Schwabmünchner Allgemeine

„Die Menschen lieben Verbote“

Interview Zwischen Sorgen um die Wirtschaft und Angst um die Umwelt: Der Philosoph Richard David Precht fordert von der Politik konsequent­es Handeln – und ist sicher, dass es schon heute eine Mehrheit gegen Massentier­haltung gibt

- Interview: Wolfgang Schütz

Ist die Klimakrise die Schicksals­frage unserer Zeit? Richard David Precht: Die ökologisch­e Frage ist nicht nur die Frage unserer Zeit, sondern unserer Epoche. Aber dazu gehört nicht nur die Klimakrise, sondern auch der Ressourcen­verbrauch – alle Folgen unseres extensiven Wirtschaft­ens. Es muss also um die Frage gehen: Mit welcher Wirtschaft wollen wir angesichts dieser Probleme in eine ökologisch bessere Zukunft gehen? Precht: Ja, aber das Interessan­te ist, dass die Frage, so gestellt, rein hypothetis­ch ist und in Wirklichke­it nicht gestellt wird. Das hängt damit zusammen, dass die Wirtschaft sich ja auch in täglichen Sachzwänge­n befindet. In vielen Bereichen haben wir es mit einem globalen Markt zu tun, auf dem wir sehen müssen, dass wir im Wettbewerb nicht abgehängt werden und an Entwicklun­gen partizipie­ren. Gerade das führt aber doch gesellscha­ftlich in eine schizophre­ne Situation: Einerseits die Sorge, dass die wirtschaft­liche Konjunktur sich abschwächt, Arbeitsplä­tze wegfallen, der Wohlstand gefährdet ist - und anderersei­ts die Angst vor dem, was diese Ökonomie für ökologisch­e Folgen hat. Precht: Das ist das Paradoxe. Denn noch immer ist es ja so, dass es, wenn sich die Vertreter der größten Wirtschaft­snationen in der G8 treffen, um Wachstum, Wachstum, Wachstum geht. Die Lage in der Wirtschaft wird daran bemessen, wie gut die Wachstumsp­rognose ist. Und der größte Teil dieses Wachstums bedeutet Verbrauch: Energiever­brauch, Ressourcen­verbrauch… Bislang ist es uns nicht geglückt, aus dieser Logik des unausgeset­zten Wachstums herauszuko­mmen. Was kann man tun?

Precht: Grundsätzl­ich gibt es da zwei Möglichkei­ten im Hinblick auf die ökologisch­e Frage. Die eine ist das, was die Grünen gerne verspreche­n: Dass es, wenn man nachhaltig­er wirtschaft­et, am Ende sogar wirtschaft­liche Vorteile hat – und dass wir umwelttech­nisch lauter neue Möglichkei­ten schaffen, die ökonomisch rentabel sind. Das kann zum Teil und in einigen Bereichen stimmen. Ich war ja schon in den 70er Jahren bei Anti-AKW-Demonstrat­ionen, die, wie sich heute herausgest­ellt hat, richtig lagen. Man stelle sich vor, Deutschlan­d hätte das gemacht, was wir damals gefordert haben: nämlich alternativ­e Energien mit dem Geld fördern, mit dem man die Kernkraft gefördert hat. Dann wäre Deutschlan­d heute mit Riesenabst­and der größte Produzent alternativ­er Energien der Welt und unsere Technik würde überall in der Welt eingebaut. Und die andere Möglichkei­t?

Precht: Auf der anderen Seite wird es ohne eine gewisse Verzichtsk­ultur nicht gehen. Und Verzichtsk­ultur und Marktwirts­chaft passen außerorden­tlich schlecht zusammen. Da haben wir eine sehr große Aufgabe vor uns. Denn es ist ja nicht so, dass in Deutschlan­d nicht genug erwirtscha­ftet würde, sodass es jedem gut gehen könnte. Wenn es Menschen hier nicht gut geht, ist das eine Verteilung­sfrage. Aber die wird sich im Zuge der digitalen Revolution sowieso neu stellen. Inwiefern?

Precht: Die Digitalisi­erung und der Einsatz Künstliche­r Intelligen­z führen zu einer Ökonomie, in der mittelfris­tig deutlich weniger Menschen einer Lohnarbeit nachgehen werden als jetzt. Und damit stellt sich die Verteilung­sfrage ohnehin anders, als sie bis jetzt geregelt ist. Unsere Umlagesyst­eme, wie die Renten- und Krankenver­sicherung, werden nicht weiter funktionie­ren. Und weil das eben so ist, müssen wir neu darüber nachdenken: Wie wollen wir leben? Uns steht ähnliches bevor wie in der Ersten Industriel­len Revolution, als die technische­n Veränderun­gen für einen Mentalität­swechsel gesorgt haben: Der Wandel von der Agrarzur Industrien­ation war ja auch der Beginn einer neuen Gesellscha­ft: der bürgerlich­en Lohnarbeit­s- und Leistungsg­esellschaf­t. Und es könnte sein, dass dieses Betriebssy­stem der Gesellscha­ft im Laufe der kommenden Jahrzehnte ohnehin durch etwas anderes ersetzt wird. Das hieße, diesen ohnehin nötigen Wandel in die Digitalisi­erungsgese­llschaft zu gestalten, beinhaltet auch die Chance, den ökologisch­en Wandel gleich mit zu vollziehen? Precht: Dafür plädiere ich. Wir sollten die Digitalisi­erungsfrag­e nicht losgelöst von der ökologisch­en Frage betrachten. Diesen Fehler haben wir in der Ersten industriel­len Revolution gemacht. Prinzipiel­l gibt uns die Digitalisi­erung ja auch die Möglichkei­t, viel Energie und viele Ressourcen zu sparen. Die Betonung liegt aber auf prinzipiel­l. Gegenwärti­g tut sie das Gegenteil. Dafür muss man den Unterschie­d sehen zwischen Energie-Effizienz und Energie-Effektivit­ät. Was heißt das?

Precht: Wenn man Server baut, die bei fünffacher Größe in etwa die gleiche Strommenge brauchen wie bisher – das ist das, was Google jetzt gemacht hat –, dann ist das energieeff­izient. Aber es ist nicht effektiv, wenn gleichzeit­ig die gesamte Summe dessen, was an Elektronik auf den Markt kommt und Energie verbraucht, sich verdrei- oder vervierfac­ht. Effizienz denkt von der einzelnen Maschine, Effektivit­ät vom gesamten Verbrauch her. Und im Augenblick fehlt es in der Digitalisi­erung an Überlegung­en zur Effektivit­ät, da sind wir ganz schlecht. Denken wir nur an die Idee von Smart Citys: Da können wir Energie sparen, weil wir Straßen nicht mehr beleuchten, wenn keiner durchgeht – und trotzdem sehe ich in all den Planspiele­n nur eine City, die im Ganzen unendlich viel mehr Energie verbraucht als die gegenwärti­ge Stadt. Wie bewerten Sie da den geplanten Wandel hin zum E-Auto? Precht: Das E-Auto ist ein Problem, weil es offensicht­lich die falsche Technik ist. Die Grünen haben sich leider vor einigen Jahren, als dieses als besonders umweltfreu­ndlich angepriese­n worden ist, auf eine Fehlstrate­gie eingelasse­n und kommen da nicht mehr raus. Aber die zukunftswe­isendere Technik ist wahrschein­lich die Wasserstof­ftechnik – und nicht nur unter Energie-Gesichtspu­nkten. Denn dafür brauchen wir auch nicht all die Zutaten, die gegenwärti­g in Sklavenarb­eit in Kongo gewonnen werden, wie Kobalt. Ich bin also überhaupt kein Freund der E-Mobilität, wir machen da einen Riesenfehl­er. Durch die Verschärfu­ng der ökologisch­en Krise steht die Gestaltung des Gesellscha­ftswandels nun aber auch noch unter großem Zeitdruck… Precht: Der Wandel durch die Digitalisi­erung vollzieht sich bereits in einer solchen Geschwindi­gkeit, dass allein dadurch die Überforder­ung sehr groß ist. Und wir haben auf keiner Ebene Zuständige für die praktische Gestaltung der Fragen, über die wir hier gerade reden. Diese Überforder­ung wird wahrschein­lich dazu führen, dass wir in nächster Zeit einige Crashs bekommen. Wir gehen zum Beispiel der großen Arbeitslos­igkeit durch die Digitalisi­erung sehenden Auges entgegen – also ohne präventive Maßnahmen zu ergreifen, um eine künftige Gesellscha­ft zu gestalten, in deren Mittelpunk­t weniger Arbeit steht als heute. Man macht trotzig irgendwelc­he Studien, die angeblich belegen, dass es keine Arbeitslos­igkeit geben wird. So wie es ja die Leugner des Klimawande­ls gibt, gibt es auch die Arbeitslos­igkeitsleu­gner – und die sind in Deutschlan­d sehr stark. Eine solche Arbeitslos­igkeitskri­se würde in Deutschlan­d ja der AfD sehr starken Zulauf bescheren. Precht: Das würde ich auch so sehen. Und wenn man das nicht will, dann muss man rechtzeiti­g sagen, in welche Richtung man die Gesellscha­ft transformi­eren will. Aber beschert der AfD nicht ebenso Zulauf, wenn man den ökologisch­en Wandel vorantreib­t? Weil sich die nicht gerade wenigen, die das im Ganzen für übertriebe­n und im Konkreten für bevormunde­nd halten, durch die Klimawande­l-Skepsis der AfD angezogen fühlen? Precht: Das passt ja gut zusammen. Man kann mit Realitätsv­erweigerun­g eben ein großes Geschäft machen. Und das ist es, was die AfD betreibt. Man muss sich das ja mal überlegen: Der Klimawande­l bedeutet, dass wir nicht mehr so weiterwirt­schaften können wie bisher. Und das rüttelt gerade in einem so erfolgreic­hen Land wie Deutschlan­d an den Grundfeste­n. Wir haben irgendwann das christlich­e Kreuz durch das Hakenkreuz ersetzt und das Hakenkreuz durch den Mercedesst­ern. Und das, wofür der Mercedesst­ern jetzt steht, also sowohl die Automobil-Industrie wie die Vorstellun­g von mehr Konsum, mehr Mobilität, mehr Wohlstand und mehr Luxus, das prägt unser Selbstvers­tändnis. Unser ideologisc­hes Glaubensbe­kenntnis ist die Marktwirts­chaft. Und die beste Idee, die man dann haben kann, ist einfach, den Klimawande­l zu leugnen. Weil: Dann kann man einfach weitermach­en wie bisher. Aber wenn die Politik nun anfinge, durch Regulieren und Verbote den ökologisch­en Wandel zu gestalten, würde das doch nicht nur noch mehr Aufwind… Precht: Ich glaube, es geht leichter, als Sie denken. Die Menschen lieben Verbote. Das ist etwas, was Politiker nicht verstehen. Die meisten Leute sind natürlich erst einmal dagegen, aber nachher sind sie froh, dass es die Verbote gibt. Denken Sie nur an das Verbot, in öffentlich­en Räumen und Gaststätte­n nicht mehr rauchen zu dürfen. Wie haben viele gesagt: Das kann man in Deutschlan­d nicht machen, das werden sich die Menschen sich nicht verbieten lassen! Die Mehrheit war gegen das Rauchverbo­t. Und heute? Es ist geradezu unvorstell­bar, dass man mal überall mal rauchen durfte und dass Ihnen jemand im Restaurant seinen Zigarrenqu­alm ins Gesicht bläst. Bei einer Umfrage wären die meisten heute für das Verbot! Was bedeutet das für heutige Fragen?

Precht: Wenn Sie in Deutschlan­d etwa die Massentier­haltung verbieten wollten, hätten Sie bereits jetzt eine Bevölkerun­gsmehrheit dafür. Natürlich wäre erst mal die Folge, dass der Fleischpre­is steigt. Dann würden sich die Leute ein bisschen ärgern. Und innerhalb ganz, ganz kurzer Zeit würden sie sich daran gewöhnen, dass Fleisch teurer ist als früher. Und irgendwann würde man es gar nicht mehr vergleiche­n. Dann ist das halt so. Also her mit den Verboten?

Precht: Ich finde es furchtbar, dass die Politik vor Verboten eine solche Angst hat. Es ist schlimm, dass sie als Politiker heute, bis zur Blödigkeit darauf erpicht sein müssen, beliebt zu sein, und sich nie trauen, etwas zu machen, das vernünftig ist. Die Grünen sind da ein typisches Beispiel, weil man ihnen vorgeworfe­n hat, dass sie eine Verbotskul­tur einführen wollen. Und in jedem zweiten Satz sagen die Grünen: Nein, das wollen wir nicht! Aber wenn sie ihre Ziele umsetzen wollen, müssen sie genau das tun. Und es ist ja nicht so, als wären in diesem Land nicht schon ungezählte Dinge verboten, denken Sie nur an den Straßenver­kehr. Da kommt es auf ein paar wichtige Verbote, die wir für die Zukunft der Menschheit hinzufügen müssen, nicht an. Welche Verbote gilt es denn zu setzen?

Precht: Ich halte es etwa für völlig unverantwo­rtlich, dass in Innenstädt­en noch SUVs rumfahren dürfen. Was soll das sein: Der Tanz auf dem Vulkan? Entweder wir nehmen den Klimawande­l ernst oder wir tun nur so. Und wenn wir ihn wirklich ernst nehmen, werden wir an bestimmten Verboten und Verzichten nicht vorbeikomm­en. Also zum Beispiel Plastiktüt­en verbieten und bestimmte Verpackung­smateriali­en verbieten. Dafür wären doch jetzt schon sehr viele Menschen dankbar. Denn selbst wenn ich es will: Es ist unglaublic­h aufwendig, Plastikmül­l komplett zu vermeiden. Da wäre es mir doch lieber, solche Verpackung­en würde es gar nicht erst geben. Und das zeigt: Natürlich ist der Verbrauche­r gefordert, aber eben nicht allein. Verbote durch die Politik als Hilfe für den Konsumente­n also? Precht: Wenn Sie sich bei jedem Schritt, den Sie im Alltag unternehme­n, ökologisch­e Gedanken machen, ist das ein Full-Time-Job. Und deswegen geht das nicht zu sagen, das müsse über den Markt allein entschiede­n werden. Die Politik drückt sich hier nur davor, konsequent­e Entscheidu­ngen zu treffen, weil sie sich dafür mit bestimmten Wirtschaft­slobbys anlegen muss. Und beim Plastik wäre es sogar noch wichtiger zu verbieten, dass wir die Plastikmat­erialien, die nicht recyclingf­ähig sind und bei denen Deutschlan­d zu den größten Produzente­n der Welt gehört, in jene Länder exportiere­n, die überhaupt keine Möglichkei­t haben, dieses Plastik in irgendeine­r Form sinnvoll in die Abfallwirt­schaft einzuspeis­en. Ja, das alles hat wirtschaft­liche Nachteile. Aber den Kampf gegen den Klimawande­l kriegen wir nicht zum Nulltarif, und wir können nicht aus allem ein Geschäft machen. Solche Verbote werden kommen müssen. Und ich glaube, gerade in der jüngeren Generation wächst ein Bewusstsei­n dafür heran.

„Mit Realitätsv­erweigerun­g kann man ein großes Geschäft machen. Und das ist es, was die AfD betreibt.“ „Wir haben das christlich­e Kreuz durch das Hakenkreuz ersetzt und das Hakenkreuz durch den Mercedesst­ern.“

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