Operation am offenen Bild
Restaurierung Rembrandts „Nachtwache“ist eines der berühmtesten Gemälde der Welt. Jetzt wird es eingehend untersucht und ausgebessert – und das Publikum schaut dabei zu
Amsterdam/Augsburg Spannung liegt in der Luft, das ist nicht zu übersehen: Der Trommler rechts schlägt auf sein Instrument, die Spieße hinter ihm sind in Bewegung, ein Schütze links lädt das Gewehr, energisch schreiten zwei Offiziere vorneweg. Es ist diese Dramatik des Bildgeschehens, die Rembrandt van Rijns „Nachtwache“zu einem der berühmtesten Gemälde überhaupt hat werden lassen. Das Gruppenbild der ausrückenden Schützengilde, aufregend auch in seinem Einsatz von Licht und Schatten, ist das Glanzstück des Amsterdamer Rijksmuseums, das eine ganze Reihe von Werken des holländischen Meistermalers besitzt.
Zu der eh schon vorhandenen Aufmerksamkeit, die dem Bild seit jeher zuteilwird, kommt jetzt eine weitere hinzu. Seit dieser Woche wird die „Nachtwache“restauriert, zum ersten Mal wieder seit mehr als vierzig Jahren. Und diese Restaurierung der monumentalen, knapp viereinhalb Meter breiten und dreieinhalb Meter hohen, aus dem Rahmen genommenen Leinwand erfolgt nicht in der stillen Restauratorenkammer, sondern vor den Augen der Museumsbesucher. Für das „Operation Nachtwache“genannte Vorhaben hat das Museum eigens einen gläsernen Kubus von einem französischen Architekten entwerfen lassen und dieses transparente Gehäuse unmittelbar vor die Wand gesetzt, an der das Gemälde hängt.
ein Jahr lang soll die öffentliche Restaurierung dauern, und nicht die geringste Zeit wird dabei die Untersuchung des Gemäldes einnehmen. Die Hilfsmittel, die dabei zum Einsatz kommen, bedienen sich der neuesten Technik. Spezielle Scanner, die Röntgenstrahlen aussenden, ermöglichen es beispielsweise, die chemische Zusammensetzung der Farben zu analysieren und die originalen Pigmente zu bestimmen, mit denen Rembrandt gearbeitet hat – wichtige Erkenntnisse für die eventuellen Ausbesserungen. Für die 17 Quadratmeter Bildfläche sind 56 solcher Scans nötig, ein jeder von ihnen dauert volle 24 Stunden.
Das Restauratoren- und Forscherteam, das an der „Nachtwache“arbeitet, rückt dem Gemälde aber auch mit hochauflösenden Fotoapparaturen zu Leibe – auf der Bildfläche mit bloßem Auge Unsichtbares soll so sichtbar gemacht werden. Über zwölftausend Einzelaufnahmen sollen am Ende einen Eindruck vom Zustand des gesamten Gemäldes vermitteln. Erst nach diesen umfangreichen Voruntersuchungen wird ein „Behandlungsplan“erstellt, nach dem die eigentliche Restaurierung in Angriff genommen wird. Die Kosten für die gesamte „Operation Nachtwache“sind auf rund drei Millionen Euro veranschlagt.
Nicht nur für das Rijksmuseum, sondern für die gesamten Niederlande besitzt Rembrandts Monumentalgemälde eine besondere Bedeutung. Denn das 1642 fertiggestellte Werk verweist auf das „Goldene Zeitalter“des Landes im 17. Jahrhundert, als die Holländer Kolonialmacht waren und ihre Handelsschiffe auf den Weltmeeren kreuzten. Damals erlebten auch die holländischen Städte einen Aufstieg, und ihr Selbstverständnis schlug sich unter anderem in der Aufstellung schlagkräftiger Bürgerwehren nieder. Eben eine solche stellt Rembrandts figurenreiches Gemälde dar, dessen eigentlicher Titel den Bürgerstolz spielt: „Die Kompanie von Kapitän Frans Banning Cocq und Leutnant Willem van Ruytenburgh macht sich bereit zum Ausrücken“. Die Darstellung solcher Schützengilden war zu jener Zeit ein beliebtes Genre. Doch wo andere Künstler statische Figuren ins Bild setzten, sticht Rembrandts „Nachtwache“– der Titel kam erst im 18. Jahrhundert auf – durch die Bewegtheit seines Ensembles hervor.
Dass das monumentale Werk eine Ikone im Geschichtsverständnis des Landes darstellt, hat es immer wieder zum Ziel von Attentätern gemacht. Schon vor einem Jahrhundert, 1911, stach ein Mann auf die „Nachtwache“ein. Ebenfalls mit einem Messer ging 1975 ein Arbeitsloser gegen die Leinwand vor und fügte ihr schweren Schaden zu, was zur letzten großen Restaurierung vor der jetzt angesetzten „OperatiEtwa on“führte. 1990 schließlich sprühte ein psychisch Kranker Säure auf das Bild, was nur deshalb nicht zu Verheerungen führte, weil die herbeieilenden Wärter Wasser auf das Bild schütteten. Und doch war dem Gemälde schon härter zugesetzt worden: Als es 1715 im Amsterdamer Rathaus seinen neuen Platz finden sollte, stellte sich heraus, dass es zu groß war – kurzerhand wurde das im Originalzustand über fünf Meter breite Bild beschnitten. Eine zeitgenössische Kopie des Urbilds zeigt, dass etwa der Trommler rechts durch den rohen Eingriff einiges eingebüßt hat.
Indem die Restaurierung des Bildes nun öffentlich vor sich geht, schlägt das Rijksmuseum mehrere Fliegen mit einer Klappe. Denn abgesehen davon, dass der Rembrandt der Überprüfung und Auffrischung bedarf, bleibt die „Nachtwache“zugleich in ihrem Glascontainer weiterhin zu sehen. Ein wichtiger Aspekt für das Rijksmuseum, das natürlich mit einem Zugpferd wie diesem auch weiterhin um die Gunst des Publikums buhlen will – pro Jahr zählt das Haus in Amsterdam gut zwei Millionen Besucher. Und noch in weiterer Hinsicht würde der Abzug gerade dieses Gemäldes aus der Bestandsausstellung eine schmerzliche Lücke reißen: Erinnern die Niederlande doch in diesem Jahr an den 350. Todestag von Rembrandt (1606-1669). Im Konzert der Vielzahl von Ausstellungen darf dieses Hauptwerk des großen Malers natürlich nicht fehlen.
Das Gemälde hat schon manches überlebt