Wie Thomas Schütte Körper anrichtet
Ausstellung Ein Drache vor dem Kunsthaus, drinnen deformierte Frauen-Torsi: Bregenz zeigt den gefeierten Künstler
Bregenz Ein seltsames Tier hat sich vor dem Kunsthaus Bregenz niedergelassen: Drachenkopf, Fischschwanz, kleine Hörner auf dem Kopf. Plump und grinsend hockt das vier Meter lange und zwei Tonnen schwere Geschöpf Thomas Schüttes da und stößt durch die Nasenlöcher Dampfwölkchen aus. Feine Tautropfen bedecken die Nüstern, die weich wirken wie eine Kuhschnauze. „Was ist das für ein Tier?“, will jemand vom Künstler wissen. „Ich weiß es nicht“, antwortet Schütte und schlägt vor: „Ein Hütehund, ein Drache – eine blöde Kuh?“Schütte lässt sich nicht festlegen. Titel der großen Bronzeskulptur: „Drittes Tier“.
Thomas Schütte hat seit Jahren einen unheimlichen Lauf. Die monumentalen Plastiken des Düsseldorfers finden sich in den bedeutendsten Kunsthäusern und Sammlungen der Welt, viele auch im öffentlichen Raum. Mehrfach war Schütte auf der Documenta vertreten, 2005 zeichnete ihn die Biennale Venedig als besten Künstler aus. Sein anhaltender Erfolg scheint dem Gerhard-Richter-Schüler fast suspekt zu sein. „Alles läuft gut: der Verkauf, die Ausstellungen, die Galerien“, sagt er und ergänzt: „Die Lyrik kommt halt zu kurz.“Damit meint der neugierig mit vielerlei Techniken und Materialien spielende Künstler das Zeichnen und Aquarellieren – das freilich nie die Resonanz erzeugt wie seine Bildhauerei. „An einem Aquarell arbeite ich drei Wochen, und dann ist fast nichts passiert.“
Eine Aquarell-Reihe hat der 64-Jährige nach Bregenz mitgebracht: 20 „Blues Men“reihen sich an den Wänden einer KunsthausEtage aneinander. Die Porträts von Musiker-Legenden rahmen drei Riesen-Männer ein, die sich in der Mitte versammeln: „Mann im Wind“I, II, und III. Gebeutelt, aber aufrecht jeder Zumutung trotzend, wirken sie nicht wie Helden. Eher wie Menschen, die die Härten des Lebens stoisch ertragen. Ihre Widerstandskraft schöpfen die BronzeDie Körper sind verformt, die Oberflächen jedoch schimmern in faszinierenden Tönen: Weibliche Torsi von Thomas Schütte im Kunsthaus Bregenz. Fotos: Miro Kazmanovich/Markus Tretter/Thomas Schütte, Bildrecht, Wien, 2019, Kunsthaus Bregenz
gesellen auch aus den breiten, runden Sockeln, in denen sie wie einbetoniert stehen.
Diese markanten Sockel sind einst aus der Not heraus entstanden. Vor Jahren knetete der Bildhauer aus Wachs kleine Figuren. „Weil die partout nicht stehen wollten, habe ich sie aus Frust in ein Kästchen ein
gewachst.“Die „Männer im Wind“haben einige Brüder. Da ist der berühmte, just zu Zeiten der Bankenkrise vor der Landessparkasse Oldenburg aufgestellte „Mann im Matsch“, der als böse Satire gedeutet wurde, obwohl die Sparkasse selbst Auftraggeberin war. Auch in der Bregenzer Innenstadt haben
Bronzemänner Position bezogen. Einer steht vor der barocken Nepomukkapelle und blickt recht mutlos in die Fußgängerzone. Schultern und Mundwinkel hängen ebenso wie der schlaffe Stoff der Fahne in seiner Hand. Die grünen Schlieren der Patina sammeln sich im breiten Sockel, der die versunkenen Füße gefangen hält. „Was soll ich hier?“, scheint sich der Mann zu fragen. Sein Name: „Mann mit Fahne“.
Schütte gibt mit seinen Werktiteln kaum Deutungshinweise. Die acht Frauenkörper, die er im Kunsthaus präsentiert, heißen schlicht „Aluminiumfrau“, „Stahlfrau“oder „Bronzefrau“. Jeder dieser Körper ist auf eigene Weise deformiert: niedergewalzt, kauernd, verdreht, manche mit amputierten oder gequetschten Gliedmaßen und Köpfen. Neben den schmerzhaften
Stellungen und Verformungen wecken die spektakulären Oberflächen Assoziationen. Silbern und tief schwarz glänzend, von Rost überzogen, in oszillierenden Messingtönen oder geheimnisvoll dunkel leuchtendem Violett könnte die Haut darauf verweisen, welche Funktion der malträtierten Frau einst zugeschrieben war – oder welche Träume sie träumte. Jetzt liegen die herauspolierten Torsi wie angerichtet auf aus Stahlträgern zusammengeschweißten Tischen und schauen irgendwie benutzt aus.
Thomas Schütte hat die Modelle dieser eindringlichen Werke schuhschachtelgroß in Ton gearbeitet. Ihre überwältigende Energie gewinnen sie beim Wandel ins zigfach größere Maß. Wer die ausgestellten Frauenskulpturen in jetziger Dimension ausgeführt hat, wisse er nicht mehr, behauptet der Bildhauer und merkt – kokettierend? – an: „Das ist mir ein bisschen peinlich.“Zugleich sagt er selbstbewusst, er kenne keine Material-, Technikoder Stilprobleme, und erklärt das so: „Mein Privileg ist es, mit guten Leuten zu arbeiten, die ich gut bezahle.“Den eigenen Anteil beschreibt er bescheiden als spielerisches Bauen und Basteln. „Dann rede ich mit Profis und höre auf die. So läuft das.“
OThomas Schütte
Ausstellung Bis 6. Oktober im Kunsthaus Bregenz, täglich 10 bis 20 Uhr.