Diese Geschichte rockt
Freilichtbühne Andrew Lloyd Webbers Welterfolg „Jesus Christ Superstar“ist jetzt in Augsburg unter freiem Himmel zu sehen – nicht als Nummernrevue, sondern als stimmig erzählter Abend
Augsburg Diese Rockoper war schon ein Riesenerfolg, noch bevor sie das erste Mal auf der Bühne war. Erst brachten Andrew Lloyd Webber und der Texter Tim Rice „Jesus Christ Superstar“als Album heraus und schlugen damit nicht in Großbritannien, sondern in den USA 1970 wie eine Rakete ein. Das waren Songs, die Jesus damals in die Gegenwart holten und ihn im Posthippieund Rockzeitalter verankerten. Selbstredend, dass die BroadwayUraufführung ein Jahr später ein Riesenerfolg wurde und der Weltkarriere von Andrew Lloyd Webber den Weg ebnete.
Und was hat „Jesus Christ Superstar“40 Jahre später noch zu sagen? Gibt es da noch eine Botschaft? Da lohnt ein Blick auf die Inszenierung des Staatstheaters Augsburg, die jetzt bis zum 28. Juli auf der örtlichen Freilichtbühne zu sehen ist. Je länger dort diese zweieinviertelstündige Rockopern-Fassung der letzten sieben Tage Jesu dauert, desto mehr packt einen diese uralte und wohlbekannte Geschichte, desto mehr entfaltet sie in der Inszenierung von Cusch Jung Sogkraft und Wucht – bis es einen am Schluss bildlich und gedanklich fortreißt.
Klar, das Publikum bekommt ein Musical mit genre-typischen Motiven zu sehen – von großen, durchchoreografierten Massenszenen bis zu eingängigen Tänzen. Die Band Abyss, die Augsburger Philharmoniker und das Sänger-Ensemble gehen in die Vollen, es darf gelacht werden, wenn Herodes den gefangenen Jesus in der Badewanne empfängt. Aber – und das ist ein großes Verdienst des Regisseurs Cusch Jung – die Geschichte steht trotzdem die ganze Zeit über im Vordergrund.
Bewerkstelligt wird das unter anderem dadurch, dass in einer deutschen Übersetzung gesungen wird. Ungeschickt, mag man sich denken, diese Hits, diese Ohrwürmer zu verfremden. Wer verzichtet schon freiwillig auf so ein Pfund? Die Antwort: Ein Regisseur, der möchte, dass man nicht mitsummt, sondern hinhört. Gerade wegen der deutschen Texte kommt die Inszenierung nicht als Andrew-Lloyd-Webber-Hitparade daher, sondern als stimmige und packende Geschichte.
Der Abend auf der Freilichtbühne bringt einen zurück in die Antike. Ein Amphitheater hat Bühnenbildner Karel Spanhak so in die Freilichtbühne eingepasst, dass es mit dem alten Gemäuer verschmilzt. Einziges bewegliches Element ist ein großes, flachliegendes Kreuz, das als Show-Bühne, Versammlungsort und Abendmahlstisch gleichzeitig dient, bis es durch die Kreuzigung zum Symbol für eine neue Weltreligion wird.
Abwechslung, Farben bringen die Kostüme. Prunkgolden die Priester, glitzernd Herodes’ Partygesellschaft, im antiken HippieLook und mit einer Parade ausgefallener Overalls kommen dagegen die Jünger und das Volk auf die Bühne (Kostüme: Aleksandra Kica!).
Damit geht es hinein in die Rockopern-Version von Jesu Passion. Webber und sein Texter Tim Rice erzählen dabei keine Heiligengeschichte, sondern die eines Menschen: Jesus ein Revoluzzer, Jesus ein Liebender, Jesus auch ein Zerrissener – hier zerren Judas und die Jünger, dort Maria Magdalena und die Liebe an ihm. Dadurch werden andere Akzente gesetzt.
Stark, wie David-Michael Johnson seinem Judas die fixe Idee einhaucht, Jesus auf den richtigen, kämpferischen Weg bringen zu müssen – und deshalb letztlich zum Verräter wird. Anrührend, wie Sidonie Smith ihre Maria Magdalena mit allen Mitteln und mit voller Stimme versuchen lässt, Jesus auf eine andere, persönliche Lebensund Liebesbahn zu bringen. Mitreißend, wie Markus Neugebauer seinen Jesus immer mehr spüren lässt, wie allein er unter all den Menschen ist, die vorgeben, ihm zu folgen, ihn zu lieben, seine Ideen zu teilen. Wobei zu spüren war, dass Neugebauer die hohen Lagen seiner Partie nicht wirklich liegen.
Den Sound für die Passionsgeschichte legen die Augsburger Rockband Abyss und die Augsburger Philharmoniker unter Leitung von Ivan Demidov. Band und Orchester, räumlich getrennt, verschmelzen von Anfang an zu einer Einheit, als ob sie das schon seit Jahren gemeinsam machten, wobei die Band öfter im Vorder- und das Orchester eher im Hintergrund agiert. Gemeinsam mit den Sängern und dem Chor gelingt es, die 29 Songs zu einem Ganzen zu verflechten. Hervorzuheben unter den gut 100 Mitwirkenden sind noch Christopher Ryan als Kaiphas/Herodes (was für ein knarzender Bass) und Regisseur Cusch Jung selbst, der auch als Sänger mitwirkt und einen Pontius Pilatus gibt, der es mit Cäsar persönlich aufnehmen kann.
Als Regisseur gelingt es ihm, die Mittel richtig zu dosieren. Es wird nicht zu jeder zweiten Nummer getanzt, aber wenn, dann passt es. Nach den 39 Peitschenhieben entfaltet die folgende Glitzer-DiskoTanznummer des Ensembles eine Schockwirkung: hier ein Gemetzel, dort eine selbstgefällige Erlösungsfeier.
Subtil und aussagekräftig ist auch die Farbsprache, das Rot und Weiß, das sich Jesus und Pilatus in ihren Kostümen teilen. Bei Pilatus bleibt der Purpur das Symbol der Macht. Bei Jesus wandelt sich das Rot: Wenn er das Wams ausgezogen bekommt und ausgepeitscht wird, bleibt es als Blutspur auf dem Rücken zurück – was für eine raffinierte Analogie, die direkt in das Schlussbild führt, wenn auf der leeren Bühne das Kreuz aufgerichtet wird, erst rot schimmert und sich langsam in ein Weiß verwandelt. Zum einen schwingt da der heilsgeschichtliche Gedanke mit, zum anderen wirkt das wie ein kritischer Kommentar zu 2000 Jahren Theologieund Kirchengeschichte, die das Leben und Wirken des Jesus von Nazareth von Anfang an mit Glaubensund Theoriegebäuden überzeichnet hat. Starker Applaus von den fast 2000 Besuchern der Premiere, sehr viele stehen dabei auf.
OTermine Bis zum 28. Juli vielfach auf der Augsburger Freilichtbühne.