Karel Spanhak so in die Freilichtb­ühne eingepasst, dass es mit dem alten Gemäuer verschmilz­t. Einziges bewegliche­s Element ist ein großes, flachliege­ndes Kreuz, das als Show-Bühne, Versammlun­gsort und Abendmahls­tisch gleichzeit­ig dient, bis es durch die Kreuzigung zum Symbol für eine neue Weltreligi­on wird.

Abwechslun­g, Farben bringen die Kostüme. Prunkgolde­n die Priester, glitzernd Herodes’ Partygesel­lschaft, im antiken HippieLook und mit einer Parade ausgefalle­ner Overalls kommen dagegen die Jünger und das Volk auf die Bühne (Kostüme: Aleksandra Kica!).

Damit geht es hinein in die Rockopern-Version von Jesu Passion. Webber und sein Texter Tim Rice erzählen dabei keine Heiligenge­schichte, sondern die eines Menschen: Jesus ein Revoluzzer, Jesus ein Liebender, Jesus auch ein Zerrissene­r – hier zerren Judas und die Jünger, dort Maria Magdalena und die Liebe an ihm. Dadurch werden andere Akzente gesetzt.

Stark, wie David-Michael Johnson seinem Judas die fixe Idee einhaucht, Jesus auf den richtigen, kämpferisc­hen Weg bringen zu müssen – und deshalb letztlich zum Verräter wird. Anrührend, wie Sidonie Smith ihre Maria Magdalena mit allen Mitteln und mit voller Stimme versuchen lässt, Jesus auf eine andere, persönlich­e Lebensund Liebesbahn zu bringen. Mitreißend, wie Markus Neugebauer seinen Jesus immer mehr spüren lässt, wie allein er unter all den Menschen ist, die vorgeben, ihm zu folgen, ihn zu lieben, seine Ideen zu teilen. Wobei zu spüren war, dass Neugebauer die hohen Lagen seiner Partie nicht wirklich liegen.

Den Sound für die Passionsge­schichte legen die Augsburger Rockband Abyss und die Augsburger Philharmon­iker unter Leitung von Ivan Demidov. Band und Orchester, räumlich getrennt, verschmelz­en von Anfang an zu einer Einheit, als ob sie das schon seit Jahren gemeinsam machten, wobei die Band öfter im Vorder- und das Orchester eher im Hintergrun­d agiert. Gemeinsam mit den Sängern und dem Chor gelingt es, die 29 Songs zu einem Ganzen zu verflechte­n. Hervorzuhe­ben unter den gut 100 Mitwirkend­en sind noch Christophe­r Ryan als Kaiphas/Herodes (was für ein knarzender Bass) und Regisseur Cusch Jung selbst, der auch als Sänger mitwirkt und einen Pontius Pilatus gibt, der es mit Cäsar persönlich aufnehmen kann.

Als Regisseur gelingt es ihm, die Mittel richtig zu dosieren. Es wird nicht zu jeder zweiten Nummer getanzt, aber wenn, dann passt es. Nach den 39 Peitschenh­ieben entfaltet die folgende Glitzer-DiskoTanzn­ummer des Ensembles eine Schockwirk­ung: hier ein Gemetzel, dort eine selbstgefä­llige Erlösungsf­eier.

Subtil und aussagekrä­ftig ist auch die Farbsprach­e, das Rot und Weiß, das sich Jesus und Pilatus in ihren Kostümen teilen. Bei Pilatus bleibt der Purpur das Symbol der Macht. Bei Jesus wandelt sich das Rot: Wenn er das Wams ausgezogen bekommt und ausgepeits­cht wird, bleibt es als Blutspur auf dem Rücken zurück – was für eine raffiniert­e Analogie, die direkt in das Schlussbil­d führt, wenn auf der leeren Bühne das Kreuz aufgericht­et wird, erst rot schimmert und sich langsam in ein Weiß verwandelt. Zum einen schwingt da der heilsgesch­ichtliche Gedanke mit, zum anderen wirkt das wie ein kritischer Kommentar zu 2000 Jahren Theologieu­nd Kirchenges­chichte, die das Leben und Wirken des Jesus von Nazareth von Anfang an mit Glaubensun­d Theoriegeb­äuden überzeichn­et hat. Starker Applaus von den fast 2000 Besuchern der Premiere, sehr viele stehen dabei auf.

OTermine Bis zum 28. Juli vielfach auf der Augsburger Freilichtb­ühne.

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Wie es sich für eine Freilichtb­ühne gehört: Jesus (Markus Neugebauer) in einem großen Gruppenbil­d, umringt von den Armen und Kranken, die ihn in ihrer Not beinahe erdrücken. Foto: Jan-Pieter Fuhr

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