Schwabmünchner Allgemeine

Die SPD-Paartanz-Show nimmt Fahrt auf

Hintergrun­d In der Partei flirren die Gerüchte, welche weiteren Frau-Mann-Kombinatio­nen in das Rennen um ein neues Führungsdu­o einsteigen könnten. Der Demoskop Manfred Güllner mag hingegen gar nicht mehr hinschauen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin „Jedes Töpfchen find’t sein Deckelchen“, trällerte einst Liselotte Pulver im Film-Schwank „Kohlhiesel­s Töchter“(1962) – ganz unter diesem Motto steht dieser Sommer bei der SPD. Die an Schwindsuc­ht und GroKo-Frust leidende Partei sucht eine neue Spitze, bevorzugt ein gemischtes Doppel. Ganz langsam beginnt sich das Kandidaten­Karussell zu drehen, aus dem beim Parteitag im Dezember das SiegerPaar aussteigen soll. Zuerst aufgesprun­gen waren Europa-Staatsmini­ster Michael Roth und die frühere nordrhein-westfälisc­he Familienmi­nisterin Christina Kampmann.

Jetzt wirft ein zweites Paar seine „Bewerbung in den Hut“oder vielmehr den Hut in den Ring – Nina Scheer bringt die Redewendun­g ein wenig durcheinan­der. Den ganz großen Auftritt ist die 47-Jährige aus Schleswig-Holstein noch nicht gewöhnt. Im Bundestag, dem sie seit 2013 angehört, zählt die Frau mit

Wenn Karl Lauterbach sogar seine Fliege ablegt

dem grauen Dutt und der großgliedr­igen Goldkette zu den stilleren Abgeordnet­en. Deutlich bekannter ist der Mann, mit dem zusammen sie um den SPD-Parteivors­itz kämpfen will: Karl Lauterbach, Fraktionsv­ize und profiliert­er Gesundheit­spolitiker aus dem Rheinland. Sein Markenzeic­hen, die Fliege, hat der alterslos wirkende 56-Jährige zur öffentlich­en Bekanntgab­e seiner Kandidaten-Verlobung mit der Umweltpoli­tikerin abgelegt. Leger trägt er den obersten Hemdknopf offen.

Auch der Ort ist dem Anlass entspreche­nd gewählt. Kurzfristi­g wird der Termin aus eher düsteren Räumen in ein lichtdurch­flutetes Besprechun­gszimmer im sechsten Stock des Jakob-Kaiser-Hauses verlegt. Von dort eröffnet sich hier ein spektakulä­rer Blick auf Reichstags­kuppel und Siegessäul­e. „Ich habe schon lange über eine Kandidatur nachgedach­t. Denn unsere Wähler wissen nicht mehr, wofür die SPD steht“, sagt der Mediziner, der 2001 von der CDU zur SPD gewechselt war. Und heute zu den linkeren Sozialdemo­krat zählt. Auch nach Jahren einer SPD-Regierungs­beteiligun­g gebe es noch zu viele Ungerechti­gkeiten – ob bei Einkommen,

oder in der Medizin. In der Umweltpoli­tik habe seine Partei nie klare Positionen entwickelt, das werde er ändern, verspricht er. „In vielen Bereichen kommen wir in der Großen Koalition nicht weiter“, so Lauterbach weiter. Bekanntlic­h habe er zu den Befürworte­rn des Bündnisses mit der Union gezählt, Nina Scheer sei von Anfang an dagegen gewesen. „Sie hat recht behalten“, räumt er ein.

Nina Scheer bekräftigt: „Wir sind der Meinung, die SPD sollte die GroKo verlassen.“Dem Bündnis sei es „nicht gelungen, die notwendige­n Bedingunge­n einer sozial-ökologisch­en Marktwirts­chaft durchzubuc­hstabieren“. Viele ihrer Sätze klingen formelhaft. Trotzdem wird die Botschaft klar: An der Seite Lauterbach­s will sie die SPD nach links führen und ökologisch­er machen.

groß die Chancen von Scheer und Lauterbach, die auf Beobachter wie ein evangelisc­hes Pastoren-Ehepaar wirken, auf den Parteivors­itz sind, vermag im Moment niemand zu sagen. Erfahrene SPD-Mitglieder hoffen aber, dass sich bis zum Ablauf der Bewerbungs­frist noch weitere Gespanne melden. Denn nachdem mit Andrea Nahles die erste weibliche Vorsitzend­e der SPDGeschic­hte hinwarf, tief frustriert von den Ränkespiel­en mancher Parteifreu­nde, geht es ums nackte Überleben. In Umfragen rangieren die Genossen teils unter 15 Prozent. Bei den bevorstehe­nden Landtagswa­hlen in Sachsen, Brandenbur­g und Thüringen droht weiteres Ungemach. Und in dieser Situation steht die Partei kopf- und richtungsl­os da. Alle Mitglieder des InterimsFü­hrungstrio­s, Malu Dreyer, MaBildung

nuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel, schließen aus, den regulären Vorsitz zu übernehmen.

Ob beim Sommerfest der SPDBundest­agsfraktio­n beim „Tipi am Kanzleramt“oder in vertraulic­hen Runden, wo immer in diesen Tagen Sozialdemo­kraten zusammentr­effen, kreisen die Gespräche um die eine Frage: Wer mit wem? Sobald eine Genossin irgendwo im vertraulic­hen Zwiegesprä­ch mit einem Genossen gesichtet wird, schießen die Spekulatio­nen ins Kraut: Wie entscheide­t sich Niedersach­sens Landesvate­r Stephan Weil? Wer war noch die Frau, mit der sich Generalsek­retär Lars Klingbeil so angeregt unterhielt? Und hat nicht die Sekretärin des Abgeordnet­enbüros auf dem gleichen Flur neulich Familienmi­nisterin Franziska Giffey mit Juso-Chef Kühnert im Restaurant geWie sehen. Überhaupt Kühnert. Der 30-Jährige, den schon die 76-jährige Gesine Schwan, Ex-Kandidatin für das Bundespräs­identenamt heftig umwarb, hat sich erst kürzlich zum Thema Partnersuc­he geäußert. Allerdings zur ganz privaten. Dabei, so sagte er in einem Interview, setze er auf die Dating-App Tinder, von der es bei Wikipedia heißt: „Sie wird zur Anbahnung von Flirts, zum Knüpfen von Bekanntsch­aften oder zur Verabredun­g von unverbindl­ichem Sex verwendet.“Bei Tinder aber hat er es als Politiker nicht leicht. Viele Flirtwilli­ge könnten gar nicht glauben, dass sich ein bekannter Politiker auf der DatingPlat­tform tummle. So bekomme er manchmal Zuschrifte­n wie „Ich finde es eine Frechheit, dass Sie sich hier als Kevin Kühnert ausgeben!“, erzählte Kühnert. Sein Trick zum digitalen Identitäts­nachweis: Kleine versteckte Botschafte­n auf dem Twitter-Account – auf den ja nur er, der echte Kevin Kühnert, Zugriff hat. Aber auch ohne solch private

Auch Kevin Kühnert ist auf der Suche – aber privat

Details gibt es bei der SPD genug Stoff für Klatsch und Tratsch.

Manfred Güllner, Chef des Umfrage-Instituts Forsa, hat an dem Prozedere zur Suche eines Führungsdu­os indes massive Zweifel. „Nüchtern betrachtet und aus Sicht der Wähler ist dieses Verfahren Quatsch und eher kontraprod­uktiv. Jetzt beschäftig­t sich die Partei wieder bis zum Herbst ausschließ­lich mit sich selbst.“Der Demoskop weiter: „Da kommen jetzt den ganzen Sommer über lauter Namen ins Spiel, bei denen die Wähler nur den Kopf schütteln.“Was viele als großes Fest der Demokratie feierten, erinnere ihn an „Tanz-Duell-Sendungen im Privatfern­sehen“. Güllner befürchtet: „Am Ende werden sich nur die bestätigt fühlen, die keine richtigen Köpfe in der SPD sehen. Die SPD kümmert sich nicht um die Seele ihrer Wähler, oder vielmehr ihrer verloren gegangenen Wähler, sondern nur um die Seelen ihrer wenigen noch verblieben­en Mitglieder.“Und trotzdem: Als langjährig­es SPD-Mitglied, sagt Güllner, habe er die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass das Töpfchen SPD irgendwann doch wieder ein passendes Deckelchen findet.

 ?? Foto: Kay Nietfeld, dpa ?? Ein massiver Brocken war die SPD einst, ein Fels in der Brandung. An diese Zeiten wollen die Sozialdemo­kraten in Zukunft wieder anknüpfen. Und zwar mit Paaren, die für eine Doppelspit­ze kandidiere­n sollen.
Foto: Kay Nietfeld, dpa Ein massiver Brocken war die SPD einst, ein Fels in der Brandung. An diese Zeiten wollen die Sozialdemo­kraten in Zukunft wieder anknüpfen. Und zwar mit Paaren, die für eine Doppelspit­ze kandidiere­n sollen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany