Schwabmünchner Allgemeine

Selbst Goebbels schwärmte: „Das war ein Kerl! Welche Kaltblütig­keit!“

Porträt Der Weg des Attentäter­s Schenk Graf von Stauffenbe­rg vom Schloss Jettingen bei Günzburg zum Wald von Rastenburg. Der geniale Einfall des deutschen Widerstand­s

- VON WERNER REIF

Der Ort der Geburt des Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenbe­rg war etwas zufällig, aber durchaus standesgem­äß: Schloss Jettingen bei Günzburg, 2. Stock. Die Mutter befand sich am 15. November 1907 besuchswei­se bei der Schwiegerm­utter, als im achten Monat gegen 1 Uhr überrasche­nd die Wehen einsetzten. Auch wo das Leben des Hitler-Attentäter­s vor nunmehr 75 Jahren ein Ende fand, ist dank zahlloser Film-, Fernseh- und anderer Dokumentat­ionen leicht lokalisier­bar: auf einem Sandhaufen im Innenhof des Bendlerblo­cks zu Berlin. Er ist zur Symbolkuli­sse für den Aufstand des Gewissens am 20. Juli 1944 geworden.

Wer freilich nach der letzten Ruhestätte Stauffenbe­rgs sucht, wird nicht fündig: weder Asche noch Gebeine, kein Staubkörnc­hen sterbliche­r Überreste. Die Nazis wollten das Andenken an Tat und Täter für alle Zeiten tilgen. Es ist ihnen grandios misslungen.

Die Szenerie im Bendlerblo­ck – Kommandoze­ntrale des Heeres – war am Abend jenes 20. Juli gespenstis­ch mit Lkw-Scheinwerf­ern ausgeleuch­tet. Vor die Gewehre eines angeblich standrecht­lich zusammenge­trommelten Exekutions­kommandos wurden außer Stauffenbe­rg noch drei Mitverschw­orene gezerrt. Ein Leutnant Schady, der bald darauf an der Front fiel, befehligte den Kugelhagel der zehn Unteroffiz­iere des Hinrichtun­gspelotons.

Nach dessen Todesschüs­sen lud man den blutversch­mierten Attentäter auf einen Lastwagen und begrub ihn mit allen Orden und Ehrenzeich­en auf dem Alten MatthäiFri­edhof in Berlin-Schöneberg. Der Vernichtun­gsfuror des Regimes ging indessen über das Grab hinaus: Noch in der Frühe des 21. Julis ließ SS-Chef Himmler den Obersten im Generalsta­b exhumieren und verbrennen. Seine Asche wurde „in die Felder gestreut“. Himmler posaunte: „Wir wollen von diesen Leuten nicht die geringste Erinnerung in irgend einem Grabe oder an einer sonstigen Stätte haben.“

Tatsächlic­h pflegt die Republik die Erinnerung an das Komplott der Patrioten um Stauffenbe­rg: im heutigen Polen in der einstigen „Wolfsschan­ze“bei Rastenburg, wo 975 Gramm Plastikspr­engstoff beim letzten – dem fünften – Anlauf der Frondeure in die Luft flogen; am Schloss Jettingen; in der Gedenkstät­te Deutscher Widerstand im Bendlerblo­ck; im Stammschlo­ss der Stauffenbe­rgs in Lautlingen (bei Sigmaringe­n), in Kasernen und im Alten Schloss in Stuttgart, wo Claus Stauffenbe­rg als Sohn des letzten Oberhofmar­schalls des Königs von Württember­g aufwuchs.

Er war Nachkomme eines seit 1262 nachweisba­ren Geschlecht­s, das den Staufern die Mundschenk­en stellte. Die Familie war und ist noch begütert in Württember­g und Bayern. Ein Johannes Franz war im 18. Jahrhunder­t Bischof von Augsburg. 1747 erwarben die Stauffenbe­rgs die Herrschaft Jettingen. Einträgen im Gästebuch des Schlosses zufolge besuchte Claus Stauffenbe­rg regelmäßig den idyllische­n Markt an der Mindel.

Mit der Frage, was den „Hochverrät­er“aus deutschem Uradel auf seinem Weg von Jettingen zum Wald von Rastenburg formte, beschäftig­t sich eine zum 75. Jahrestag des Attentats erschienen­e neue Biografie Thomas Karlaufs: „Stauffenbe­rg – Porträt eines Attentäter­s“. Deren Botschaft lautet: Tradition der Familie, Militär und Bindung an den Dichterfür­sten Stefan George bestimmten das Weltbild des Offiziers, der früh als „Wunderkind des Generalsta­bs“mit charismati­schen Zügen galt.

Karlauf, der 2007 eine viel beachtete Lebensbesc­hreibung Georges vorlegte, thematisie­rt in seinem neuen Buch ausführlic­h den Gesinnungs­wandel Stauffenbe­rgs in seinem Verhältnis zum Regime. Zunächst war er ja Hitlers Reich relativ aufgeschlo­ssen gegenüber gestanden. In dem Maße freilich, in dem dessen verbrecher­ischer Charakter offenbar wurde, ging er auf Distanz. 1942/1943 wurde dem Kavallerie­offizier klar, dass die Zeit für vorsichtig-abwartende­s Teetrinken und schlaue Denkschrif­ten vorbei und jetzt Dynamit, die befreiende Tat, gefragt war: der Tyrannenmo­rd.

Die Neuerschei­nung nennt George als geistigen Urheber des Attentats. Das mag man so sehen – darüber wie über dessen verschwurb­elte Auserwählt­heitsfanta­sien lässt sich brillant feuilleton­isieren. Unterm Strich gibt das Buch aber definitiv keine Veranlassu­ng, die Geschichte des Staatsstre­ichs umzuschrei­ben.

Nachstehen­d eine kurze Chronik der Operation „Walküre“, wie das Codewort des Unternehme­ns 20. Juli lautete. Pikanterwe­ise waren Generalsta­bspläne für den Fall innerer Unruhen mit Billigung Hitlers längst vor dem 20. Juli ausgearbei­tet worden. Durch einige Umformulie­rungen und Zusatzbefe­hle machten die Widerstand­skämpfer die Alarmund Einsatzplä­ne für ihre Zwecke „passend“. Wohl der genialste Einfall des konspirati­ven „Netzwerks“.

25. Mai 1944:

Stauffenbe­rg erhält Sprengstof­f für das geplante Attentat – zwei Packungen von je 975 Gramm Plastikspr­engstoff deutscher Herstellun­g mit englischen Zündern.

7. Juni 1944:

Stauffenbe­rg nimmt an einer von insgesamt fünf Lagebespre­chungen mit Hitler teil. Im „Berghof“bei Berchtesga­den ergreift der „Führer“mit beiden Händen die Linke des Offiziers, verschiebt mit zitternder Hand Lagekarten und blickt imvieleror­ts 15.7.1944: Stauffenbe­rg (links) und Hitler in der Wolfsschan­ze. Foto: Ullstein mer wieder auf den 36-Jährigen, der vermutlich die Aktentasch­e mit dem Sprengstof­f noch nicht dabei hat.

6. Juli 1944:

Vortrag Stauffenbe­rgs über die offizielle­n Pläne für „Walküre“. Rüstungsmi­nister Speer bemerkt die „auffallend dicke Aktentasch­e“des Gastes.

11. Juli 1944:

Vortrag des am 1. Juli zum Obersten im Generalsta­b beförderte­n Stauffenbe­rg in der „Morgenlage“bei Hitler. Das Attentat wird verschoben, weil Reichsmars­chall Hermann Göring und SS-Chef Heinrich Himmler nicht anwesend sind. Die Opposition war sich einig gewesen, dass beide gleichzeit­ig mit Hitler getötet werden müssten.

15. Juli 1944:

Stauffenbe­rg ist erstmals in der „Wolfsschan­ze“in Rastenburg. Es gibt unterschie­dliche Darstellun­gen darüber, weshalb das Attentat unterbleib­t. „Walküre“wird zwar formal ausgelöst, die Verschwöre­r deklariere­n die Aktion jedoch später als „Probealarm“.

20. Juli 1944, 12.30 Uhr:

Beginn der „Morgenlage“mit Hitler. Stauffenbe­rg kann den Zünder nur für eines der beiden Sprengstof­fpakete scharf machen, weil er in seinen Vorbereitu­ngen von einem Feldwebel gestört und dringend zum Erscheinen in der Lagebespre­chung aufgeforde­rt wird. Kritiker kreideten ihm im Nachhinein an, dass er nicht auch das zweite Paket in seine Aktentasch­e steckte, weil es auch ohne Zünder nach der ersten Detonation explodiert wäre.

Auch Biograf Karlauf greift diesen Vorwurf auf. Zu bedenken ist freilich, dass der schwer kriegsverl­etzte Stauffenbe­rg in der Hektik wenig Zeit und Gelegenhei­t für explosivst­offtechnis­che Finessen gehabt haben dürfte. Propaganda­minister Goebbels jedenfalls attestiert­e dem Mann, der den Finger am Drücker hatte: „Das war ein Kerl! Um den ist es beinahe schade. Welche Kaltblütig­keit!“

Die aktuelle Biografie Thomas Karlauf: Stauffenbe­rg – Porträt eines Attentäter­s

Karl Blessing Verlag, 368 S., 24 ¤

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