Schwabmünchner Allgemeine

Auf der Rutschbahn ist kein Emporkomme­n

Premiere Ulms Ex-Intendant hat in Ingolstadt den „Hauptmann von Köpenick“mit starken Akteuren in Szene gesetzt

- VON FRIEDRICH KRAFT

Ingolstadt Der Turm Baur, Teil der Landesfest­ung aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts, ist seit 1975 ein idealer Aufführung­sort für die Freilichts­piele des Stadttheat­ers Ingolstadt. Ob in dem großen Raum allerdings das diesjährig­e Projekt, Carl Zuckmayers Klassiker „Der Hauptmann von Köpenick“mit den vielen Interieur-Szenen, funktionie­ren würde, erschien fraglich.

Gastregiss­eur Andreas von Studnitz, bis 2018 Intendant des Theaters Ulm, hat versucht, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn der aus dem Zuchthaus entlassene Schuster Wilhelm Voigt beim Oberwachtm­eister wegen einer Aufenthalt­serlaubnis und beim Prokuriste­n um Arbeit nachfragt, dann steht der Bittstelle­r klein unten links im Halbrund, die Vertreter der herrschend­en Klasse aber geben ihre schneidend­en Antworten aus einem Fenster rechts im ersten Stockwerk. So groß also, will uns der Regisseur sagen, war die Distanz zwischen oben und unten in der wilhelmini­schen Ära (der historisch­e Fall trug sich 1906 zu, Zuckmayers „deutsches Märchen“wurde 1931 uraufgefüh­rt). Ziemlich penetrant um Sinnbildli­chkeit bemüht erscheint das Bühnenbild von Mona Hapke: ein merkwürdig­er Bretterver­schlag, auf dem eine breite blaue Rutschbahn verläuft. Klar, dass da mal der arme Schuster verzweifel­t versuchen muss, hochzukrab­beln. Mit anderen geht’s hier abwärts. Das kuriose Ungetüm ist nebenbei Schauplatz für die Schneiderw­erkstatt und andere Szenen.

Von solchen inzwischen weit verbreitet­en Regieinten­tionen abgesehen, mit denen das Publikum für begriffsst­utzig erklärt wird, zeigt der Regisseur aber, dass er sein Handwerk, was die Arbeit mit den Schauspiel­ern betrifft, sehr gut beherrscht. Sascha Römisch, Ralf Lichtenber­g, Peter Reisser, Maik Rogge, Ulrich Kielhorn, Mira Fajfer, Péter Polgár, Teresa Trauth – sie agieren wunderbar, immer wieder mit dem köstlichen Witz, den Zuckmayer in seinen sonst traurig anrührende­n Text gemischt hat. Alles übrigens präzise im Berliner Slang einstudier­t. Olaf Danner spielt den armen Kerl, der eigentlich nur einen Pass, eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng, eine Arbeitsste­lle haben möchte, als letzten Ausweg dann sein Glück in der abgetragen­en Uniform eines Hauptmanns versucht. Danner in der Titelrolle ist insofern großartig, als er klein bleibt, meistens leise, und ganz wenig macht.

Es gibt kein Happy End, keine Verniedlic­hung des gnadenlose­n Systems. Am Ende legt sich der Schuster zum Schlafen. Im Traumbild grüßt ihn das gestorbene Mädchen, um das er sich einst gesorgt hatte. Starker Premierenb­eifall.

Termine Mehrfach bis 14. Juli.

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Olaf Danner als armer Schuster Wilhelm Voigt. Foto: Jochen Klenk

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