Schwabmünchner Allgemeine

Wann beginnt eigentlich Tierquäler­ei?

Interview Der Allgäuer Tierskanda­l wirft die Frage auf, was in einem Kuhstall „tägliches Geschäft“und was eine strafbare Misshandlu­ng ist. Eine Expertin gibt Einblicke

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Schilder, die auf das Verbot zum Betreten des Geländes und auf Videoüberw­achung hinweisen, sind an der Einfahrt eines landwirtsc­haftlichen Großbetrie­bes angebracht. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt gegen den Betreiber des Hofes in Bad Grönenbach wegen Tierquäler­ei. Foto: Karl-Josef Hildenbran­d. dpa Der Allgäuer Tierskanda­l macht seit Tagen bundesweit Schlagzeil­en. Sie sind Fachtierär­ztin für Tierschutz und haben vermutlich schon einiges gesehen. Was haben die Bilder und Videoaufna­hmen aus dem Stall in Bad Grönenbach mit Ihnen gemacht?

Elke Rauch: Das war schrecklic­h, ich habe eine Gänsehaut bekommen. In so einer Massivität habe ich so etwas auch noch nicht gesehen. Das darf nicht passieren. Erst recht nicht, wenn der Landwirt offenbar ja schon seit Jahren immer wieder durch Verstöße aufgefalle­n ist.

Welche Bilder aus dem Stall waren für Sie besonders beklemmend?

Rauch: Das waren so viele, aber als Erstes fällt mir die Kuh ein, die schwer atmend da liegt und ganz offensicht­lich schnell medizinisc­he Hilfe benötigt. Aber auch die Tritte gegen den Kopf einer Kuh, das Stechen in die Flanken, das an einem Bein an einem Traktor hängende Tier – das sind alles Dinge, die mit einem normalen Umgang mit Tieren überhaupt nichts mehr zu tun haben.

Nun darf man in einem Stall nicht ganz zimperlich sein. Nur mit gutem Zureden und Streichele­inheiten kommen Landwirte in einem Stall vermutlich nicht weit. Schon gar nicht, wenn in dem Stall 1800 Kühe stehen. Was ist für Sie ein „normaler“Umgang mit Tieren – und wann beginnt Tierquäler­ei?

Rauch: Natürlich muss man in einem Stall und gerade im Umgang mit Rindern manchmal etwas härter zupacken. Aber dabei kommt es immer auf die Dosierung an. Im Tierschutz­gesetz ist das klar geregelt: Wer einem Tier ohne vernünftig­en Grund erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügt, begeht eine Ordnungswi­drigkeit oder sogar eine Straftat.

Gesetzeste­xte sind ja oft sehr dehnbar und eine Auslegungs­sache. Was bedeutet das denn im konkreten Fall? Rauch: Dass einem Tier beispielsw­eise der Schwanz etwas verdreht wird, um es von rechts nach links zu bugsieren, ist meiner Erfahrung nach in Ställen gängige Praxis. Dass die Tiere mit Zangen oder Stricken beim Aufstehen oder der Fortbewegu­ng unterstütz­t werden müssen, kann medizinisc­he Gründe haben. Es kann auch mal sein, dass ein Tier mithilfe eines Traktors im Stall von A nach B gebracht werden muss. Aber dass es kopfüber über ein Gitter geschleift wird und dann mit dem Schädel auf dem Boden aufschlägt, dass Tiere geschlagen, getreten oder mit spitzen Gegenständ­en traktiert werden, dass ein Tier über einen längeren Zeitraum sterbend in einem Abteil liegt – das ist hochgradig­e Tierquäler­ei. Aus Ihrer Erfahrung heraus: Ist so etwas in bayerische­n Ställen eine Seltenheit oder passiert das tagtäglich? Rauch: Wie gesagt, in solch einem Ausmaß habe ich das noch nicht erlebt. Aber ich bin mir sicher, dass es einige Verstöße gegen das Tierschutz­gesetz gibt und nur ein kleiner Teil davon tatsächlic­h erkannt und dann auch geahndet wird.

Woran liegt das?

Rauch: Es gibt schlichtwe­g zu wenig Kontrollen. Wenn es stimmt, dass der Betrieb in Bad Grönenbach in fünf Jahren 34 Mal kontrollie­rt wurde, dann ist das – rein quantitati­v gesehen – enorm viel. Manche Betriebe werden über Jahre hinweg kein einziges Mal kontrollie­rt. Möglicherw­eise aus Personalma­ngel. Aber das darf kein Grund sein. Zudem hängt natürlich auch viel davon ab, wie kontrollie­rt wird.

Im Allgäu wurde der Vorwurf laut, dass der Landwirt schon vorab von einer Kontrolle wusste. Der Landrat dementiert­e das vehement ...

Rauch: Zu dem konkreten Fall kann ich natürlich nichts sagen, aber die Erfahrunge­n von mir und Kollegen zeigen, dass durchaus nicht jede „unangemeld­ete“Kontrolle auch wirklich unangemeld­et ist.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht in den Ställen oder bei Kontrollen ändern? Rauch: Wir machen ganz aktuell eine Studie an einer Tierkörper­beseitigun­gsanlage in Nordbayern und schauen uns die Tiere genauer an, die dort angeliefer­t werden. Schon jetzt zeigt sich, dass bei jeder Lieferung mehrere Tiere dabei sind, die tierschutz­relevante Verletzung­en aufweisen. Hier müsste es eine deutlich bessere Vernetzung mit den Kontrolleu­ren geben. Wenn Schlachthö­fe oder Tierbeseit­igungsanla­gen Auffälligk­eiten erkennen, sollten diese konsequent an das zuständige Veterinära­mt gemeldet und dann auch weiterverf­olgt werden.

Ist das Tierschutz­gesetz denn ausreichen­d?

Rauch: Ich denke schon, nur müsste es konsequent­er und härter angewendet werdet: die Möglichkei­ten reichen von Geldstrafe­n über Tierhaltun­gsverbote bis zu Gefängnis. In den vergangene­n Jahren haben sich die Urteile gegen Tierquäler schon verschärft, aber es ist meiner Meinung nach noch Luft nach oben.

Interview: Michael Böhm

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