Hier wird Jazz noch geschätzt
Stellen wir uns folgende Situation vor: Sie gehen ins Kino, um sich „Der Fall Collini“anzuschauen, das Justizdrama von Ferdinand von Schirach, kaufen sich eine Karte, aber es läuft stattdessen „Kroos“, der Film über den Kicker-Weltmeister. Ist auch gut, versucht der Kinobetreiber zu beschwichtigen. Bleiben Sie trotzdem sitzen? Wohl kaum. Wer etwas Bestimmtes erleben will, der gibt sich nicht mit einem lauen Ersatz zufrieden. Vielleicht hat das Kino ja das, was Sie sehen wollten, gar nicht ins Programm genommen. Nachfrage zu gering, Kosten zu hoch, läuft einfach nicht. Aber eigentlich will man sich doch ganz gerne „Programmkino“nennen. Ja dann …
Seltsamerweise funktioniert so etwas im Jazz seit geraumer Zeit relativ problemlos. Landauf, landab gibt es Jazzfestivals, die diesen Namen nicht einmal mehr im Ansatz verdienen. Nach der Devise „Brot und Spiele“tummeln sich dort Popsternchen, Rock-Helden oder Gangsta-Rapper, während man die „echten“Jazzacts mit der Lupe suchen muss. Montreux, Würzburg, Aalen oder Ingolstadt machen es vor und andere erliegen immer häufiger der Versuchung. Hauptsache, die Kasse stimmt und der Kulturreferent ist zufrieden. „Gemma amal zum Jazz!“wurde dabei zum geflügelten Leitmotiv für harmlos-gefällige Hausmannskost, die das Erbe einer großen Musikgattung langsam, aber sicher in der öffentlichen Wahrnehmung ins Absurde führt.
Gott sei Dank gibt es noch die kleinen gallischen Dörfer, die Widerstand gegen diesen verheerenden Trend leisten. Augsburg bildet mit seinem Internationalen Jazzsommer eine ziemlich wehrhafte Trutzburg gegen den Zeitgeist der KaugummiJazz-Events. Besonders in diesem Jahr. Qualitätsjazz wie im 2019erProgramm gibt es in dieser Dichte und Prominenz derzeit so gut wie nirgendwo zwischen Flensburg und Lindau live zu hören.
Weltklasse, hohe Reputation und stilistischer Wagemut: Nahezu jedes Konzert des Jazzsommers steht unter dieser Devise. Eine Kombination wie das Trio aus dem Pianisten Danilo Pérez, dem Trompeter Avishai Cohen und Saxofonisten Chris Potter (10. Juli) gab es noch nie zu hören. Der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel (17. Juli) steht längst auf einer Stufe mit Pat Metheny. Das Harrycane Orchestra und das Emil Brandqvist Trio gehören zu den vielversprechenden neuen Bands. Der MultiBläser James Carter, der mit dem Trio von Impresario Christian Stock auftritt (25. Juli), verkörpert für viele schon seit Jahren das Nonplusultra des Saxofons. Am 6. August macht Kenny Barron seine Aufwartung, jener Pianist, der kürzlich abermals den Critics Poll des Down Beat-Magazins gewonnen hat.
*** „Intermezzo“ist unsere KulturKolumne, in der wir schreiben, was uns die Woche über aufgefallen ist.