Von der Leyen soll auf Juncker folgen
EU-Gipfel Nach langen Verhandlungen wird plötzlich die deutsche Verteidigungsministerin als Kommissionspräsidentin nominiert – und Lagarde als EZB-Chefin. Weber muss zurückstecken
Brüssel Vor neun Jahren durfte Ursula von der Leyen sich schon für einen Tag als künftige Bundespräsidentin fühlen, ehe am Ende überraschend Christian Wulff das Rennen machte. Nun allerdings öffnet sich für die Verteidigungsministerin doch noch die Tür zu einem Spitzenamt: Die 60-Jährige wurde am Dienstagabend nach tagelangem Poker offiziell als Präsidentin der Europäischen Kommission nominiert. Der Niederbayer Manfred Weber (CSU) gab seinen Anspruch auf das Amt auf. Und auch in der Frage, wer Mario Draghi an der Spitze der Europäischen Zentralbank nachfolgen soll, haben sich die EU-Staatsund Regierungschefs in Brüssel verständigt: die Französin Christine Lagarde, bislang Chefin des Internationalen Währungsfonds.
Verhandlungsführer Donald Tusk hatte Staats- und Regierungschefs am Dienstag ein völlig neues Personaltableau präsentiert mit von der Leyen an der Spitze. Für die Spitzenkandidaten von Konservativen und Sozialdemokraten, Manfred Weber und Frans Timmermans, blieben danach nur Ämter mit weniger Prestige und Einfluss übrig: Der zuletzt auch von Angela Merkel unterstützte Niederlander soll Vizepräsident der Kommission bleiben, der Bayer Präsident des Europaparlaments werden – allerdings erst in der zweiten Hälfte der Wahlperiode. Teil des Pakets ist auch, dass der belgische Premier Charles Michel Ratspräsident und der spanische Außenminister Josep Borrell Außenbeauftragter werden sollen. Sie würden Tusk und der bisherigen „Außenministerin“der EU, Federica Mogherini, folgen. Ein Sozialist soll für die ersten zweieinhalb Jahre Präsident des Europaparlaments werden, ehe Weber übernähme. Wenn es denn alles so kommt…
Für das Europaparlament ist der Vorschlag, beginnend mit der Personalie von der Leyen, nämlich ein Problem. Eine Mehrheit der Fraktionschefs hatte beschlossen, nur einen der Europawahl-Spitzenkandidaten in das Amt des Kommissionschefs zu wählen. Das wären streng genommen nur Weber und Timmermans. Der Vizechef der sozialdemokratischen Fraktion, Bernd Lange, twitterte, Tusks Vorschlag sei nicht akzeptabel. Der frühere EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kritisierte den geplanten Wechsel von der Leyens scharf. „Ursula von der Leyen ist die schwächste Ministerin der Bundesregierung“, sagte er dem Spiegel. Ähnlich argumentierte der Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann: „Das Amt des Kommissionspräsidenten ist kein Versorgungsposten für Minister in nationaler Defensive.“
Der Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold erklärte: „Ein bitterer Personalvorschlag! #VonderLeyen ist keine Spitzenkandidatin und zu Hause läuft noch ein Untersuchungsausschuss wegen nicht ordnungsgemäßer Vergabe von Beraterverträgen. Europa verdient etwas Besseres!“CSU-Chef Markus Söder sagte zur Niederlage Webers: „Es ist bitter, dass die Demokratie verloren und das Hinterzimmer gewonnen hat.“Angela Merkel hat sich bei der Nominierung von der Leyens enthalten. Weil, wie sie sagte, sich die Große Koalition in Berlin nicht einig gewesen sei. Die SPD war dagegen. Alle anderen 27 Ratsmitglieder hätten zugestimmt.
Tusk hatte sein Paket mit etlichen Gipfelteilnehmern getestet, darunter Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem spanischen Regierungschef Pedro Sanchez. Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei reklamierten danach sogar für sich, die Idee selbst aufgebracht zu haben.
Sollte das EU-Parlament von der Leyen am 16. Juli nicht wählen, müsste der Rat der Staats- und Regierungschefs einen neuen Vorschlag unterbreiten. Die 28 Staatsund Regierungschefs standen bei ihrem neuen Anlauf unter Zeitdruck, weil sich am Dienstag das neue Europaparlament konstituierte und es am Mittwoch seinen neuen Parlamentspräsidenten wählen will.
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