Auch ewige Institutionen sind veränderbar
Vortrag Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf macht Mut zu Reformen der katholischen Kirche
„Ich würde ja gerne etwas verändern in der katholischen Kirche. Aber es war halt schon immer so.“Den Seufzer eines ungeduldigen Bischofs schickte Prof. Hubert Wolf, der Kirchengeschichte an der Universität Münster lehrt, seinem Vortrag am Freitagabend im gut besetzten Moritzsaal voraus, um mit der Erkenntnis zu enden: „Es war eben nicht immer so. Die Kirche ist reformierbar!“Wolf griff dazu auf Traditionen der Kirche zurück, die verloren gegangen oder unterdrückt worden sind. Und brachte damit manche Zuhörer zum Staunen.
So konnten im iro-schottischen Raum einst Mönche und Nonnen von Sünden lossprechen – nicht aufgrund einer Priesterweihe, sondern aufgrund ihrer radikalen ChristusNachfolge. Äbtissinnen wurden jahrhundertelang mit Handauflegung in ihr Amt eingeführt; sie trugen Ring, Krummstab und sogar eine Mitra „und sie agierten rechtlich gesehen wie ein Bischof“. Sie setzten in ihrem Gebiet Pfarrer ein und ab, sie errichteten neue Pfarreien, sie dispensierten Gläubige von Kirchengesetzen und verhängten Kirchenstrafen. Kirchengeschichtlich gesehen, so Wolf, könnte es ohne Weiteres eine katholische Bischöfin geben, die sich für sakramentale Handlungen einen Weihbischof hält.
Reform in der katholischen Kirche heiße in erster Linie, auf alte Traditionen zurückzugreifen. Wolf argumentierte: „Wenn Jesus sich als Mensch gewordener Gottessohn auf die Welt eingelassen hat, dann ist die Geschichte sein Wirkungsort und alle Epochen bilden seither Modelle des kirchlichen Lebens.“Man könne mithin nicht behaupten, dass nur ein bestimmter Entwicklungsstand gültig sei.
Außerdem habe sich die Kirche in alle möglichen Kulturen eingefunden und deren Vorstellungen mit dem Glaubensgut zu versöhnen versucht. Dieser Prozess begann schon in der Urkirche mit der Missionierung des griechisch-römischen Reichs, wo jüdische Lehren unverständlich schienen und in die andere Denkweise übersetzt werden mussten.
Noch in der bevorstehenden Amazonas-Synode von Papst Franziskus hält diese Inkulturation an. Im offiziellen Arbeitsdokument des Vatikans wird erwogen, bewährte Gemeindeleiter indigener Völker im Regenwald mit der Weihegewalt auszustatten.
Die Ehelosigkeit der Priester freizustellen, sei für die Kirche eigentlich kein Problem, da in katholischorientalischen Diözesen der Zölibat nie eingeführt worden war. Auch das Weiheamt der Diakonin würde Wolf aus kirchengeschichtlicher Sicht sofort zulassen, denn es bestand definitiv im ersten Jahrtausend. Anders hätte der übliche Taufritus mit vollständigem Untertauchen an Frauen nicht vollzogen werden können.
Im Flug verging die Stunde, in der Prof. Hubert Wolf im Rahmen des Festprogramms 1000 Jahre St. Moritz die aktuellen Brennpunkte der katholischen Reformdebatte durchstreifte. Der einsam entscheidende Papst in Rom war im hohen Mittelalter kein Thema. Seit dem Jahr 1046 hatte er sich mit seinen Kardinälen ständig zu beraten. Aber wie wurde das Gremium bedeutungslos? Indem ein RenaissancePapst es auf 70 Kardinäle aufblies. Übrigens liegt längst im Vatikan ein Gutachten vor, dass Subsidiarität, eines der drei Prinzipien der katholischen Soziallehre, auch auf die Teilkirchen angewendet werden kann: Auf unterer Ebene soll entschieden werden, was nur sie betrifft. Freilich, es macht sich Ungeduld bemerkbar im Kirchenvolk: „Wir brauchen kein ewiges Gelabere, wir brauchen Entscheidungen“, meinte ein Zuhörer.