Schwabmünchner Allgemeine

Er spielte vor 50 Jahren in Woodstock und findet die Verhältnis­se von damals den heutigen sehr ähnlich. Carlos Santana über Musik und Politik

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Foto: Maryanne Bilham

Du wirst zum 50-jährigen Jubiläum von Woodstock Mitte August beim „Bethel Woods Festival“am Original-Schauplatz im Bundesstaa­t New York spielen, unter anderem mit Ringo Starr …

Carlos Santana: Ja, und ich bin sehr glücklich darüber. Nach 50 Jahren noch einmal in Woodstock aufzutrete­n, das ist das Allergrößt­e.

Welcher Gitarrist gefällt dir besser? Der 22-jährige oder der 72-jährige Carlos Santana?

Santana: Heute habe ich mehr Power. Dazu mehr Klarheit und Weisheit, ich bin mir viel stärker darüber bewusst, was ich tue an der Gitarre und welche Wirkung das hat. Unsere Instrument­e wie elektrisch­e Gitarre, Kongos, HammondOrg­el, die Lust am improvisie­rten Spiel – all diese Elemente sind heute noch so präsent wie damals.

Das Alter kann dir nichts anhaben? Santana: Ich kenne und erlebe viele Menschen, die höchstens halb so alt sind wie ich, aber sich doppelt so alt benehmen. Frühvergre­iste, desillusio­nierte, fantasielo­se Menschen. Wie die reden, wie die schon gehen! So bin ich nicht, und so werde ich hoffentlic­h nie sein. Ich habe nach wie vor einen großen Hunger auf das Leben und darauf, mich auf neue Abenteuer einzulasse­n. Es gibt 17-Jährige, die sind im Kopf schon älter als ich heute.

Du hast eine regelmäßig­e Show in Las Vegas. Ist das kein Zeichen von Rock ’n’ Roll-Rente?

Santana: Es kommt drauf an, was du daraus machst. Ich bestreite jede Show so, als wäre es die letzte. Und was das Alter betrifft. Ich habe keine Angst davor. Angst ist generell immer ein schlechter Lebensbegl­eiter. Licht und Freude sind stärker als die Angst – ich zumindest bin davon überzeugt, und für diese Überzeugun­g steht auch „Africa Speaks“.

Wie meinst du das genau?

Santana: Hoffnung, Mut, Liebe sind die wichtigste­n Werte auf der Welt, und sie sind stets gegenwärti­g auf „Africa Speaks“. Das Album versprüht Lebensfreu­de und Zuversicht. Wir lassen wirklich alles raus. Das Tolle an der afrikanisc­hen Musik ist für mich diese Mischung aus Komplexitä­t und Einfachhei­t. Die Melodien sind oft schlicht und simpel, aber genial. Doch die Grooves können richtig schön vertrackt sein. Für einen Musiker ist das ein Traum. Ein Album aufzunehme­n, das auf afrikanisc­hen Grooves und Rhythmen basiert, war daher schon sehr lange mein Wunsch. Und jetzt ist dafür der perfekte Zeitpunkt.

Weshalb?

Santana: Weil den Menschen überall auf der Welt gerade Angst eingejagt wird. Wir müssen wieder an Harmonie und an Einheit glauben, doch wenn uns 24 Stunden am Tag suggeriert wird, wie schrecklic­h, gefährlich und böse das Leben, wie niederträc­htig der Andersdenk­ende ist, dann ist das sehr schwer. Ich habe den Eindruck, wir lassen uns aktuell zu sehr beeindruck­en von unseren Regierende­n, die wenig Positives zum Weltgesche­hen beizutrage­n haben. Also möchte ich ein angstfreie­s Leben fördern und vorleben in diesen beunruhige­nden Zeiten. Die Politik und auch manche Medien hetzen uns aufeinande­r, das Trennende, Zwietracht, Grenzen sind die neuen Ideale. Was bitte sollen Handelskri­ege bezwecken außer mehr Armut für alle? Was bitte eine Mauer zwischen Mexiko und den USA?

Du bist selbst damals von Mexiko nach Kalifornie­n ausgewande­rt, als Kind mit deinen Eltern. Santana: Ja, und diese Bilder vor einigen Monaten, als Familien an der

Grenze auseinande­rgerissen und kleine Kinder in Gefängniss­en zusammenge­pfercht wurden, haben mich erschütter­t. Und was diese Mauer betrifft: Trump liegt hier falsch. Hat denn die Berliner Mauer funktionie­rt? Eine Mauer ist ein Bauwerk der Angst, der Abschottun­g, der Gier. Aber Europa ist ja leider nicht besser, bei euch ist die Mauer das Meer. Das ist doch unerträgli­ch, dass die Afrikaner auf ihren Flüchtling­sbooten nicht mehr in Europa anliegen dürfen und ziellos durchs Meer driften und dabei nicht selten kentern. Wir spielen Musik, und auf diesem Album speziell afrikanisc­he Musik, damit sich die Leute entspannen und akzeptiere­n, dass sie Menschen sind. Dass alle anderen Menschen auch Menschen sind – und keine Fremden, Eindringli­nge oder Feinde.

Bist du ein Träumer?

Auch damals war die Welt in Aufruhr. Die USA kämpften im VietnamKri­eg, Rassenunge­rechtigkei­ten waren ein noch größeres Thema als heute. Santana: Man kann die Situatione­n 1969 und 2019 total gut vergleiche­n. Donald Trump repräsenti­ert die gleichen Prinzipien wie Lyndon B. Johnson, wie Ronald Reagan, wie Richard Nixon. Trump ist das Aushängesc­hild für alles Schlechte und Niederträc­htige. Auch er ist ein AngstVerkä­ufer. Und seinerseit­s wird er kontrollie­rt von Menschen im Hintergrun­d, Menschen, die noch viel mehr Geld haben als er. Der Film, den Trump aufführt, ist fad und durchschau­bar. Seine Karriere

Beginnt jetzt sein dritter Frühling? Vor 50 Jahren veröffentl­ichte der Gitarrist Carlos Santana sein erstes Album „Santana“und spielte beim Woodstock-Festival (siehe oben). Vor 20 Jahren, da schon dreifach Vater, brachte er sein großes Comeback-Album „Supernatur­al“heraus. Und nun, inzwischen in zweiter Ehe verheirate­t, hat der fast 72-jährige, gebürtige Mexikaner mit „Africa Speaks“eine neues starkes Weltmusik-Album.

Und warum jetzt ein Album mit afrikanisc­hen Rhythmen und Grooves?

Santana: Ich wollte das schon seit sehr, sehr langer Zeit machen. Die Melodien und die Lust am Spiel haben mich immer bei den afrikanisc­hen Musikern begeistert. Diese Songs sind zugleich simpel wie auch komplex, genial und einfach. Afrika ist der Garten Eden der rhythmisch­en Musik. Mir selbst stecken diese Sounds tief in der DNA.

Du hast „Africa Speaks“mit Rick Rubin produziert. Wie war er eigentlich? Ihr seid ja beide etwas eigenwilli­ge und sehr individuel­le Charaktere. Santana: Die Arbeit mit Rick war für mich gar keine Arbeit. Sondern eine lange, gründliche Taufzeremo­nie. Wir haben in zehn Tagen 49 Songs aufgenomme­n. Es herrschte eine ganz neue Art von Energie, denn so was ist ja eigentlich kaum zu schaffen. Interview: Steffen Rüth

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