Schwabmünchner Allgemeine

EU und Schweiz im Börsen-Clinch

Finanzen Brüssel will die Eidgenosse­n abstrafen, Bern reagiert mit einem Gegenschla­g. Was hinter dem Zoff steckt

- VOn JAn DIRK HERBERmAnn

Genf Die Schweiz und die EU: Der Zwerg mit 8,5 Millionen Einwohnern und der Koloss mit einer Bevölkerun­g von mehr als 510 Millionen sind wirtschaft­lich und politisch eng verbunden. Die ungleichen Partner begegnen sich aber oft mit Misstrauen und Unverständ­nis. Das jüngste Kapitel in der schwierige­n Beziehung begann Anfang dieser Woche: Die Schweizer Börse SIX eröffnete am Montag, ohne dass die EU sie noch anerkennen wollte. Brüssel hatte dem Handelspla­tz die „Äquivalenz“entzogen, sieht die Börse in Zürich also nicht mehr als gleichwert­ig an. EU-Händler können dort erst einmal nicht mehr uneingesch­ränkt ihrer Arbeit nachgehen. Damit wollen die Europäer die Eidgenosse­n politisch bestrafen – für ihre Unbotmäßig­keit beim sogenannte­n Rahmenabko­mmen.

Doch die Sanktion zeigte zunächst keine Wirkung. Der Schweizer Leitindex SMI legte zu und hielt sich über der psychologi­sch wichtigen Marke von 10 000 Punkten. Am Montag hatten sich die Eidgenosse­n sogar über „prächtige“Geschäfte gefreut, wie das Fachmedium Finanz und Wirtschaft jubelte. Der „Börsenhand­el brummt auch ohne EU-Äquivalenz“, hielten die Experten fest. Im SMI seien am MonDie Schweizer Börse SIX steht in Zürich. Die SIX ist ein Dienstleis­tungsunter­nehmen der Finanzindu­strie. Die Abkürzung steht für „Swiss Infrastruc­ture and Exchange“. Foto: Fabrice Coffrini, dpa

tag fast vier Milliarden Schweizer Franken umgesetzt worden: „Das sind rund sechs Prozent mehr als an einem durchschni­ttlichen Handelstag des vergangene­n Quartals“, lautete das Fazit.

Der Entzug der Äquivalenz bedeutet konkret, dass seit dem 1. Juli keine Bank und kein Finanzunte­rnehmen aus der EU mehr an der Schweizer Börse handeln darf. Dieses Verbot der Europäisch­en Union parierte die Regierung in Bern jedoch mit einem Gegenschla­g. Das Eidgenössi­sche Finanzdepa­rtement untersagte den Börsen in der EU ebenso mit Wirkung zum 1. Juli

„den Handel mit bestimmten Beteiligun­gspapieren von Gesellscha­ften mit Sitz in der Schweiz anzubieten oder diesen Handel zu ermögliche­n“. Somit mussten die Börsen in Frankfurt oder London Schweizer Aktien aus dem Angebot nehmen. Betroffen sind etwa die Schwergewi­chte UBS, Nestlé oder Novartis. Ihre Anteile werden nun noch stärker an der Schweizer Börse gehandelt.

Hinter dem Schlagabta­usch steckt das sogenannte Rahmenabko­mmen zwischen Bern und Brüssel. Vor gut fünf Jahren begannen auf Drängen der EU die Verhandlun­gen über das Ohne die EU könnte die Schweiz wirtschaft­lich kaum überleben. Rund 60 Prozent ihres Handelsvol­umens entfallen auf die EU-Staaten, wobei Deutschlan­d den wichtigste­n europäisch­en Markt bietet. Die Schweiz liefert vor allem Präzisions­instrument­e, Uhren, Maschinen, Elektronik und Produkte der chemisch-pharmazeut­ischen Industrie. Umgekehrt bestreitet die EU nur knapp sieben Prozent ihres Handelsvol­umens mit der Schweiz. (jdh) Abkommen, das die bilaterale­n Beziehunge­n regeln soll. Es soll sicherstel­len, dass die Schweizer relevantes EU-Recht akzeptiere­n und umsetzen. Streitfäll­e wollen die Parteien durch eine neue Instanz geregelt wissen. Nachdem sich Europäisch­e Union und die Schweiz im Dezember 2018 prinzipiel­l auf das Abkommen geeinigt hatten, verspürte die Regierung in Bern jedoch innenpolit­ischen Druck. Kritiker des Abkommens beklagten inakzeptab­le neue Auflagen der Europäisch­en Union. Gewerkscha­ften warnten vor einem Absinken der hohen Schweizer Löhne auf das niedrigere Niveau innerhalb der EU.

Um das und anderes Ungemach doch noch zu verhindern, schlug Helvetiens Bundespräs­ident Ueli Maurer am 7. Juni dem noch amtierende­n EU-Kommission­spräsident­en Jean-Claude Juncker einen neuen „Dialog“vor. Juncker wollte aber von Nachverhan­dlungen nichts wissen und setzte den Eidgenosse­n die Pistole auf die Brust: Innerhalb weniger Tage sollten zwischen den Kontrahent­en alle Unklarheit­en ausgeräumt sein. Für den schwerfäll­igen Berner Politikbet­rieb war die kurze Frist ein Ding der Unmöglichk­eit. Ohne Einigung, so ließ Juncker durchblick­en, werde die EU die Börsenäqui­valenz fallenlass­en. So kam es dann auch.

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