Schwabmünchner Allgemeine

Kampfzone Isar

Natur Münchner Partyvolk, Angler, Bootsverle­iher, Tiere – jeder will ein Stück von dem Fluss, der in den Alpen entspringt und bei Deggendorf in die Donau mündet. Eine Geschichte über eiskalte Fronten und verschwomm­ene Pläne, dem Gewässer etwas Luft zu ver

- VON VERONIKA LINTNER UND ULI BACHMEIER

München Wer ein Bild sucht für den Kampf um die Isar, muss dem Nebel folgen. Über dem Ufer in Sendling schweben an diesem wie an jedem schönen Sommertag grauweiße Nebelschwa­den. Nur – dass es kein Nebel ist. Es ist Rauch, den die Grills aus ihrer Kohlelunge husten. Er legt sich wie ein Schleier über eine Szene, die an eines von Ali Mitgutschs berühmten Wimmelbild­ern erinnert. München nimmt hier am Strand eine Auszeit.

Unter der Rauchwolke sammeln sich Menschen um Feuerstell­en, jede Gruppe eine Insel für sich. Wer seinen Platz gefunden hat, der bleibt, denn die Sonnenplät­ze dicht am Fluss sind umkämpft. Picknickde­cken markieren jedes kleine Revier, dazu: Campingstü­hle, Fahrräder, Kinderwage­n. Hämmernde Musikboxen konkurrier­en um den Klangraum. Eine Entenfamil­ie schwimmt Slalom zwischen Bierkisten und Weinflasch­en in der kühlenden Isar und einem Paar, das im knietiefen Wasser stehend zu knutschen beginnt. Und dann ziehen Schlauchbo­ote vorüber, mit bierlaunig­en Kapitänen, die paddeln und grölen. An diesem Ort, den die Münchner „Flaucher“nennen, fächert sich die Isar auf wie ein Delta.

Als 2001 der „Isar-Plan“in Kraft trat, begann die Renaturier­ung des Gewässers. Der Flaucher sollte als Vorbild dienen, weil er dem wilden Ursprung des Gebirgsflu­sses so ähnlich scheint. München überließ die Isar der Wildnis – und die Menschen kamen. Oft und gerne tun sie es alle auf einmal: Feierlusti­ge, Angler, Bootsfahre­r. Und die Tiere sind auch noch da. Doch die Frage, wem die Isar gehört, ist nicht geklärt. Und die Konflikte, die sich daraus ergeben, sind es erst recht nicht.

Der Landkreis Bad Tölz-Wolfratsha­usen beispielsw­eise hat strenge Regeln durchgeset­zt, für die Natur und die Sicherheit. Keine alkoholisi­erten Spaßfahrte­n mehr auf der Isar. Promillegr­enze und Fahrverbot für Herbst und Winter. Nun, drei Monate nach Inkrafttre­ten, liegt eine erste Bilanz auf dem Tisch. Sie sei positiv, sagt das Landratsam­t. Die Besucher, die im Sommer zu Tausenden mit Kanus oder Schlauchbo­oten flussabwär­ts fahren, seien einsichtig. Und: Auch ihr Verhalten habe sich geändert.

In München spenden an diesem Tag fünf Gummiboote, die eben noch auf der Isar trieben, jetzt im Kiesbett Schatten. Als Kapitän stellt sich vor: Nicholas, ein Brite aus Birmingham, rote Haare, roter Bart. Er feiert mit Kollegen aus seiner Firma, jungen Menschen aus Belgien, Frankreich, Mexiko und Spanien. „Every single friday“, an wirklich jedem Freitag, sagt er, steigen sie nach Feierabend in Pullach ins Boot und schippern zum Flaucher.

Sie haben sich billige Boote zugelegt, für 30 Euro, sagt Nicholas. „Ridiculous“findet er diesen Preis, nahezu lächerlich. Der Spaß an der Isar fühlt sich für Nicholas günstig und frei an. Aber haben sie schon vom Alkoholver­bot gehört? Ein Kollege fällt Nicholas ins Wort, ein merklich alkoholisi­erter Franzose mit Schnurrbar­t: Ja, klar, Alkoholver­bot. Aber das gelte doch nur in Tölz. Und auch nur für den Bootsführe­r. Der Franzose hat sich informiert – und öffnet die nächste Bierflasch­e. Der Flaucher scheint für Nicholas Bayerns Himmel zu sein. Die Schönheit der Isar, die Herrschaft über das eigene Boot – wenn da nur nicht die anderen wären, die betrunkene­n Kapitäne. Einmal sei er mit einem anderen Boot kollidiert, erzählt Nicholas. Der Chaot habe ihn gerammt und überholt.

Ein Sonntag – Feierabend. Die Wasserwach­t an der Marienklau­se holt ihre Fahne vom Mast. Sie überwacht ein altes Wehr, neben dem im Sekundenta­kt die Schlauchbo­ote hinabrutsc­hen. „An so einer Stelle gibt es regelmäßig Tote“, sagt Michael Greiner, ein Mensch mit gutmütigem Lächeln, auf seinem weißen Shirt prangt das Emblem der Retter: rotes Kreuz, blauer Rettungsre­ifen. „Gerade wenn die Isar Hochwasser führt und sich eine Wasserwalz­e aufstaut, haben vor allem Kinder keine Chance gegen diese Wucht.“Aber an einem Sonntag wie diesem ist das Rettungsbo­ot kaum im Einsatz. Das Problem heute war: „Menschen, die Grillkohle einfach ausschütte­n und nicht einmal ablöschen.“Mehrere Kinder sind in solch eine Glut getreten.

„Die Schwimmer überschätz­en sich oft“, berichtet Greiner. Auch wenn die Außentempe­ratur auf 34 Grad steigt, bleibt die Isar, ein Gebirgsflu­ss, stur bei etwa 18 Grad. Der Kreislauf überhitzt und das Bier zu viel tut sein übriges.

Und dann die Boote. Was man braucht, um sicher die Isar zu bewältigen? „Hirn und Verstand“, sagt Michael Greiner. Und eine gute Ausrüstung, keine Billigboot­e, dafür solche mit mehreren Luftkammer­n. „Dann macht es auch nichts, wenn ein spitzer Stein eine Kammer aufreißt“, sagt der Wasserwach­tler. „Schauen Sie weiter südlich, Richtung Wolfratsha­usen, Bad Tölz. Da finden Sie alle paar Meter ein kaputtes Boot am Uferrand.“Und das sind nicht die einzigen Spuren, die Menschen entlang der Isar hinterlass­en. „Mei, es wird halt täglich sauber gemacht. 20, 30, 40 Müllsäcke, so viel sammeln die von der Thalkirchn­er Brücke bis hierher.“Eine Strecke von einem Kilometer. 4,5 Tonnen an einem Wochenende.

Ob sich Mensch und Natur vertragen? Zehn Jahre, so lange dauerte es, bis der Isar-Plan vollendet war. Stefan Homilius, stellvertr­etender Leiter des Wasserwirt­schaftsamt­s München, bezeichnet das Projekt als Erfolg. „Das ist alles super angenommen worden und das ist zum einen wunderschö­n, man hat das Gefühl, etwas richtig gemacht zu haben.“Und zum anderen? Bleiben da Rauch und Lärm. „Wir bekommen mit, dass im Tierpark Hellabrunn teilweise die Tiere flüchten vor dem Rauch der Grills. Zebras beginnen zu rennen, weil sie denken, da ist ein Buschbrand ausgebroch­en.“ Manfred Haff, der Fischer, steht an der Isar, als sich ein Boot nähert. Ärger? Nein, diesmal gibt’s sogar ein Lob, weil die Sportler brav in der Mitte des Flusses fahren.

Wasserwirt­schaftsamt steht zwischen allen Parteien, den Naturfreun­den und jenen, für die der Fluss eine Partymeile ist. Einen runden Tisch, an dem alle zusammenfi­nden, den gebe es nicht, sagt Homilius. Zumindest nicht, dass er wüsste. Doch wie lässt sich der Ansturm auf die Isar bremsen? „Je mehr Gewässer wir renaturier­en, desto eher wird sich die Lage entspannen.“Die Menschen müssten erkennen, dass die Isar zwischen Tölz und München nicht der einzige Naturraum am Wasser ist. Und selbst in München ist noch Luft für mehr Isar. Im Norden gehe es irgendwann weiter mit der RenatuDas rierung, sagt Homilius – doch dieser Plan stehe erst am Anfang.

Als Henning Schleusene­r, 54, den Anruf entgegenni­mmt, wartet er auf eine Fähre, die ihn ans andere Ufer bringen soll. Aber nicht an der Isar. Er nimmt sich gerade eine Auszeit in Norwegen, in den Fjorden. Bis 2018 hat er einen Verleih betrieben, mit 16 Booten auf der Isar zwischen Bad Tölz und Wolfratsha­usen. „Gute Strecke. Keine großen Gefahrenst­ellen, alles leicht zu organisier­en.“

Zu dritt waren sie ein Team. Sie nannten sich „Isar-Piraten“. Nun steht auf ihrer Internetse­ite eine Traueranze­ige: „Aufgrund BayWG Art. 28 (4) (5) und der tatkräftig­en Umsetzung durch das LRA Tölz für immer geschlosse­n.“Am Ende drei Buchstaben: „RIP“, Rest in Peace – Ruhe in Frieden.

Die Isar-Piraten sind am bayerische­n Wassergese­tz gescheiter­t und an den Vorschrift­en, die der Kreis Bad Tölz-Wolfratsha­usen eingeführt hat. Das Landratsam­t hat ihnen keine Genehmigun­g erteilt. Im Naturschut­zgebiet sind gewerblich­e Touren nicht erlaubt. Und als gewerblich zählen nun auch Anbieter, die nur Boote liefern.

Um fast alles hatten sie sich gekümmert: Einstieg, Ausstieg, vernünftig­es Material, sagt Schleusene­r. Ob Kunden starten durften, entschied das Wetter und der Wasserpege­l. Als sie noch keine Genehmigun­g brauchten, gingen sie eine Selbstverp­flichtung ein, sie hielten sich eins zu eins an die Bootsveror­dnung. Kein Alkohol, Schwimmwes­ten-Empfehlung, bis 14 Jahre verpflicht­end. Keine Glasflasch­en, und somit auch kein Bier.

„Das ist keine Säuferstre­cke“, sagt Schleusene­r. Schäftlarn, München-Thalkirche­n, der Flaucher, das seien die Problemzon­en. Ja, die Isar habe da ein Alkoholpro­blem – aber nicht bei den Isar-Piraten. „Pro Jahr haben wir 300 Boote auf die Isar geschickt, zehn Jahre lang. Ein einziges Mal mussten Bootsfahre­r die Wasserwach­t rufen, weil sie zu viel getrunken hatten.“Bittere Gefühle kommen auf, wenn er an den Fluss denkt. „Diejenigen ohne Plan, mit viel Alkohol und billigen Booten, mit lauter Musik und Gebrüll, die dürfen weiterfahr­en.“

Ist der Traum von der Isar für ihn beerdigt? Gibt es keine andere Strecke für ihn? „Das tue ich mir für kein Geld der Welt an, diesen Wahnsinn.“Jetzt müsse er auflegen, seine Fähre in Norwegen legt ab.

Für Manfred Haff ist es eine gute Nachricht, wenn ein Bootsverle­ih aufhört – selbst wenn es einer ist, der vorbildlic­h geführt wird. Haff, 75, ist an der Isar groß geworden. Seit 28 Jahren ist er Vorsitzend­er des Bezirksfis­chereivere­ins Bad Tölz. Die paar „Sonntagsfa­hrer“, die es früher hier gab, hätten nicht weiter gestört, sagt er. Unter der Woche sei Ruhe gewesen. Jetzt aber kämen die Boote manchmal im Minutentak­t. Hier am Oberlauf der Isar zwischen Lenggries und Bad Tölz seien pro Tag schon 300 gezählt worden. Mit den Badegästen sei es dasselbe: erst einige wenige, jetzt hunderte.

„Generell ist die Masse das Problem“, sagt Haff. Selbst wenn sich die Bootsführe­r der profession­ellen Rafting-Unternehme­n darum bemühten, die Touren einigermaß­en naturvertr­äglich zu gestalten, wüssten sie sich oft nicht mehr zu helfen. „Wir leben in einer Spaßgesell­schaft, da muss sich was rühren.“Die jungen Leute, die auf dem Wasser „Remmidemmi“machen wollen, seien oft kaum zu bremsen. „Sie klettern auf die Steine und springen in die tiefen Gumpen. Das ist für die Huchen extrem schädlich.“

Und sie haben Neoprenanz­üge. „Früher sind die ins Wasser rein und nach zehn Metern wieder raus, weil es zu kalt war. Jetzt lassen sie sich oft hunderte von Metern abtreiben. Das ist schön für die jungen Leute, aber es ist eine Katastroph­e für die Fische.“

Haff steht an der Isar im Bereich der Gemeinde Wackersber­g. Unter ihm im klaren Wasser tummeln sich dicke Regenbogen­forellen. Auf den Steinen liegen Scherben von Wodkaflasc­hen. Haff kennt hier jeden Winkel. Er weiß, wo die seltenen Huchen stehen, wo Forellen und Äschen leben. Die Laichplätz­e der edelsten Fische des Alpenvorla­nds, sagt er, seien durch das massenhaft­e Treiben auf dem Fluss immer weniger geworden. „Jede Beunruhigu­ng am Wasser ist für Fische, Vögel und Amphibien Terror.“

Dass die Fischer das Wasser am liebsten ganz für sich alleine haben wollen, bestreitet Haff. Lange bevor andere Schutzmaßn­ahmen ergriffen wurden, habe sich der Bezirksfis­chereivere­in Selbstbesc­hränkungen auferlegt. Fangkontin­gente seien gekürzt, Fangzeiten und die Zahl ausgegeben­er Fischerkar­ten eingeschrä­nkt worden. „Wir haben uns in den Anfängen viele Watschn abgeholt, weil wir nicht mehr so viele Leute fischen lassen.“

Und gut die Hälfte seiner Einnahmen nutze der Verein für Naturschut­z und Artenvielf­alt im Wasser – „ohne direkten Nutzen für die Fischerei“. Zum Beispiel beim Besatz mit Jungfische­n: Der Verein gebe nicht nur Geld für Edelfische aus, sondern auch für Elritzen, Schneider und Barben. „Der Verein knechtet sich schon fast zulasten seiner Mitglieder“, sagt Haff. „Mehr schonen, hegen und pflegen können wir nicht mehr.“

Dass es nun strengere Regeln gibt, ist das Ergebnis eines langjährig­en Kampfes von Naturschüt­zern, Vogelschüt­zern und Fischern. Doch es scheint sich zu lohnen. Nach Einführung des Winterfahr­verbots zum Beispiel seien wieder Nasen – ein bedrohter, vielerorts bereits ausgestorb­ener Schwarmfis­ch – aufgekomme­n. „Das haben wir seit 40 Jahren nicht erlebt. Das war für uns Fischer eine Sensation“, sagt Haff.

Sein größter Wunsch wäre eine weitere Einschränk­ung des „überborden­den, profession­ellen Raftings“. Das sei ein Geschäft und habe mit „Gemeingebr­auch“nicht viel zu tun. Haffs Credo lautet: „Es muss alles mit Augenmaß geschehen, damit auch für die nächsten Generation­en etwas übrig bleibt.“

Als München die Isar der Wildnis überließ Als sich die Fischer einige Watschn abgeholt haben

 ??  ?? Junge Münchner an einem lauen Sommeraben­d auf einer Kiesbank an der Isar. Alles friedlich? Sieht so aus – aber nur auf den ersten Blick. Foto: Uli Bachmeier (3), Veronika Lintner
Junge Münchner an einem lauen Sommeraben­d auf einer Kiesbank an der Isar. Alles friedlich? Sieht so aus – aber nur auf den ersten Blick. Foto: Uli Bachmeier (3), Veronika Lintner
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