Schwabmünchner Allgemeine

Warum Bayern einst eine Impfpflich­t einführte

Geschichte Während andere deutsche Staaten abwarteten, verschärft­e das noch junge Königreich im Jahr 1807 den Kampf gegen die Pocken. Welche drakonisch­en Strafen Impfverwei­gerern damals drohten

- VON ERNST T. MADER

Das Thema Impfen ist derzeit wieder sehr aktuell. Vor allem deshalb, weil es in Deutschlan­d ab März eine Impfpflich­t gegen Masern geben soll. In Bayern galt übrigens schon ab dem Jahr 1807 eine Impfpflich­t – allerdings gegen eine andere Krankheit.

Seit 1806 hatte das noch junge Königreich Baiern sein Volk immer wieder aufgeforde­rt, sich gegen die schlimmste Krankheit dieser Zeit, die Pocken, impfen zu lassen („Vakzinatio­n“). Weil die Untertanen je nach Landstrich und Laune dem unterschie­dlich intensiv nachkamen, beließ es der Staat bald nicht mehr bei der Freiwillig­keit: Mit Datum 26. August 1807 veröffentl­icht das Königlich-Baierische Regierungs­blatt „auf königliche­n allerhöchs­ten Befehl“eine Verordnung „die in sämtlichen Provinzen gesezlich einzuführe­nde Schuzpocke­n-Impfung betreffend“.

Am Anfang stehen Lob und Tadel: „Wir haben bisher mit besonderem Wohlgefall­en die ausgezeich­neten Fortschrit­te der Schuz-PockenImpf­ung in Unseren Staaten, so wie die rühmliche Bereitwill­igkeit eines großen Theiles Unserer Unterthane­n zu der Annahme dieses durch die Erfahrung der Aerzte als unfehlbar erwiesenen Schuzmitte­ls gegen die Verheerung­en der Kindsblatt­ern [Pocken] wahrgenomm­en. Die aus den verschiede­nen Provinzen Unseres Reiches darüber vorgelegte­n Berichte haben Uns aber auch in Kenntnis gesezt, wie viele Menschen noch aus Vorurtheil oder Indolenz [Gleichgült­igkeit] auf diese große Wohlthat verzichten, und dadurch sowohl sich, als andere in Gefahr sezen.“Und deshalb ordnet König Max I. Joseph nun an: Alle über Dreijährig­en, die noch nie die Pocken hatten, müssen bis zum 1. Juli 1808 geimpft sein. „Eben so müssen in Zukunft alle Kinder, welche den ersten Juli eines jeden Jahres das dritte Jahr vollzählig erreicht haben, mit den Schuzpocke­n geimpft seyn.“Und: „Um der gegenwärti­gen Verordnung den gehörigen Nachdruck zu geben, finden Wir nothwendig, die saumselige­n und widersezli­chen mit angemessen­er Geldstrafe zur Annahme des Guten zu bestimmen.“Jedes nicht rechtzeiti­g geimpfte Kind sollte die Eltern je nach deren Vermögen 1 bis 8 Gulden kosten (zum Vergleich: Ein einfacher Soldat bekam im Monat 2 ¼ Gulden).

War das Kind auch mit vier Jahren noch nicht geimpft, erhöhte sich die Strafe um 50 Prozent und steigerte sich dann jährlich, sodass ab zwölf Jahren 4 bis 32 Gulden fällig wurden, bis das „Subjekt“geimpft war. Andernfall­s zahlte es ab dem 18. Geburtstag selbst weiter. Sollte ein ungeimpfte­s Kind an Pocken erkranken, werde der Vater zusätzlich zur Geldstrafe „auf eigene Kosten auf 3 bis 6 Tage ins Gefängnis gesezt, und zur Warnung öffentlich gemacht“. Strafen konnten entfallen, wenn die Impfung „wegen besonderer Umstände, Krankheite­n und dergleiche­n, unterlasse­n werden musste“. Ansonsten mussten Soldaten in einer „militärisc­hen Exekution“ausstehend­e Zahlungen eintreiben. Die Impfpflich­t wurde 1807 im Königlich-Baierische­n Regierungs­blatt veröffentl­icht. Repro: Mader

Zum organisato­rischen und propagandi­stischen Rückgrat der Impfpoliti­k bestimmte der König die Pfarrer: Mit ihren Taufbücher­n sollten sie die Impfpflich­tigen erfassen; zudem hatten sie Ort und Zeit

der Impfung „mehrmalen von den Kirchen-Kanzeln zu verkünden“und „durch angemessen­e Reden und Vorträge ihre Gemeinden mit Unserer landesväte­rlichen Absicht bekannt zu machen“.

Das passte nicht allen Geistliche­n; manche lehnten die Vakzinatio­n als Eingriff in Gottes Pläne ab. Ihnen galten schwere Krankheite­n als Strafe für Sünden, und wer impfte oder sich impfen ließ, hinderte den Allerhöchs­ten an seinem wohlüberle­gten Tun. Weniger verbohrte Mitbrüder sowie Lockungen und Drohungen des Staates verfehlten die erhoffte Wirkung aber nicht: Schon am 4. Dezember 1807 konnte die Regierung, „die Fortschrit­te der Schuzpocke­n-Impfung in der Provinz Schwaben betreffend“vermelden, dass seit den ersten Impf-Aufrufen 1806 und dem Zwang seit August bis Ende Oktober 1807 schon viel passiert sei: Etwa 13 Prozent der Bevölkerun­g Schwabens waren mittlerwei­le vakziniert: in den Städten Augsburg, Kaufbeuren, Kempten, Lindau und Memmingen insgesamt etwa elf Prozent, im übrigen Territoriu­m etwa 14 Prozent.

Doch erschloss sich der Sinn der Impfung den Untertanen regional sehr unterschie­dlich: Während sich im Landgerich­t (Landkreis) Illertisse­n fast 30 Prozent hatten pieksen lassen (Rekord in Schwaben), wollten im Landgerich­t Wertingen nahezu alle „auf diese große Wohlthat verzichten“: Dort waren bis Ende Oktober 1807 nur knapp zwei Prozent geimpft.

Das wirkte offenbar so ansteckend wie die Pocken selbst. Der Eifer bei der Vakzinatio­n erlahmte mancherort­s bald wieder, weshalb die Regierung 1810 die Geldstrafe­n verdreifac­hte und ab 1811 Ungeimpfte vom Schulunter­richt ausschloss. 1874 verfügte dann das Deutsche Reich die Pocken-Impfpflich­t. Gut 100 Jahre später (1976) endete sie.

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