Warum die Zivis so vermisst werden
Entwicklung Vor 60 Jahren wurde der Ersatzdienst als Alternative zur Wehrpflicht eingeführt. Wie der Wegfall 2011 heute zu spüren ist und was es mit dem Freiwilligendienst auf sich hat
Landkreis Vor fast genau 60 Jahren beschloss der Deutsche Bundestag das sogenannte Ersatzdienst-Gesetz. Jeder, der nicht zur Bundeswehr gehen wollte, konnte sich seitdem in einem sozialen Bereich betätigen. Der Zivildienst war geboren. Bis 2011 mussten junge Männer, die den Wehrdienst verweigerten, einen Ersatzdienst ableisten. Dann wurden der Wehrdienst und mit ihm auch der Zivi wieder abgeschafft. Als Alternative wurde der Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) eingeführt. Vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels trauern viele soziale Träger dem Zivildienst nach.
Für den Kreisverband des Roten Kreuzes hatte der Zivildienst einen hohen Stellenwert, wie Geschäftsführer Thomas Haugg betont. Als Hilfsorganisation sei das Rote Kreuz immer attraktiv für Wehrdienstverweigerer gewesen. „Durch die Zivis hatten wir einen guten Personalpool“, erklärt Haugg und ergänzt: „Die Suche nach Personal ist im Moment eines unserer größten Themen.“Der Wegfall des Zivildienstes 2011 sei für das Rote Kreuz deutlich spürbar gewesen, betont der Kreisgeschäftsführer. Der Bundesfreiwilligendienst sei zwar eine gute Alternative, aber vor allem in den Bereichen, die für junge Menschen vielleicht weniger attraktiv sind, fehlen seitdem die Mitarbeiter. Haugg: „Junge Menschen wollen Blaulicht, Action und Abenteuer.“Der Bufdi im Rettungsdienst sei daher besonders beliebt.
Haugg erklärt weiter: Durch den Zivi hätte das Rote Kreuz viel Zulauf gehabt. Erst durch den verpflichtenden Dienst hätten sich viele junge Männer für eine Laufbahn im sozialen Bereich entschieden. „Viele haben den Zivi zum Beruf gemacht
oder sind uns als Ehrenamtliche treu geblieben“, erklärt er. Auch das sei 2011 weggefallen. Die Abschaffung von Wehrpflicht und Ersatzdienst betrifft die Personalsituation beim Roten Kreuz also doppelt. Es fehlen nicht nur die Zivildienstleistenden, sondern auch diejenigen, die nach dem Dienst hauptamtlich aktiv wurden. Allerdings will Haugg auf
keinen Fall verallgemeinern. Auch viele Bufdis blieben dem Roten Kreuz treu, und nicht alle seien nur auf Action und Blaulicht aus. Gerade seien zum Beispiel zwei Frauen im Freiwilligendienst bei seinem Verband, die sich sehr für Behindertenarbeit interessieren würden. Beide arbeiten auch nach ihrem Dienst weiter für das Rote Kreuz.
Was Thomas Haugg so ausführlich erklärt, bestätigen anderen soziale Träger im Landkreis. Der Vorsitzende der AWO im Landkreis, Alois Strohmayr, betont zum Beispiel: „Wir hatten immer viele Zivis und haben damit gute Erfahrungen gemacht. Es scheint auch, als hätten die wiederum gute Erfahrungen bei uns gemacht, denn sie sind häufig geblieben.“Auch Bernhard Gattner, der Pressesprecher des CaritasVerbands im Landkreis bestätigt: „Der Wegfall des Zivildienstes hat uns getroffen.“
Er erklärt: „Viele soziale Berufe haben davon gelebt, dass junge Männer sie während des Zivildienstes kennengelernt haben.“Es ist ihm zwar wichtig zu betonen: „Wir brauchen alle“, erwähnt aber, dass in vielen sozialen Bereichen männliche Mitarbeiter fehlen.
Seine Kollegin Angelika Papsch ist für den Bundesfreiwilligendienst beim Caritas-Verband zuständig und bestätigt das, betont: „In letzter Zeit scheint es sich zu wandeln.“Mehr Männer würden sich für soziale Berufe entscheiden. Bei der Umstellung vom Zivil- auf den Freiwilligendienst hat sich laut Papsch auch die Finanzierung verändert. Sie habe nur ein bestimmtes Budget zur Verfügung und könne deshalb auch nur begrenzt viele Bufdis einstellen, erklärt sie. Trotzdem macht Papsch Werbung für den Dienst: „Das ist sinnvoll genutzte Zeit, zum Beispiel, wenn man auf einen Studienplatz wartet, und wird in vielen Bereichen auch als Praktikum anerkannt.
Alles in allem hätte Bernhard Gattner anstatt der Abschaffung von Wehr- und Zivildienst lieber die Einführung eines verpflichtenden Sozialdienstes gesehen. Auch Aloys Strohmayr stimmt zu: „Das wäre eine Überlegung wert gewesen.“Thomas Haugg geht es ähnlich: „Meine persönliche Meinung ist, dass jeder seinen Dienst an der Gesellschaft tun sollte.“
Besonders wichtig sei das, da soziale Themen sowieso jeden irgendwann betreffen: „Spätestens wenn man zum Beispiel feststellen muss: Hilfe, meine Eltern werden alt“, so Haugg.