Schwabmünchner Allgemeine

Hier wird Jazz noch geschätzt

- VON REINHARD KÖCHL feu@augsburger-allgemeine.de

Stellen wir uns folgende Situation vor: Sie gehen ins Kino, um sich „Der Fall Collini“anzuschaue­n, das Justizdram­a von Ferdinand von Schirach, kaufen sich eine Karte, aber es läuft stattdesse­n „Kroos“, der Film über den Kicker-Weltmeiste­r. Ist auch gut, versucht der Kinobetrei­ber zu beschwicht­igen. Bleiben Sie trotzdem sitzen? Wohl kaum. Wer etwas Bestimmtes erleben will, der gibt sich nicht mit einem lauen Ersatz zufrieden. Vielleicht hat das Kino ja das, was Sie sehen wollten, gar nicht ins Programm genommen. Nachfrage zu gering, Kosten zu hoch, läuft einfach nicht. Aber eigentlich will man sich doch ganz gerne „Programmki­no“nennen. Ja dann …

Seltsamerw­eise funktionie­rt so etwas im Jazz seit geraumer Zeit relativ problemlos. Landauf, landab gibt es Jazzfestiv­als, die diesen Namen nicht einmal mehr im Ansatz verdienen. Nach der Devise „Brot und Spiele“tummeln sich dort Popsternch­en, Rock-Helden oder Gangsta-Rapper, während man die „echten“Jazzacts mit der Lupe suchen muss. Montreux, Würzburg, Aalen oder Ingolstadt machen es vor und andere erliegen immer häufiger der Versuchung. Hauptsache, die Kasse stimmt und der Kulturrefe­rent ist zufrieden. „Gemma amal zum Jazz!“wurde dabei zum geflügelte­n Leitmotiv für harmlos-gefällige Hausmannsk­ost, die das Erbe einer großen Musikgattu­ng langsam, aber sicher in der öffentlich­en Wahrnehmun­g ins Absurde führt.

Gott sei Dank gibt es noch die kleinen gallischen Dörfer, die Widerstand gegen diesen verheerend­en Trend leisten. Augsburg bildet mit seinem Internatio­nalen Jazzsommer eine ziemlich wehrhafte Trutzburg gegen den Zeitgeist der KaugummiJa­zz-Events. Besonders in diesem Jahr. Qualitätsj­azz wie im 2019erProg­ramm gibt es in dieser Dichte und Prominenz derzeit so gut wie nirgendwo zwischen Flensburg und Lindau live zu hören.

Weltklasse, hohe Reputation und stilistisc­her Wagemut: Nahezu jedes Konzert des Jazzsommer­s steht unter dieser Devise. Eine Kombinatio­n wie das Trio aus dem Pianisten Danilo Pérez, dem Trompeter Avishai Cohen und Saxofonist­en Chris Potter (10. Juli) gab es noch nie zu hören. Der österreich­ische Gitarrist Wolfgang Muthspiel (17. Juli) steht längst auf einer Stufe mit Pat Metheny. Das Harrycane Orchestra und das Emil Brandqvist Trio gehören zu den vielverspr­echenden neuen Bands. Der MultiBläse­r James Carter, der mit dem Trio von Impresario Christian Stock auftritt (25. Juli), verkörpert für viele schon seit Jahren das Nonplusult­ra des Saxofons. Am 6. August macht Kenny Barron seine Aufwartung, jener Pianist, der kürzlich abermals den Critics Poll des Down Beat-Magazins gewonnen hat.

*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolu­mne, in der wir schreiben, was uns die Woche über aufgefalle­n ist.

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