Auf den Höhenflug folgt der Absturz
Tennis Alexander Zverev befindet sich in der ersten schlimmen Krise seiner Karriere. Das Wimbledon-Aus markiert den Tiefpunkt. Verantwortlich dafür ist auch ein Streit mit dem Manager – und Probleme von Zverevs Vater mit Ivan Lendl
London Die dunkelblauen Limousinen des Shuttleservice warteten am Montagabend bereits mit laufendem Motor, um Alexander Zverev und sein Tennisteam wegzutransportieren aus dem grünen Tennisreich von Wimbledon. Doch einen letzten Wunsch wollte Zverev am Spielereingang des All England Lawn Tennis Club irgendwie noch loswerden, er sprach ihn mit belegter Stimme aus: „Es wäre schön“, sagte der geknickte Erstrundenverlierer Zverev, „einfach wieder nur Tennis spielen zu können.“
Die traurige Wirklichkeit sieht allerdings ganz anders aus: Sieben Monate nach seinem strahlenden Triumph bei der ATP-Weltmeisterschaft liegt Zverevs Welt in Trümmern. Vom Glanz dieses überragenden Pokalgewinns ist nichts geblieben, stattdessen tobt hinter den Kulissen des Tennis-Unternehmens Zverev ein bitterer Kampf um Macht, Geld und Einfluss. Nicht nur Zverevs langjähriger Manager Patricio Apey, ein verschlagener Geschäftemacher, ist dabei ein Problemfaktor. Sondern auch der Kleinkrieg zwischen Zverevs Vater Alexander und dem im letzten Spätsommer verpflichteten Supercoach Ivan Lendl.
Als sein Sohn nun gleich in der Auftaktrunde an der berühmten Church Road verlor, gegen den tschechischen Qualifikanten Jiri Vesely, war Daddy Zverev gar nicht vor Ort, erstmals überhaupt fehlte er bei einem Grand Slam-Turnier. Zverev junior hatte die Abwesenheit damit erklärt, sein Vater brauche aus gesundheitlichen Gründen Ruhe, er erhole sich daheim in Hamburg auch bei der Gartenpflege. Doch Zverevs Vater grummelt schon länger über den hinzugeholten Berater und „Cheftrainer“auf Zeit, seinen Altersgenossen Ivan Lendl.
Zverev senior sieht sich ins Abseits gestellt, in die zweite Reihe – und zwar immer dann, wenn Lendl zum Team hinzustößt. Offenbar waren die Animositäten so stark, dass es Papa Zverev und Lendl kaum noch zusammen aushielten bei Turnieren. Dass Lendl angeblich wegen einer Pollenallergie erst direkt vor Wimbledon, beim Wettbewerb in Halle, zur Zverev-Truppe stieß und in den Wochen der Sandplatzsaison nicht gesichtet wurde, Alexander Zverev war in seinem Spiel gegen Jiri Vesely nicht mangelnder Kampfgeist zu attestieren. Dem Deutschen fehlte schlicht die spielerische Leichtigkeit. Bei vielen Schlägen schwang Unsicherheit mit. Wie er aus dieser Krise herauskommen will, ist derzeit rätselhaft. Foto: Mike Egerton, dpa
erscheint da in einem ganz anderen Licht. „Saschas Vater hat das ganze Tennisprojekt aufgebaut und zwei Söhne in die Weltspitze geführt, auch den älteren Bruder Mischa“, sagt ein Vertrauter der Familie, „nun fühlt er sich, als stünde er im Abseits. Da ist natürlich auch ein Abnabelungsprozess im Gange.“
Die Komplikationen zwischen Lendl und Vater Zverev hätten allein schon genügt, um einen immer noch jungen, auch unerfahrenen Berufsspieler aus der Bahn zu werfen. Doch spätestens seit der gewonnenen ATP-Weltmeisterschaft in der Londoner O -Arena im letzten No
2 vember kam auch noch das Zerwürfnis mit Manager Patricio Apey hinzu. Mit dem steht Zverev inzwischen vor Gericht, aus Verbündeten
sind Feinde geworden. „Es ist kaum zu glauben. Aber das ist ein offener Krieg, der sich da abspielt“, sagt ein Insider, „da wird mit harten Bandagen gekämpft.“
Offensichtlich begann der heftige Streit gleich nach dem Gewinn der ATP-WM, als sich die Familie Zverev über Apeys Arbeit beklagte, vor allem darüber, dass die großen lukrativen Sponsorenverträge ausblieben. Man wollte die Geschäftsbeziehung beenden, vermutlich lockten andere Partner auf dem Markt mit Angeboten. Aber Apey hat einen Vertrag mit Zverev, der dem Vernehmen nach noch bis 2023 Gültigkeit besitzt. Was sich Zverev vom Gang vor die Gerichte erhofft, bleibt unklar. In London erklärte er britischen Reportern, dass ein Gerichts
termin wegen Überlastung der Richter erst spät im Jahr 2020 anberaumt werden könne.
Als Zverev sich in der Pressekonferenz nach dem schockierenden Aus über Apey äußerte, sagte er wörtlich: „Es ist abartig, was gerade los ist. Es gibt wieder Neuigkeiten, das können Sie sich nicht vorstellen.“Die letzten zwei Tage vor dem ersten Einsatz seien „sehr hart“gewesen, die Konzentration aufs Tennis teilweise kaum möglich. Wollte Apey seinen langjährigen Mandanten mit einer harten Geldforderung vor Wimbledon in die Knie zwingen, ihn zum Ende der juristischen Scharmützel bewegen? Es wäre, zynisch betrachtet, für Apey der ideale Zeitpunkt gewesen. Angeblich verlangt der Chilene eine hohe einstelli
ge Millionensumme, um die Trennung zu vollziehen.
Zverev war schließlich den Tränen nahe, als er die letzten Worte zum Thema sprach: „Es tut mir weh, das war ja ein Mensch, der nah an meinem Leben war. Ich dachte, wir sind Freunde. Ich dachte, wir sind eng. Nicht nur im Job.“Es sieht so aus, als erlebe Zverev gerade auch einen Crash-Kurs im Erwachsenwerden – mit der schlichten Lektion, dass im knüppelharten Wanderzirkus nicht der kleinste Platz für Sentimentalitäten ist. „Mein Selbstbewusstsein ist gerade unterhalb von Null“, sagte Zverev auch, „alle Champions machen so einen Prozess mal durch.“Aber daraus auch Stärke zu beziehen, ist zunächst nicht mehr als eine Hoffnung.