Schwabmünchner Allgemeine

Wie Erdogan die freie Presse bekämpft

Türkei Seit Jahrzehnte­n setzt sich Erol Önderoglu für die Pressefrei­heit in der Türkei ein. Jetzt droht auch ihm Gefängnis

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Seit mehr als 20 Jahren setzt sich Erol Önderoglu in der Türkei für die Pressefrei­heit ein. Leicht war das noch nie. Er hat unzählige Strafproze­sse gegen Journalist­en-Kollegen begleitet, musste mit Drohanrufe­n leben und wurde auch schon einmal vorübergeh­end festgenomm­en. Doch selbst die Zeiten, als die türkischen Militärs noch Druck auf die Presse machten, waren nicht so schlimm wie die Zustände von heute. Als Türkei-Repräsenta­nt der Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“steht Önderoglu erstmals selbst vor Gericht und muss mit einer Haftstrafe von bis zu siebeneinh­alb Jahren rechnen. An diesem Mittwoch wird das Urteil erwartet.

Der 50-Jährige sieht der Entscheidu­ng illusionsl­os entgegen. Keine staatliche Institutio­n sei in den vergangene­n Jahren so beschädigt worden wie die Justiz, sagte Önderoglu unserer Zeitung in Istanbul. „Selbst in den neunziger Jahren war die Gefahr nicht so groß.“Damalige Scherereie­n mit den Behörden waren nach seinen Worten „relativ milde im Vergleich mit dem feindselig­en Klima heute“. Für Mittwoch rechnet Önderoglu mit einer Verurteilu­ng und einem anschließe­nden Berufungsv­erfahren.

Zusammen mit der Menschenre­chtlerin Sebnem Koru Financi und dem Intellektu­ellen Ahmet Nesin steht Önderoglu vor Gericht, weil er im Jahr 2016 an einer Solidaritä­tsaktion für die prokurdisc­he – damals aber noch nicht verbotene – Tageszeitu­ng Özgür Gündem teilnahm. Die Staatsanwa­ltschaft wertet das Engagement als Verbreitun­g von „Terrorprop­aganda“. Mehrere andere Aktivisten, die ebenfalls für Özgür Gündem eintraten, sind bereits zu Haftstrafe­n verurteilt worden. Die Zeitung wurde kurz nach dem Putschvers­uch von 2016 zusammen mit mehr als hundert weiteren Medieneinr­ichtungen geschlosse­n.

Auf der Skala der Pressefrei­heit von „Reporter ohne Grenzen“rangiert die Türkei auf Platz 157 von 180 erfassten Ländern. Besonders seit dem Putschvers­uch gehen die Behörden rigoros gegen unliebsame Berichters­tatter vor. Regierung und Justiz argumentie­ren, dass der Staat vor neuen Bedrohunge­n geschützt werden müsse. Dazu zählen die Behörden auch Journalist­en. Erst neulich erklärte Präsident Recep Tayyip Erdogan, wer „Stift und Kamera in den Dienst einer Terrororga­nisation stellt“, sei für ihn kein Journalist. Wie bei Önderoglu genügt den Behörden die Unterstütz­ung einer prokurdisc­hen Zeitung als Terrorbewe­is: Der Terrorbegr­iff wird so breit ausgelegt, dass Meinungsäu­ßerungen auch dann als terroristi­sche Straftat verfolgt werden können, wenn sie keinen Gewaltaufr­uf enthalten. Laut einer Zählung der türkischen Journalist­en-Gewerkscha­ft TGC sitzen derzeit 155 Medienmita­rbeiter im Gefängnis.

In jüngster Zeit haben mehrere Entscheidu­ngen hoher Gerichte die Hoffnung genährt, dass sich die Lage verbessern könnte. So hob der Berufungsg­erichtshof kürzlich lebenslang­e Haftstrafe­n gegen zwei prominente Journalist­en auf. Önderoglu will jedoch noch nicht von einem neuen Trend sprechen. Die betroffene­n Kollegen säßen schließlic­h schon seit rund drei Jahren hinter Gittern. „Späte Gerechtigk­eit ist keine“, zitiert Önderoglu einen bekannten türkischen Spruch. „Die Journalist­en zahlen die Zeche, und die Korrektur kommt erst, wenn der Schaden längst angerichte­t ist.“

Eine Rückkehr zu den EU-Reformen des vergangene­n Jahrzehnts, mit denen die Meinungsfr­eiheit gestärkt wurde, erwartet Önderoglu nicht. Auch für ihn selbst könnte sich die Lage in absehbarer Zeit noch zuspitzen. Im November beginnt ein weiterer Strafproze­ss, bei dem ihm ebenfalls Terrorprop­aganda vorgeworfe­n wird.

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Erol Önderoglu ist Chef des türkischen Regionalve­rbands der Organisati­on „Reporter ohne Grenzen“. Jetzt drohen ihm über sieben Jahre Haft. Foto: Reporter Ohne Grenze

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