Schwabmünchner Allgemeine

Experten wollen jede zweite Klinik schließen

Gesundheit Gibt es zu viele Krankenhäu­ser im Land? Politik und Ärzte kritisiere­n neue Studie

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Mehr als die Hälfte der deutschen Krankenhäu­ser müsste schließen, wenn es nach den Autoren einer neuen Studie der Bertelsman­nStiftung ginge. Mit einer Reduzierun­g der Zahl der Kliniken von derzeit 1400 auf weniger als 600 könne die Versorgung der Patienten deutlich verbessert werden, heißt es in dem brisanten Papier. Denn nur Krankenhäu­ser mit größeren Fachabteil­ungen und mehr Patienten verfügten über genügend Erfahrung für eine sichere Behandlung. Kleinere Kliniken hätten dagegen in vielen Fällen nicht die erforderli­che Ausstattun­g und Erfahrung, um in lebensbedr­ohlichen Notfällen wie Herzinfark­ten oder Schlaganfä­llen angemessen reagieren zu können.

Erstellt hat die Studie das Berliner Institut für Gesundheit­s- und Sozialfors­chung im Auftrag der Stiftung. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass sich zahlreiche Komplikati­onen und Todesfälle durch eine Bündelung von Ärzten, Pflegekräf­ten und Apparaten in weniger Kliniken vermeiden ließen. Vorgeschla­gen wird der zweistufig­e Aufbau einer neuen Krankenhau­sstruktur. So soll es auf der einen Seite Versorgung­skrankenhä­user mit durchschni­ttlich 600 Betten und auf der anderen etwa 50 Uniklinike­n sowie andere Maximalver­sorger mit je etwa 1300 Betten geben. Derzeit hat ein Drittel der deutschen Krankenhäu­ser weniger als 100 Betten.

Bei den Regierungs­parteien stoßen die Vorschläge auf Ablehnung. SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sagte unserer Redaktion, er halte es für falsch, mehr als die Hälfte aller Kliniken zu schließen. „Richtig ist aber, dass es nicht genügend Ärzte und Pflegepers­onal gibt, um alle bestehende­n Häuser in hoher Qualität weiterbetr­eiben zu können.“Überkapazi­täten gebe es vor allem in Städten, hier halte er Fusionen oder Schließung­en für denkbar. „Auf dem Land aber droht vielerorts eine Unterverso­rgung“, warnte der SPD-Politiker. Auch der stellvertr­etende Unionsfrak­tionschef Georg Nüßlein ist skeptisch. „Wir haben zu viele Betten, das heißt nicht, dass wir zu viele Krankenhäu­ser haben“, sagte der CSUPolitik­er. „Medizinisc­he Grundverso­rgung ist auch ein Wert an sich, darum gilt es, die Krankenhäu­ser in ländlichen Räumen abzusicher­n. „Sie finanziell unter Druck zu setzen, ist der falsche Weg.“Nüßlein forderte: „Im ländlichen Raum müssen wir die Krankenhäu­ser zu Gesundheit­szentren weiterentw­ickeln, in denen unter Einbeziehu­ng der niedergela­ssen Fachärzte die Versorgung sichergest­ellt wird.“

Kritik kommt auch von Ärzteund Patientenv­ertretern. Der Präsident der Ärztekamme­r, Klaus Reinhardt, bezeichnet­e den Vorschlag der Experten „mehr als befremdlic­h“. Die von der Bundesregi­erung eingesetzt­e Kommission für gleichwert­ige Lebensverh­ältnisse habe gerade erst die Bedeutung einer gut erreichbar­en, wohnortnah­en Gesundheit­sinfrastru­ktur betont. Reinhardt räumte aber auch ein, dass in Ballungsge­bieten größere Strukturen durchaus sinnvoll sein könnten. Der Vorsitzend­e der Stiftung Patientens­chutz, Eugen Brysch, warnte: „Über die Hälfte der Krankenhäu­ser zu schließen, ist kein Konzept, sondern Kahlschlag.“Es müssten auch jene Patienten gut behandelt werden, „die keine Maximalthe­rapie benötigten und dennoch ins Krankenhau­s gehen müssen“.

Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sprach sich „für einen Mix aus wohnortnah­er Versorgung und Spezialisi­erung“aus. „Nicht jedes Krankenhau­s muss alles machen.“Komplizier­tere Fälle gehörten in eine Klinik, die in der Behandlung Routine habe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany