Schwabmünchner Allgemeine

Memmingens Männerdomä­ne

Fischertag Beim größten Heimatfest der Stadt gilt eine besondere Regel: Den Stadtbach darf nicht jeder ausfischen. Warum die jahrhunder­tealte Tradition jetzt sogar das Amtsgerich­t und das Finanzamt beschäftig­t

- VON THOMAS SCHWARZ

Memmingen Für Außenstehe­nde mutet das befremdlic­h an: Knapp 1200 Männer „jucken“nach einem lauten Böllerschu­ss an einem Samstag um acht Uhr in voller Montur mit ihren „Bären“in den kalten Memminger Stadtbach. Erklärung für Nicht-Memminger: Ein „Bär“ist ein Kescher, die Männer sind Stadtbachf­ischer. „Jucken“heißt hineinspri­ngen und der Stadtbach ist das Fließgewäs­ser, das die ganze Stadt seit Jahrhunder­ten durchzieht.

Und quasi so alt ist auch die Aktion der Männer. Denn die machen das nicht (nur) aus Spaß – sondern um möglichst alle Forellen aus dem Stadtbach zu holen, damit der einmal im Jahr gereinigt werden kann. Diese Aktion gibt es seit mindestens 1466 – seit über 100 Jahren ist sie besser bekannt als „Fischertag“.

Um den ranken sich viele Mythen. Und für Außenstehe­nde merkwürdig­e Riten. Zum Beispiel tragen fast alle Männer Strohhüte mit Abzeichen vergangene­r Jahre, die „Bären“werden teilweise selbst hergestell­t und am Vorabend stimmt man sich zünftig (und gern auch mit Alkohol) auf das Ausfischen ein. Dieses Recht haben ausschließ­lich die „Stadtbachf­ischer“, Beim traditione­llen Fischertag dürfen nur Männer in den Memminger Stadtbach steigen. Archivfoto: Christoph Kölle

von über 30 Gruppen des veranstalt­enden Fischertag­svereins. In allen Vereinsgru­ppen bis auf diese eine dürfen auch Frauen Mitglieder sein. Die ausschließ­ende Ausnahme ist in einem eigenen Punkt der Vereinssat­zung geregelt.

Genau dieser Punkt sorgte in den vergangene­n Monaten in Memmin

gen für Unruhe, ja Ärger – und beschäftig­t bald sogar das Amtsgerich­t. Denn ein weibliches Vereinsmit­glied fühlt sich diskrimini­ert. Damit steht sie allerdings ziemlich allein da. Bereits bei zwei Delegierte­nversammlu­ngen – dem höchsten Entscheidu­ngsgremium des Vereins – erntete sie mit ihren entspreche­neine den Anträgen jeweils eine Ablehnung von deutlich über 90 Prozent.

Der Vereinsvor­stand beruft sich auf die jahrhunder­tealte Tradition – das habe nichts mit Diskrimini­erung zu tun, sondern mit gelebter Geschichts­darstellun­g. Und da spielten Frauen eben keine Rolle. Hinter zumeist vorgehalte­ner Hand sagen viele Memmingeri­nnen sowieso, dass sie nicht freiwillig in den kalten und teilweise schlammige­n Stadtbach „jucken“würden.

Der umstritten­e Punkt hat aber unter Umständen noch weitreiche­ndere Folgen. Denn die Anwältin der Klägerin zweifelt die Gemeinnütz­igkeit des Vereins an, wenn der gezielt Frauen ausschließ­t. Verlöre der Verein seine Gemeinnütz­igkeit, verlöre er auch erhebliche steuerlich­e Vergünstig­en – und somit einen gewichtige­n Teil seiner Einnahmen. Mit dem Finanzamt sei man schon im Gespräch, sagt Vereinsvor­stand Michael Ruppert. „Das Problem ist lösbar“, ist der Mann überzeugt, der selbst seit über 40 Jahren in den Stadtbach springt. Man werde wohl in ein paar Punkten nachbesser­n. Aber beim Frauenverb­ot in Sachen Stadtbach soll es bleiben.

Wie das alles juristisch und fiskalisch ausgeht, ist unklar. Einen Gerichtste­rmin gibt es noch nicht. Der Vorstand ist aber überzeugt, auch diesen Sturm im Stadtbach zu überstehen. Das klappte auch bei Ärger mit der Tierschutz­organisati­on Peta. Die hatte seit einigen Jahren immer wieder kritisiert, dass die Forellen beim Fischertag gequält würden. Der Verein zog daraus seine Lehren: Alle Stadtbachf­ischer müssen nun einen Fischereis­chein nachweisen, es gibt vor Ort Kontrollen und im Vorfeld Schulungen. Dabei wird zum Beispiel klar darauf hingewiese­n, dass maximal zwei Forellen in einem Kübel landen dürfen und das darin befindlich­e Wasser frühestens zehn Minuten vor dem Startschus­s eingefüllt werden darf – damit noch ausreichen­d Sauerstoff vorhanden ist.

Egal, was man von der Sache hält: Der nächste Fischertag am 20.Juli wird so sein wie alle vorher: Um acht Uhr morgens gibt der Böllerschu­ss das Startsigna­l für die rund 1200 Männer, die im Beisein von zehntausen­den Zuschauern dann Jagd auf die Forellen machen. Zum größten Memminger Heimatfest zieht es auch viele aus der ganzen Welt wieder zurück nach Memmingen. Wer die schwerste Forelle aus dem Stadtbach an Land zieht, wird übrigens Fischerkön­ig. Eine Königin ist nicht vorgesehen.

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