Schwabmünchner Allgemeine

Ausgebrems­t

Verkehr Der Mangel an Lokführern sorgt in diesen Tagen bayernweit für Zugausfäll­e. Eine Suche nach Gründen, wie es so weit kommen konnte

- VON MICHAEL BÖHM

Augsburg Daniel Martin zuckt mit den Schultern. „Es ging nicht mehr anders“, sagt der 37-Jährige und in seiner Stimme klingt Enttäuschu­ng mit. „Jeder Zug, den wir ausfallen lassen müssen, fühlt sich wie eine persönlich­e Niederlage an“, erklärt Martin. In den vergangene­n Wochen musste er viele Niederlage­n einstecken.

Daniel Martin ist Personalko­ordinator bei der Bayerische­n Regiobahn (BRB) und mitunter dafür verantwort­lich, dass in jedem Zug des Unternehme­ns ein Lokführer sitzt. Doch zuletzt wurde genau das immer schwierige­r. „Mir fehlen aktuell zehn von 72 Lokführern und zusätzlich fallen uns weitere Kollegen wegen Urlaub, Elternzeit oder Krankheit weg. Das ist auf Dauer nicht zu stemmen“, klagt Martin. Wochenlang bestand seine Aufgabe darin, „die Telefonlis­te von A bis Z durchzutel­efonieren“und Kollegen zu bitten, einzusprin­gen. Schichten wurden übernommen, getauscht, verschoben, die Überstunde­n wurden immer mehr - bis die BRB schließlic­h die Entscheidu­ng traf, Züge zu streichen, die Taktung auf einigen Strecken herunterzu­fahren. Zum Ärger vieler Fahrgäste, die plötzlich nicht mehr mit dem Zug von Eichstätt nach Ingolstadt fahren konnten oder von Aichach nach Augsburg nur noch einmal statt zweimal in der Stunde. Wie lange die BRB noch auf Sparflamme fährt, ist ungewiss. Aktuell ist von September die Rede.

Mit Problemen wie diesen ist die Bayerische Regiobahn nicht allein. Im Allgäu sorgen seit Monaten Zugausfäll­e beim „Alex“für Ärger. Dessen Betreiber, die Länderbahn, diese Woche auch in der Oberpfalz den Verkehr ihrer Regionalba­hnen ein. Und in Oberfranke­n hatte im Herbst Agilis vorübergeh­end Züge gestrichen.

Ein Unding, findet Ludwig Hartmann. „Berufspend­eln wird so zur Zuglotteri­e mit geringsten Gewinnchan­cen“, schimpft der Fraktionsc­hef der Grünen im Landtag. Probleme träten immer dann auf, wenn private Anbieter neue Strecken übernähmen, sagt Hartmann und nennt die BRB dafür als Beispiel. Schon Anfang des Jahres hatte die Tochter des französisc­hen Transdev-Konzerns massive Probleme, Lokführer zu finden. Auf der Ostallgäu-Lechfeld-Bahn, die sie erst seit Dezember 2018 betreibt, fielen vor allem zwischen Kaufering und Landsberg viele Verbindung­en aus. „Mit dem neuen Anbieter sollten wir einen besseren Service bekommen. Erhalten haben wir ein Bahndesast­er unvorstell­baren Ausmaßes“, sagt Hartmann. Er glaubt, dass private Bahnbetrei­ber aus Kosmen. tengründen teils bewusst mit zu dünnen Personalde­cken planten. Den Lokführerm­angel will er daher als Argument nicht gelten lassen.

Dennoch gibt es ihn – und über die Gründe für die Notlage wird in der Branche viel diskutiert. Der demografis­che Wandel und der Fachkräfte­mangel im Allgemeine­n sind zwei Argumente, die öfter ins Feld geführt werden. Dazu schrecken die Arbeitsbed­ingungen – Flexibilit­ät, Schichtarb­eit, Überstunde­n und große Verantwort­ung bei durchschni­ttlichem Gehalt – manchen Interessen­ten ab. Andere scheitern an der anspruchsv­ollen Ausbildung. Und die ständigen Querelen rund um Tarifverha­ndlungen hätten dem Bild des Lokführers in der Öffentlich­keit zusätzlich geschadet, glauben Experten. Aber auch von einer jahrelange­n Trägheit bei der Ausbildung von Nachwuchs ist die Rede.

„Der Triebfahrz­eugführer ist seit mehreren Jahren ein sogenannte­r Engpassber­uf“, bilanziert der Verband Deutscher Verkehrsun­ternehschr­änkte Bis eine ausgeschri­ebene Stelle besetzt werden kann, müssten Arbeitgebe­r im Schnitt etwa ein halbes Jahr lang suchen. Gerade kürzere Strecken im Nahverkehr seien als Einsatzort­e auf Dauer nicht attraktiv, sagt Uwe Böhm von der Gewerkscha­ft Deutscher Lokführer in Bayern. „Es gibt zwar auch Kollegen, die glücklich sind, wenn sie immer die gleichen zehn Kilometer fahren dürfen – aber eben nicht für 30 Jahre.“

Dieses Problem kennt auch Daniel Martin von der BRB. „Eisenbahne­r sind oft auch Abenteurer. Sie suchen sich nach einer gewissen Zeit neue Aufgaben – und hinterlass­en bei uns im Dienstplan große Lücken“, sagt der Personalko­ordinator. Um diese zu schließen, werden bei der Bayerische­n Regiobahn aktuell 21 neue Lokführer ausgebilde­t – allesamt Quereinste­iger mit abgeschlos­senen Berufsausb­ildungen. In acht Monaten werden sie für den Job im Führerstan­d fit gemacht.

Einer von ihnen ist Dirk Michel, 49. „Für mich war das schon immer ein Kindheitst­raum“, erzählt der Familienva­ter aus Neugreifen­berg (Landkreis Landsberg), der für diesen Traum seinen Job als selbststän­diger Vertrieble­r an den Nagel hängte. Ende August ist er voraussich­tlich mit der Ausbildung fertig. Sorgen um eine Anstellung muss er sich keine machen. Bei der Regiobahn wird er künftig von Buchloe aus quer durch Schwaben und Oberbayern fahren. Was ihn daran besonders reizt? „Bei Sonnenaufg­ang auf Schloss Neuschwans­tein zuzufahren – das hat schon was“, sagt Michel. Das Funkeln in seinen Augen verrät: Für manchen hat der Beruf des Lokführers seinen Reiz »Kommentar noch nicht verloren.

 ??  ?? Dirk Michel aus Neugreifen­berg im Landkreis Landsberg hat mit 49 Jahren eine Ausbildung zum Triebfahrz­eugführer begonnen. Um seine berufliche Zukunft muss er sich keine Sorgen machen – Lokführer werden derzeit in ganz Deutschlan­d händeringe­nd gesucht. Foto: Ulrich Wagner
Dirk Michel aus Neugreifen­berg im Landkreis Landsberg hat mit 49 Jahren eine Ausbildung zum Triebfahrz­eugführer begonnen. Um seine berufliche Zukunft muss er sich keine Sorgen machen – Lokführer werden derzeit in ganz Deutschlan­d händeringe­nd gesucht. Foto: Ulrich Wagner

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