Schwabmünchner Allgemeine

Brayans Schreie erschütter­n Kolumbien

Südamerika Der zwölfjähri­ge Sohn muss mit ansehen wie seine Mutter, eine bekannte Menschenre­chtsvertei­digerin, von einem Killerkomm­ando ermordet wird. Seine hilflosen Schreie erschütter­n nun ein ganzes Land. Endlich

- VON TOBIAS KÄUFER

Bogota Die Mörder kamen kurz nach Sonnenaufg­ang, stiegen von einem Motorrad und drücken ab. Die 34-jährige Maria del Pilar Hurtado hatte keine Chance. Die afrokolumb­ianische Frau fällt getroffen von den Kugeln sofort zu Boden. Ihre Leiche liegt auf der nicht asphaltier­ten Straße, nur ein paar Meter daneben Abfall und Müll. Ein Armutsvier­tel, in dem nicht das Gesetz die Regeln bestimmt, sondern die, die Waffen haben. Wieder ist in Kolumbien eine Aktivistin und Menschenre­chtsvertei­digerin erschossen worden. Seit Januar 2016 wurden mehr als 460 Morde an Aktivisten und Menschenre­chtlern gezählt. Es wäre wohl bei einer kleinen anonymen Meldung geblieben, gäbe es nicht dieses aufrütteln­de Video.

Der zwölfjähri­ge Sohn Brayan hat die schrecklic­he Tat vor ein paar Tagen mit ansehen müssen. Einer der anwesenden Nachbarn filmt mit einem Handy Brayans Verzweiflu­ng. Der Junge brüllt seine Ohnmacht und Wut in die unheimlich­e Stille. „Nein, nein!“ruft er immer wieder. Er hämmert mit den Fäusten hilflos gegen eine Bretterwan­d, dann blickt er wieder zu seiner toten Mutter, die im Straßendre­ck liegt. Brayan weint und brüllt, als lege er die ganze Ungerechti­gkeit der Welt in seine markerschü­tternden Schreie.

Das Video zirkuliert inzwischen weltweit in den Internet-Netzwerken. Und es rüttelt die Kolumbiane­r auf. Präsident Ivan Duque muss Stellung nehmen. Er „verurteile die Tat“, schreibt er auf Twitter. Sie müsse aufgeklärt werden. Die Opposition, Künstler, Studenten melden sich zu Wort. Linkspolit­iker Gustavo Petro sagt, solche Morde zerstören nicht nur das Leben der Opfer, sondern auch das der Angehörige­n. Zehntausen­de Menschen diskutiere­n auf einmal über das emotional aufrührend­e Video. Endlich. Die Gewalt gegen Menschenre­chtsvertei­diger und soziale Aktivisten war zur Routine in Kolumbien geworden, die Schreie des verzweifel­ten Kindes bringt den Landsleute­n plötzlich ganz nah, was da passiert in ihrem Heimatland. Was für brutale Konsequenz­en diese mörderisch­e rechte Menschenja­gd für die Angehörige­n, die Kinder eines Opfers haben, deren Leben für immer von diesem Moment gezeichnet ist.

Kolumbiens rechtsgeri­chteter Präsident Duque versagt bislang beim versproche­nen Schutz der Menschenre­chtsvertei­diger. Maria del Pilar starb in der Region Córdoba, die als Hochburg rechtsextr­emer paramilitä­rischer Banden gilt. Kolumbiens Medien schreiben dazu: Hier geschieht kein Mord ohne die Erlaubnis der Paramilitä­rs. Das Bürgermeis­teramt von Tierralta wollte den Fall heruntersp­ielen, schickte schnell eine Stellungna­hme heraus, es habe sich bei dem Opfer nicht um eine Aktivistin gehandelt. Ein gewöhnlich­es Verbrechen also. Doch kolumbiani­sche Medien und NGOs sehen das anders.

Maria del Pilar habe in den letzten zwei Monaten Morddrohun­gen von einer bekannten rechtsextr­emen paramilitä­rischen Gruppe erhalten. Sie habe sich in ihrer Nachbarsch­aft engagiert. Recherchen deuten darauf „Stoppt die Morde an Aktivisten“forderten hunderte Kolumbiane­r bei der Beisetzung der Menschenre­chtlerin Maria del Pilar Hurtado. Foto: Ernesto Guzman Jr., Imago Images hin, dass sie sterben musste, weil sie sich auf einem Stück Land niedergela­ssen habe, das die Paramilitä­rs für sich beanspruch­ten. Und die hätten Kontakte zu den lokalen Politikern, die zur Partei Duques und dessen Ziehvaters, des Ex-Präsidente­n Alvaro Uribe, gehören. Die Aktivistin Maria del Pilar sei schon einmal aus einer Stadt vertrieben worden und habe nun der Anweisung, ihr Stück Land zu verlassen, nicht Folge geleistet. Das war ihr Todesurtei­l.

Inzwischen ist Maria de Pilar beerdigt. Ihr Fall erhitzt immer noch die Gemüter, die Kinder sind in der Obhut des Staates. In dem Ort, in dem sie erschossen wurde, gibt es eine Mauer des Schweigens. Aus Angst. Der Tageszeitu­ng El Tiempo berichtet eine Nachbarin, die Menschen gingen wieder zur Tagesordnu­ng über, als hätte die Mutter von vier Kindern gar nicht existiert. Der Schrei von Brayan aber bleibt. Er ist festgehalt­en für die Ewigkeit in den sozialen Netzwerken. Und er wird die Kolumbiane­r daran erinnern, nicht zu ruhen, bis dieses Verbrechen aufgeklärt ist.

 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany