Memmingens Männerdomäne
Fischertag Beim größten Heimatfest der Stadt gilt eine besondere Regel: Den Stadtbach darf nicht jeder ausfischen. Warum die jahrhundertealte Tradition jetzt sogar das Amtsgericht und das Finanzamt beschäftigt
Memmingen Für Außenstehende mutet das befremdlich an: Knapp 1200 Männer „jucken“nach einem lauten Böllerschuss an einem Samstag um acht Uhr in voller Montur mit ihren „Bären“in den kalten Memminger Stadtbach. Erklärung für Nicht-Memminger: Ein „Bär“ist ein Kescher, die Männer sind Stadtbachfischer. „Jucken“heißt hineinspringen und der Stadtbach ist das Fließgewässer, das die ganze Stadt seit Jahrhunderten durchzieht.
Und quasi so alt ist auch die Aktion der Männer. Denn die machen das nicht (nur) aus Spaß – sondern um möglichst alle Forellen aus dem Stadtbach zu holen, damit der einmal im Jahr gereinigt werden kann. Diese Aktion gibt es seit mindestens 1466 – seit über 100 Jahren ist sie besser bekannt als „Fischertag“.
Um den ranken sich viele Mythen. Und für Außenstehende merkwürdige Riten. Zum Beispiel tragen fast alle Männer Strohhüte mit Abzeichen vergangener Jahre, die „Bären“werden teilweise selbst hergestellt und am Vorabend stimmt man sich zünftig (und gern auch mit Alkohol) auf das Ausfischen ein. Dieses Recht haben ausschließlich die „Stadtbachfischer“, Beim traditionellen Fischertag dürfen nur Männer in den Memminger Stadtbach steigen. Archivfoto: Christoph Kölle
von über 30 Gruppen des veranstaltenden Fischertagsvereins. In allen Vereinsgruppen bis auf diese eine dürfen auch Frauen Mitglieder sein. Die ausschließende Ausnahme ist in einem eigenen Punkt der Vereinssatzung geregelt.
Genau dieser Punkt sorgte in den vergangenen Monaten in Memmin
gen für Unruhe, ja Ärger – und beschäftigt bald sogar das Amtsgericht. Denn ein weibliches Vereinsmitglied fühlt sich diskriminiert. Damit steht sie allerdings ziemlich allein da. Bereits bei zwei Delegiertenversammlungen – dem höchsten Entscheidungsgremium des Vereins – erntete sie mit ihren entsprecheneine den Anträgen jeweils eine Ablehnung von deutlich über 90 Prozent.
Der Vereinsvorstand beruft sich auf die jahrhundertealte Tradition – das habe nichts mit Diskriminierung zu tun, sondern mit gelebter Geschichtsdarstellung. Und da spielten Frauen eben keine Rolle. Hinter zumeist vorgehaltener Hand sagen viele Memmingerinnen sowieso, dass sie nicht freiwillig in den kalten und teilweise schlammigen Stadtbach „jucken“würden.
Der umstrittene Punkt hat aber unter Umständen noch weitreichendere Folgen. Denn die Anwältin der Klägerin zweifelt die Gemeinnützigkeit des Vereins an, wenn der gezielt Frauen ausschließt. Verlöre der Verein seine Gemeinnützigkeit, verlöre er auch erhebliche steuerliche Vergünstigen – und somit einen gewichtigen Teil seiner Einnahmen. Mit dem Finanzamt sei man schon im Gespräch, sagt Vereinsvorstand Michael Ruppert. „Das Problem ist lösbar“, ist der Mann überzeugt, der selbst seit über 40 Jahren in den Stadtbach springt. Man werde wohl in ein paar Punkten nachbessern. Aber beim Frauenverbot in Sachen Stadtbach soll es bleiben.
Wie das alles juristisch und fiskalisch ausgeht, ist unklar. Einen Gerichtstermin gibt es noch nicht. Der Vorstand ist aber überzeugt, auch diesen Sturm im Stadtbach zu überstehen. Das klappte auch bei Ärger mit der Tierschutzorganisation Peta. Die hatte seit einigen Jahren immer wieder kritisiert, dass die Forellen beim Fischertag gequält würden. Der Verein zog daraus seine Lehren: Alle Stadtbachfischer müssen nun einen Fischereischein nachweisen, es gibt vor Ort Kontrollen und im Vorfeld Schulungen. Dabei wird zum Beispiel klar darauf hingewiesen, dass maximal zwei Forellen in einem Kübel landen dürfen und das darin befindliche Wasser frühestens zehn Minuten vor dem Startschuss eingefüllt werden darf – damit noch ausreichend Sauerstoff vorhanden ist.
Egal, was man von der Sache hält: Der nächste Fischertag am 20.Juli wird so sein wie alle vorher: Um acht Uhr morgens gibt der Böllerschuss das Startsignal für die rund 1200 Männer, die im Beisein von zehntausenden Zuschauern dann Jagd auf die Forellen machen. Zum größten Memminger Heimatfest zieht es auch viele aus der ganzen Welt wieder zurück nach Memmingen. Wer die schwerste Forelle aus dem Stadtbach an Land zieht, wird übrigens Fischerkönig. Eine Königin ist nicht vorgesehen.