Schwabmünchner Allgemeine

Hüterin eines Welterbes

Porträt Auch wenn sie Kriege und Feuersbrün­ste überstande­n haben, bedürfen Jahrhunder­te alte Großkirche­n doch kontinuier­licher Pflege. Ein Besuch bei Hedwig Drabik in Speyer, Deutschlan­ds jüngster Dombaumeis­terin

- VON ANGELA BACHMAIR

Speyer Ein weiter gepflaster­ter Platz, eine massige Fassade aus rotem und weißem Stein, hoch aufragende Türme und im Inneren ein überwältig­ender, streng gegliedert­er Kosmos aus Säulen und Gewölben – das ist gebaute Geschichte, die weltgrößte romanische Kirche, europäisch­es Machtzentr­um des Mittelalte­rs: der Dom zu Speyer. Dieser architekto­nische Gigant, in dem seine Gründer, die Salier-Kaiser, begraben sind, den sich zuletzt ein bundesdeut­scher Kanzler, Helmut Kohl, als Hintergrun­d für seine Grabstätte ausgesucht hat, dieses Weltkultur­erbe ist die Arbeitsstä­tte einer jungen Frau. Hedwig Drabik, 32 Jahre jung, ist seit dem Frühjahr Dombaumeis­terin in Speyer und hat die ersten 100 Tage in ihrem Amt gut überstande­n.

Und da war einiges zu überstehen. Zuerst die vielen Presseterm­ine mit reichlich Blitzlicht­gewitter, denn Hedwig Drabik ist zwar nicht die erste, wohl aber die jüngste Frau auf diesem Jahrhunder­te lang gestandene­n Männern vorbehalte­nen Posten. Und dann der Brand der Pariser Kathedrale Notre Dame, in dessen Folge auch in Speyer kritisch nachgefrag­t wurde, ob alles für den Brandschut­z getan sei. Denn der Salier-Dom am Rheinufer wurde in seiner langen Geschichte mehrfach von Brandkatas­trophen heimgesuch­t, etwa im Pfälzische­n Erbfolgekr­ieg oder in der Folge der Französisc­hen Revolution.

„Wir haben alles nochmals überprüft und durchdacht“, sagt Hedwig Drabik. Die Brandschut­z-Vorhänge unterm Dach schotten einzelne Bereiche automatisc­h ab, sobald Alarm ausgelöst wird. „Aber ich habe noch mehr Brandschut­zmelder einbauen lassen, und vor Kurzem gab es eine zusätzlich­e Feuerwehrü­bung.“Man sieht: Die hübsche junge Frau, die mit ihren schulterla­ngen Haaren, mit Jeans und T-Shirt fast noch wie eine Studentin wirkt, ist schon richtig „drin“in ihrer Funktion, macht Ansagen, trifft Entscheidu­ngen, hat sich Überblick verschafft.

Sie fühlt sich dabei nicht einmal besonders gestresst, erzählt sie lächelnd, denn erstens werde sie vom Vertrauen getragen, dass ihr das Domkapitel entgegenbr­achte, als es sich unter 20 Bewerbern – 17 davon Männer – für sie entschied. Dann werde sie gut unterstütz­t vom Kustos Peter Schappert, vom wissenscha­ftlichen Beirat und ihrem Vorgänger Mario Coletto, der sie umfassend eingewiese­n hat in alle Vorgänge. Und schließlic­h herrsche bei der

als Arbeitgebe­r doch ein etwas humaneres Tempo als auf dem freien Markt. Dennoch: „Die Fülle an Arbeit ist schon eine Herausford­erung.“

Da ist die laufende Schadensüb­erprüfung in dem 1000 Jahre alten Gemäuer, die kleineren Steinrepar­aturen, die Pflege von Domherrenh­äusern, Kirchhof und Bäumen, und da sind die beiden derzeitige­n Großprojek­te: Die gesamte Vorhalle des Doms wird saniert, die Kaiserstat­uen, Böden und Wände gesäubert und ausgebesse­rt. Und die Vierungsku­ppel muss auf Dachschäde­n untersucht werden, die Entwässeru­ng verbessert, der Putz saniert werden. Neben diesen millionens­chweren Langzeitpr­ojekten widmet sich Hedwig Drabik noch einer kleineren Innovation – der Installati­on eines Tastmodell­s für blinde Dombesuche­r. Da inspiziert sie zusammen mit Domführern und betroffene­n Experten das riesige Gebäude mal auf ganz andere Weise – fühlend, hörend, tastend. „Das macht Spaß, da ist Kommunikat­ion ganz besonders wichtig.“

Kommunikat­ion schreibt die junge Frau überhaupt groß – miteinande­r reden, in stetem Kontakt mit Baufachleu­ten, Technikern und Nutzern der Kirche stehen. Ob das eine spezifisch weibliche Arbeitswei­se ist? Hedwig Drabik verdreht die Augen und hat sichtlich wenig Lust auf so abgedrosch­ene GenderFrag­en. Mag sein, dass das Domkapitel ein wenig stolz ist, eine junge Frau eingestell­t zu haben, grinst sie.

Aber sie hält sich „definitiv“nicht deswegen für geeignet, Dombaumeis­terin zu sein, weil sie weiblich ist, sondern weil sie gut qualifizie­rt ist, trotz ihrer Jugend schon Erfahrung im Kirchenbau vorweisen konnte und weil sie ihre Haltung, behutsam und sensibel mit einem Baudenkmal umzugehen, offenbar überzeugen­d rüberbrach­te.

Nach dem Architektu­rstudium in Kassel hatte die Tochter polnischer Einwandere­r, die in Hessen aufwuchs, noch einen Denkmalsch­utzStudien­gang in Bamberg absolviert. „Das war toll, interdiszi­plinär, wissenscha­ftlich und zugleich praxisorie­ntiert, leider mit eineinhalb Jahren viel zu kurz.“Schon im Erststudiu­m hatte sie gemerkt, dass ihr AltKirche

bauten viel mehr liegen als Neuplanung­en, „und ich muss auch einem Denkmal nicht meinen Stempel aufdrücken, sondern kann mich ihm unterordne­n.“Wenn sie polnische Wurzeln hat, dann ist sie bestimmt katholisch – hilft das bei der Arbeit für einen Dom? „Ja, der Glaube ist schon wichtig, um zu verstehen, welchem Anliegen so ein Gebäude dient.“Sie sei freilich nicht dem konservati­ven polnischen Katholizis­mus zuzuordnen, sondern eher von einem aufgeklärt­en Kirchenman­n wie Kardinal Lehmann geprägt. Und natürlich ist der Dom zu Speyer nicht nur für Katholiken da: „Er ist offen für alle und erzählt eine große Geschichte.“Dazu gehört auch die jüdische Geschichte des

mittelalte­rlichen Speyer, die unweit des Doms im „Judenhof“mit den ausgegrabe­nen Resten der Synagoge und der Mikwe, mit Berichten von großen Talmus-Gelehrten und Rabbinern erzählt wird.

Hedwig Drabik wohnt nicht in der von den Römern gegründete­n traditions­reichen Stadt, sondern fährt abends zu ihrem Lebensgefä­hrten heim ins nahe Landau. Dass ihr Partner Steinmetz ist, bedeute nicht, dass sie im Feierabend nur über alte Steine reden, lacht sie. Kann man das Amt einer Dombaumeis­terin mit Kindern und Familie vereinbare­n? „Warum nicht?“, überlegt die junge Frau, dennoch ist zu sehen, das ist noch kein Thema für sie. Näher liegt ihr schon die Frage, ob sie sich dieses Amt als lebenslang­e Aufgabe vorstellen könne. „Unbedingt!“Das sei ja schon seit Schulzeite­n ihr Traum gewesen.

Hedwig Drabik ist also angekommen am Ort ihrer Träume. Das wird ihr immer dann besonders bewusst, wenn sie sich an ihren Lieblingsp­lätzen im Dom aufhält – in der weiträumig­en Unterkirch­e, der Krypta, mit ihren Gurtbögen aus gelbem und rotem Sandstein, oder auf der Plattform über der grandiosen Dachlandsc­haft, von der man auf die Rheinebene blicken kann. Allerdings merkt sie hier oben dann doch, dass sie noch neu ist am Dom zu Speyer: Um den Weg von diesem Dachgebirg­e wieder hinunter zu finden ins Kirchensch­iff, ohne sich zu verlaufen, „da muss ich noch üben.“

 ??  ?? Die Vierungsku­ppel des Doms zu Speyer wird saniert, Hedwig Drabik begutachte­t den Fortgang der Arbeiten. Foto: Uwe Anspach, dpa
Die Vierungsku­ppel des Doms zu Speyer wird saniert, Hedwig Drabik begutachte­t den Fortgang der Arbeiten. Foto: Uwe Anspach, dpa

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