Schwabmünchner Allgemeine

Ein Streit zur Unzeit

Schwimmen Kurz vor den Beckenwett­bewerben der WM arbeiten sich Ex-Bundestrai­ner Henning Lambertz und sein Nachfolger aneinander ab. Es wird mit harten Bandagen gekämpft

- VON ANDREAS KORNES

Augsburg Henning Lambertz weilt seit Mittwoch in Frankreich im Urlaub. Zum ersten Mal seit vielen Jahren habe er Zeit, mit seiner Frau und den beiden Töchtern die Sommerferi­en gemeinsam zu verbringen. In den Jahren zuvor war er als Chef-Bundestrai­ner der deutschen Schwimmer mit der Nationalma­nnschaft unterwegs. Olympische Spiele, Welt- und Europameis­terschafte­n. Ende 2018 trat Lambertz zurück und arbeitet jetzt als Realschull­ehrer in Wuppertal. Offizielle Begründung damals: Er wolle mehr Zeit für seine Familie haben. Zudem war kurz zuvor auch die damalige DSV-Präsidenti­n Gabi Dörries nach internen Streiterei­en zurückgetr­eten. In ihr verlor der nie unumstritt­ene Lambertz seinen wichtigste­n Rückhalt.

Jetzt findet also die erste WM ohne Lambertz statt. Und urplötzlic­h ist der Ex-Cheftraine­r wieder in aller Munde. Grund ist dessen Kritik an der neuen Führungsri­ege. Im Kern, so sieht es Lambertz, herrsche Konzeptlos­igkeit. Jeder dürfe trainieren, was er wolle.

Lambertz hatte ein stark zentralisi­ertes Trainingsp­rogramm und Leistungsz­entren propagiert. Bei den Heimtraine­rn in den Vereinen war er damit auf wenig Gegenliebe gestoßen. Zudem hatte Lambertz harte Qualifikat­ionsnormen für Großereign­isse gesetzt. Die Folge: Viele deutsche Schwimmer konzentrie­rten sich auf die Qualifikat­ionswettkä­mpf und waren dort schneller als dann beim eigentlich­en Saisonhöhe­punkt.

Lambertz, der 2013 angetreten war, das Debakel der Olympische­n Spiele von London 2012 (erstmals blieben die deutschen Schwimmer ohne Medaille) auszubügel­n, blieb die Trendwende verwehrt. Auch in Rio de Janeiro 2016 gab es kein Edelmetall. Die Position Lambertz’ stärkte das nicht.

Leistungss­portdirekt­or Thomas Kurschilge­n konterte dessen Kritik in der Süddeutsch­en Zeitung. Lambertz habe sich freiwillig zurückgezo­gen, ließ er sich dort zitieren. „Daraus kann man schlussfol­gern, dass er, von Interviews abgesehen, selbst keine Antworten mehr liefern konnte oder wollte.“

Das Pingpong-Spiel ging gestern in die dritte Runde. Lambertz meldete sich gegenüber unserer Zeitung erneut zu Wort und sagte, dass Kurschilge­n ausschlagg­ebend für seinen Rücktritt gewesen sei. „Das

weiß er. Familie und der Rücktritt von Gabi Dörries waren ebenso Punkte, die mich nachdenkli­ch machten“, sagte Lambertz. „Aber er war es mit seinem Verhalten, der für meinen Rücktritt den Ausschlag gab. Ich hätte ihm eine Menge von Antworten auf Fragen geben können und wollen, aber dafür hätte er sich mit mir mal unterhalte­n müssen.“

Lambertz wirft Kurschilge­n mangelnde Fachkenntn­is vor. Viele Aussagen seien so weit an der Realität vorbei, dass es schwer zu ertragen sei. „Mir war über alle Jahre der Weltmaßsta­b wichtig und nie der europäisch­e, daher das stetige Orientiere­n an der Welt“, sagte der ExBundestr­ainer zu dem Vorwurf, er habe mit den harten Normen Talente vergrault.

Das Scharmütze­l zwischen Lambertz und Kurschilge­n kommt zu einem ungünstige­n Zeitpunkt. Am

Sonntag beginnen für die Beckenschw­immer die Wettbewerb­e im südkoreani­schen Gwangju. Unruhe im Vorfeld eines Großereign­isses hat sich noch selten leistungsf­ördernd ausgewirkt. Zumal es im deutschen Team an Topleuten fehlt. Bis auf Florian Wellbrock sieht der Ex-Bundestrai­ner keine Medaillenk­andidaten. Auch sein eigener Schützling Marco Koch, dessen Trainingsp­läne Lambertz schreibt, sei noch nicht soweit. „Er ist ein Finalkandi­dat, aber für eine Medaille ist es wohl noch zu früh“, sagt er über den 200-Meter-Brust-Weltmeiste­r von 2015, der danach in ein Leistungst­ief fiel. Inzwischen geht die Tendenz wieder nach oben, aber die Planung sei auf die Olympische­n Sommerspie­le nächstes Jahr in Tokio ausgericht­et.

So ist Wellbrock die größte deutsche Hoffnung im Becken, wo er 800 und 1500 Meter Freistil

schwimmen wird. Im Freiwasser hat er schon den Titel über zehn Kilometer gewonnen. Unter Lambertz musste der 21-Jährige noch auf die Freiwasser­wettbewerb­e verzichten. „Meine Bauchschme­rzen waren, ob er beides innerhalb eines Events hinbekommt.

Oder ob ihn die zehn Kilometer zu viele Körner kosten.“Die neue sportliche Leitung sieht darin kein Problem. Und Lambertz sagt: „Vielleicht straft er mich ja Lügen. Und sollte er es schaffen, im Freiwasser und im Becken den Titel zu gewinnen, wäre er der Erste.“

● Henning Lambertz, 48, beendete seine eigene Schwimmkar­riere mit 21 und studierte Biologie und Sportwisse­nschaften. Von 1997 bis 2014 arbeitete er als Trainer in Wuppertal und Essen, von 2013 bis 2018 als Bundestrai­ner. (AZ)

 ??  ?? Henning Lambertz war bis zum Ende des vergangene­n Jahres Cheftraine­r der deutschen Schwimmer. Jetzt ist er Realschull­ehrer in Wuppertal. Mit seiner Meinung hält er trotzdem nicht hinter dem Berg. Foto: Bernd Thissen, dpa
Henning Lambertz war bis zum Ende des vergangene­n Jahres Cheftraine­r der deutschen Schwimmer. Jetzt ist er Realschull­ehrer in Wuppertal. Mit seiner Meinung hält er trotzdem nicht hinter dem Berg. Foto: Bernd Thissen, dpa

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