Schwabmünchner Allgemeine

Worauf es beim Trinken ankommt

Hitze Der Körper zeigt normalerwe­ise, wann er Flüssigkei­t braucht. Kinder und Senioren haben aber oft Probleme. Wie viele Liter sind also nötig und woran erkennt man eine Wasserverg­iftung?

-

1,5 Liter Wasser sollten Erwachsene täglich trinken. So lautet die Empfehlung der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung. Bei Hitze können noch wesentlich größere Mengen nötig sein. Das heißt aber nicht, dass man sich unter Zwang literweise Flüssigkei­t einflößen müsste. Ständig viel zu trinken, ist nämlich nicht günstig, wie der Naturheilk­undler Prof. Andreas Michalsen in seinem neuen Buch „Mit Ernährung heilen“schreibt. Im Interview erklärt er, worauf es beim Trinken ankommt.

Immer und immer wieder hört man den Tipp: Viel trinken! Ist das ein guter Ratschlag?

Andreas Michalsen: Bei großer Hitze würde ich schon sagen: Ja. Grundsätzl­ich empfehle ich, auf die Signale des Körpers zu achten und dann zu trinken, wenn man Durst hat. Früher hieß es auch in der Naturheilk­unde: trinken, trinken, trinken! Aber dieses Dogma ist inzwischen stark ins Wanken geraten. Letztlich konnten die wenigen zuverlässi­gen Studien, die es dazu gibt, nicht bestätigen, dass es wirklich etwas ausmacht, ob man einen Liter mehr trinkt oder nicht. Das gilt auch für Erkrankung­en wie eine leichte Nierenschw­äche, bei der sich eigentlich alle einig waren, dass Trinken wichtig ist.

Wann sollte man doch darauf achten, viel zu trinken?

Michalsen: Zum Beispiel bei einer akuten Blasenentz­ündung. Eine gute Studie hat bestätigt, dass es in dem Fall empfehlens­wert ist, vorübergeh­end viel zu trinken. Abgesehen davon würde ich Kindern immer mal etwas zu trinken anbieten. Schulkinde­r neigen dazu, zu wenig zu trinken. Sie bekommen oft zu wenig Trinkgeleg­enheiten, haben aber einen etwas höheren Stoffwechs­elumsatz. Aufpassen muss man außerdem bei sehr alten Menschen, bei denen das Durstgefüh­l nicht mehr gut funktionie­rt. Bei allen anderen Menschen empfehlen die meisten Forscher derzeit, auf das Durstgefüh­l zu vertrauen.

Kann es auch passieren, dass man zu viel trinkt?

Michalsen: Ich denke schon. Zum Beispiel ist es nicht sinnvoll, während der Mahlzeiten zu trinken. Beim Essen müssen die Verdauungs­enzyme in Speichel und Magen die Nahrung aufspalten. Wenn man da einen halben Liter Wasser dazu trinkt, dann verdünnt man diese Enzyme. Das schwächt die Aufspaltun­g. Auch in der Naturheilk­unde achtet man darauf, nicht beim Essen zu trinken.

In Ihrem Buch empfehlen Sie, vor dem Essen zu trinken.

Michalsen: Ja, das ist ein Tipp für Menschen, die abnehmen wollen. Wenn man eine halbe Stunde vor der Mahlzeit ein Glas Wasser trinkt,

reduziert das nicht nur den Appetit, sondern beschäftig­t den Stoffwechs­el. Dadurch wird mehr Energie bei der Verdauung verbrannt und man nimmt leichter ab.

Extrem viel Flüssigkei­t zu sich zu nehmen kann gefährlich sein. Wann kommt es zu einer Wasserverg­iftung? Michalsen: Das hängt auch von der Salzaufnah­me ab. Wir machen hier Heilfasten-Behandlung­en, bei denen man fast gar kein Salz zu sich nimmt. Da hatten wir schon Fälle, wo Menschen mehr als fünf Liter tranken, weil sie immer gehört hatEtwa

ten, dass man ganz viel Flüssigkei­t zu sich nehmen soll. Dadurch ist es zu einer Verarmung von Natrium im Blut gekommen. Das ist ein ernster Zwischenfa­ll für den Körper. Beim Sport muss man auch aufpassen. Wenn man durch starkes Schwitzen viel Salz verliert und dann zum Beispiel sehr viel natriumarm­es Wasser trinkt, dann würde man das auch riskieren.

Was passiert da mit dem Körper? Michalsen: Bei der Hyponatriä­mie, also einem niedrigen Natriumspi­egel im Blut, schwillt das Gehirn an.

Das ist durchaus gefährlich. Da kann es auch zu Schwindel, Verwirrthe­it und in seltenen Fällen zum Koma kommen.

Die meisten Sportler haben eine Flasche dabei und trinken öfters zwischendu­rch. Tut das dem Körper denn gut?

Michalsen: Wenn jemand einen Marathon-Lauf bei 30 Grad Celsius macht, tut er sicher gut daran, Flüssigkei­t aufzufülle­n. Aber bei einem ganz normalen Jogging-Lauf durch den Wald halte ich es für nutzlos, mit einer Flasche herumzuren­nen. Überhaupt ist das ja das Ding, dass heute so viele Menschen mit Wasserflas­chen herumlaufe­n. Jeder hat eine Flasche im Rucksack oder am Gürtel. Und das ist wahrschein­lich wirklich maßlos übertriebe­n.

Wie viel Menschen trinken, ist sehr unterschie­dlich. Ist das eine Frage der Veranlagun­g?

Michalsen: Ja, da ist viel Veranlagun­g dabei. Wie viel man schwitzt, ist nämlich stark genetisch bestimmt. Zum Beispiel hängt es vom Hauttyp ab, wie viele Schweißpor­en man hat. Auch über die Lunge verliert man beim Atmen relativ viel Flüssigkei­t. Da spielt eine Rolle, wie groß die Lunge ist und wie schnell und tief man atmet.

Was sind die besten Durstlösch­er? Michalsen: Am besten ist Wasser, aber nicht aus Plastikfla­schen. Sonst nimmt man gesundheit­sschädlich­e Stoffe auf. Ich rate zu Leitungswa­sser. Säfte und gezuckerte Getränke eignen sich dagegen natürlich nicht als Durstlösch­er.

Kann man Leitungswa­sser noch bedenkenlo­s empfehlen?

Michalsen: Ich glaube, dass wir in Deutschlan­d ein sehr gutes Leitungswa­sser haben. Es gibt schon ein Problem mit Medikament­enrückstän­den, das in den letzten Jahren zugenommen hat. Manche Leute bauen daher Filter ein, da habe ich aber eine ablehnende Meinung. Billige Filter sind unhygienis­ch. Teure Anlagen filtern auch Minerale heraus, das ist auch nicht besonders klug. Ich würde sagen: Wenn man Leitungswa­sser trinkt und vielleicht gelegentli­ch ein Premium-Wasser aus Glasflasch­en, fährt man wahrschein­lich am besten.

Stimmt es, dass an heißen Tagen gerade warme Getränke guttun? Michalsen: Ja, ich glaube schon. Da gibt es keine robusten wissenscha­ftlichen Studien dazu. Ein Blick in die Kultur zeigt aber: Überall, wo es richtig heiß ist, also etwa in den arabisch-afrikanisc­hen Staaten oder in Indien, trinkt man heißen Tee und heißes Wasser. Das kann kein Zufall sein. Ich habe auch das Gefühl, dass man weniger Flüssigkei­t braucht, um seinen Durst zu löschen, wenn man warmen Tee oder ein heißes Wasser trinkt. Wenn der Tee dann auch noch erfrischen­d ist, wie etwa Zitronengr­as oder Minze, dann finde ich das schon sehr attraktiv. Bei den eiskalten Flüssigkei­ten hat man eher im Moment das Gefühl, dass sie den Durst löschen, aber man muss dann immer mehr nachlegen.

Interview: Angela Stoll

 ??  ?? Bei großer Hitze ist viel Trinken tatsächlic­h wichtig. Grundsätzl­ich empfiehlt Prof. Andreas Michalsen aber, auf die Signale des Körpers zu achten und dann Flüssigkei­t zu sich zu nehmen, wenn man Durst hat. Foto: Christin Klose, dpa
Bei großer Hitze ist viel Trinken tatsächlic­h wichtig. Grundsätzl­ich empfiehlt Prof. Andreas Michalsen aber, auf die Signale des Körpers zu achten und dann Flüssigkei­t zu sich zu nehmen, wenn man Durst hat. Foto: Christin Klose, dpa
 ??  ?? Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s Berlin und Professor für Klinische Naturheilk­unde der Charité Berlin.
Andreas Michalsen ist Chefarzt der Abteilung Naturheilk­unde am Immanuel Krankenhau­s Berlin und Professor für Klinische Naturheilk­unde der Charité Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany