Schwabmünchner Allgemeine

Müssen Flüge mehr kosten?

Verkehr Frankreich hat es vorgemacht: Im deutschen „Klimakabin­ett“wirbt Umweltmini­sterin Svenja Schulze nun für eine höhere Luftverkeh­rsabgabe. Der Forscher Christoph Butterwegg­e stellt die Frage, wie gerecht Klimaschut­z sein muss

- VON VERONIKA LINTNER UND BIRGIT HOLZER

Berlin Die Schweden haben ein schönes neues Wort erfunden. „Flygskam“heißt es, was auf Deutsch so viel wie „Flugscham“bedeutet, also die Scham zu fliegen. Denn der Luftverkeh­r, der Urlauber an die fasziniere­ndsten Orte der Welt bringt, schadet mit seinen Emissionen dem Klima. Wie weit verbreitet allerdings diese „Flugscham“ist, wird sich schon bald zeigen: Eine Woche noch, dann beginnen auch in Bayern die Sommerferi­en und damit die Hauptreise­zeit. Der Münchner Airport fliegt schon jetzt von einem Passagierr­ekord zum nächsten. Plus fünf Prozent sind es im ersten Halbjahr 2019. Die Passagierz­ahlen auf den Langstreck­en verzeichne­ten sogar ein zweistelli­ges Wachstum. 22,75 Millionen Passagiere nutzten den Airport im Erdinger Moos. Von „Flugscham“ist zwischen Check-in und DutyFree-Shop wenig zu spüren.

Und weil das mit der praktische­n Umsetzung von moralische­n Empfindung­en so eine Sache ist, will die deutsche Politik die Reisenden beim Geldbeutel packen. Als Vorbild dient Frankreich. Denn dort will sich Präsident Emmanuel Macron offenbar nicht länger – unter anderem von den französisc­hen Grünen – vorwerfen lassen, in Sachen Klimapolit­ik bloße Lippenbeke­nntnisse abzugeben. Nachdem das Land erfolglos eine EU-weite Flugsteuer beworben hatte, führt es im Alleingang ab kommendem Jahr einen „Öko-Beitrag“auf Flugticket­s ein. Die Höhe der Abgabe soll zwischen 1,50 und 18 Euro variieren. Betroffen sind alle Flüge von französisc­hen Flughäfen aus mit Ausnahme von jenen nach Korsika, in die Überseegeb­iete sowie Umsteige-Verbindung­en über Frankreich.

Die Regierung rechnet mit jährlichen Einnahmen in Höhe von 180 Millionen Euro. Investiert sollen sie in den Ausbau des Zugverkehr­s sowie laut Verkehrsmi­nisterin Elisabeth Borne in „Möglichkei­ten einer ökologisch­eren Mobilität“. Die „Gelbwesten“-Widerstand­sbewegung hatte sich im vergangene­n Herbst an einer geplanten Ökosteuer auf Kraftstoff entzündet, die gerade Menschen an abgelegene­n Orten treffe, welche auf das Auto angewiesen seien. Die Protestier­enden empfanden die Verschonun­g von Flugzeugen als ungerecht.

Während nun der Applaus der „Gelbwesten“dennoch gering bleibt, klagen die französisc­hen

Luftfahrtg­esellschaf­ten über die Steuer. Air France kündigte an, diese werde es jährlich 60 Millionen Euro kosten: Das beeinträch­tige die Wettbewerb­sfähigkeit.

Die Frage einer fairen Umweltpoli­tik beschäftig­t auch Christoph Butterwegg­e. „Beim Klimaschut­z muss man vor allem auf die soziale Gerechtigk­eit achten“, sagt der Kölner Armutsfors­cher und Politikwis­senschaftl­er. „Sozial gerecht wäre vor allem die Einführung einer Kerosinste­uer.“Er erklärt: „Ein Geringverd­iener, der im Kleinwagen weite Wege zur Arbeit pendelt, muss schon immer beim Tanken die Mineralöls­teuer zahlen. Menschen wie Friedrich Merz, die mit einem Privatflug­zeug unterwegs sind, zahlen dagegen keine vergleichb­are Steuer.“Das sei „nicht nur unökologis­ch, sondern auch unsozial“.

Dass es für den Umweltschu­tz in der Luft schon genügt, wenn Tickets teurer werden, glaubt Butterwege nicht. „Nur über Preise zu regulieren, hätte vielleicht vor 30 Jahren noch funktionie­rt, als man mit marktwirts­chaftliche­n Instrument­en beim Klimaschut­z noch etwas hätte bewirken können“, sagt er. „Angesichts der Beschleuni­gung des Klimawande­ls muss der Staat jetzt aber schnell und effektiv reagieren, vielleicht auch mit Verboten“, sagt Butterwegg­e. Vielfliege­r und auch Geschäftsl­eute würden am wenigsten sensibel auf eine Preissteig­erung reagieren. „Diejenigen, die es sich leisten können und viel fliegen, sind von solchen Eingriffen ziemlich unabhängig.“

Er nennt ein weiteres Beispiel, in dem Klimaschut­z zur Kostenfrag­e wird: „Ein kostenlose­r oder deutlich günstigere­r öffentlich­er Nahverkehr wäre nicht nur für die Umwelt gut, sondern auch sozial gerechter. Stattdesse­n müssen die Menschen ohne viel Geld fast überall feststelle­n, dass die Preise für Busse und Bahnen steigen.“

Vor allem Inlandsflü­ge sollten die verantwort­lichen Politiker stark einschränk­en, sagt Butterwegg­e. Der Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) stimmt mit ein und fordert höhere Abgaben auf Kurzstreck­en. Der Flugverkeh­r sei nach dem Straßenver­kehr der „zweitgrößt­e Klimasünde­r“. Arne Fellermann, Verkehrsex­perte des BUND, sagt: „Wir alle müssen uns grundsätzl­ich die Frage stellen: Sollen wir überhaupt fliegen?“Kritisch müsse man dabei die Reisericht­linien von Unternehme­n hinterfrag­en oder die Bundesreis­ekostenver­ordnung. Die Politik sollte auch über eine Beschränku­ng von Startlizen­zen diskutiere­n – und vor allem den Betrieb von kleinen Flughäfen überdenken. „Vielleicht würden nur zehn Flughäfen in Deutschlan­d genügen, wenn denn zum Beispiel das Bahnnetz besser wäre“, sagt Fellermann. „Wir stecken in einer Bredouille. Wir wollen nicht den Flugverkeh­r verbieten. Aber die meisten Menschen reagieren nicht freiwillig. Und so muss man eben Anreize setzen.“Er befürworte­t deshalb Svenja Schulzes Plan: „Es ist ein Signal.“

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Der Abflug in den Urlaub könnte bald teurer werden. Foto: Jannis Mattar, dpa

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