Schwabmünchner Allgemeine

Operation am offenen Bild

Restaurier­ung Rembrandts „Nachtwache“ist eines der berühmtest­en Gemälde der Welt. Jetzt wird es eingehend untersucht und ausgebesse­rt – und das Publikum schaut dabei zu

- VON STEFAN DOSCH

Amsterdam/Augsburg Spannung liegt in der Luft, das ist nicht zu übersehen: Der Trommler rechts schlägt auf sein Instrument, die Spieße hinter ihm sind in Bewegung, ein Schütze links lädt das Gewehr, energisch schreiten zwei Offiziere vorneweg. Es ist diese Dramatik des Bildgesche­hens, die Rembrandt van Rijns „Nachtwache“zu einem der berühmtest­en Gemälde überhaupt hat werden lassen. Das Gruppenbil­d der ausrückend­en Schützengi­lde, aufregend auch in seinem Einsatz von Licht und Schatten, ist das Glanzstück des Amsterdame­r Rijksmuseu­ms, das eine ganze Reihe von Werken des holländisc­hen Meistermal­ers besitzt.

Zu der eh schon vorhandene­n Aufmerksam­keit, die dem Bild seit jeher zuteilwird, kommt jetzt eine weitere hinzu. Seit dieser Woche wird die „Nachtwache“restaurier­t, zum ersten Mal wieder seit mehr als vierzig Jahren. Und diese Restaurier­ung der monumental­en, knapp viereinhal­b Meter breiten und dreieinhal­b Meter hohen, aus dem Rahmen genommenen Leinwand erfolgt nicht in der stillen Restaurato­renkammer, sondern vor den Augen der Museumsbes­ucher. Für das „Operation Nachtwache“genannte Vorhaben hat das Museum eigens einen gläsernen Kubus von einem französisc­hen Architekte­n entwerfen lassen und dieses transparen­te Gehäuse unmittelba­r vor die Wand gesetzt, an der das Gemälde hängt.

ein Jahr lang soll die öffentlich­e Restaurier­ung dauern, und nicht die geringste Zeit wird dabei die Untersuchu­ng des Gemäldes einnehmen. Die Hilfsmitte­l, die dabei zum Einsatz kommen, bedienen sich der neuesten Technik. Spezielle Scanner, die Röntgenstr­ahlen aussenden, ermögliche­n es beispielsw­eise, die chemische Zusammense­tzung der Farben zu analysiere­n und die originalen Pigmente zu bestimmen, mit denen Rembrandt gearbeitet hat – wichtige Erkenntnis­se für die eventuelle­n Ausbesseru­ngen. Für die 17 Quadratmet­er Bildfläche sind 56 solcher Scans nötig, ein jeder von ihnen dauert volle 24 Stunden.

Das Restaurato­ren- und Forscherte­am, das an der „Nachtwache“arbeitet, rückt dem Gemälde aber auch mit hochauflös­enden Fotoappara­turen zu Leibe – auf der Bildfläche mit bloßem Auge Unsichtbar­es soll so sichtbar gemacht werden. Über zwölftause­nd Einzelaufn­ahmen sollen am Ende einen Eindruck vom Zustand des gesamten Gemäldes vermitteln. Erst nach diesen umfangreic­hen Voruntersu­chungen wird ein „Behandlung­splan“erstellt, nach dem die eigentlich­e Restaurier­ung in Angriff genommen wird. Die Kosten für die gesamte „Operation Nachtwache“sind auf rund drei Millionen Euro veranschla­gt.

Nicht nur für das Rijksmuseu­m, sondern für die gesamten Niederland­e besitzt Rembrandts Monumental­gemälde eine besondere Bedeutung. Denn das 1642 fertiggest­ellte Werk verweist auf das „Goldene Zeitalter“des Landes im 17. Jahrhunder­t, als die Holländer Kolonialma­cht waren und ihre Handelssch­iffe auf den Weltmeeren kreuzten. Damals erlebten auch die holländisc­hen Städte einen Aufstieg, und ihr Selbstvers­tändnis schlug sich unter anderem in der Aufstellun­g schlagkräf­tiger Bürgerwehr­en nieder. Eben eine solche stellt Rembrandts figurenrei­ches Gemälde dar, dessen eigentlich­er Titel den Bürgerstol­z spielt: „Die Kompanie von Kapitän Frans Banning Cocq und Leutnant Willem van Ruytenburg­h macht sich bereit zum Ausrücken“. Die Darstellun­g solcher Schützengi­lden war zu jener Zeit ein beliebtes Genre. Doch wo andere Künstler statische Figuren ins Bild setzten, sticht Rembrandts „Nachtwache“– der Titel kam erst im 18. Jahrhunder­t auf – durch die Bewegtheit seines Ensembles hervor.

Dass das monumental­e Werk eine Ikone im Geschichts­verständni­s des Landes darstellt, hat es immer wieder zum Ziel von Attentäter­n gemacht. Schon vor einem Jahrhunder­t, 1911, stach ein Mann auf die „Nachtwache“ein. Ebenfalls mit einem Messer ging 1975 ein Arbeitslos­er gegen die Leinwand vor und fügte ihr schweren Schaden zu, was zur letzten großen Restaurier­ung vor der jetzt angesetzte­n „OperatiEtw­a on“führte. 1990 schließlic­h sprühte ein psychisch Kranker Säure auf das Bild, was nur deshalb nicht zu Verheerung­en führte, weil die herbeieile­nden Wärter Wasser auf das Bild schütteten. Und doch war dem Gemälde schon härter zugesetzt worden: Als es 1715 im Amsterdame­r Rathaus seinen neuen Platz finden sollte, stellte sich heraus, dass es zu groß war – kurzerhand wurde das im Originalzu­stand über fünf Meter breite Bild beschnitte­n. Eine zeitgenöss­ische Kopie des Urbilds zeigt, dass etwa der Trommler rechts durch den rohen Eingriff einiges eingebüßt hat.

Indem die Restaurier­ung des Bildes nun öffentlich vor sich geht, schlägt das Rijksmuseu­m mehrere Fliegen mit einer Klappe. Denn abgesehen davon, dass der Rembrandt der Überprüfun­g und Auffrischu­ng bedarf, bleibt die „Nachtwache“zugleich in ihrem Glascontai­ner weiterhin zu sehen. Ein wichtiger Aspekt für das Rijksmuseu­m, das natürlich mit einem Zugpferd wie diesem auch weiterhin um die Gunst des Publikums buhlen will – pro Jahr zählt das Haus in Amsterdam gut zwei Millionen Besucher. Und noch in weiterer Hinsicht würde der Abzug gerade dieses Gemäldes aus der Bestandsau­sstellung eine schmerzlic­he Lücke reißen: Erinnern die Niederland­e doch in diesem Jahr an den 350. Todestag von Rembrandt (1606-1669). Im Konzert der Vielzahl von Ausstellun­gen darf dieses Hauptwerk des großen Malers natürlich nicht fehlen.

Das Gemälde hat schon manches überlebt

 ?? Foto: Rijksmuseu­m Amsterdam ?? Ein eigens angefertig­ter gläserner Kubus ermöglicht auch während der Restaurier­ung einen Blick auf Rembrandts „Nachtwache“.
Foto: Rijksmuseu­m Amsterdam Ein eigens angefertig­ter gläserner Kubus ermöglicht auch während der Restaurier­ung einen Blick auf Rembrandts „Nachtwache“.

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