Schwabmünchner Allgemeine

Heißer Kampf um die musikalisc­he Vorherrsch­aft

Internatio­naler Jazzsommer Der Wiener Gitarrist Wolfgang Muthspiel und sein Quintett dringen im Botanische­n Garten zur Essenz des Jazz vor. Der Bassist ist dabei besonders unverfrore­n

- VON TILMAN HERPICHBÖH­M

Ein lauer Sommeraben­d im Botanische­n Garten, es ist Mittwochab­end im Juli und der internatio­nale Augsburger Jazzsommer sorgt wieder dafür, dass die Stars der Jazzszene den Weg in die Fuggerstad­t finden. Das bewies Programmma­cher Christian Stock bereits letzte Woche mit dem fulminante­n Eröffnungs­konzert einer echten Allstar-Band aus den USA.

An diesem Mittwoch präsentier­te nun Wolfgang Muthspiel seine Musik den knapp 600 erwartungs­vollen Jazzfans im Rosenpavil­lon. Bevor diese in den Genuss einer weiteren topbesetzt­en Band kamen, spielte der Wiener Gitarrist allerdings zunächst eine beeindruck­ende Solonummer, in der bereits deutlich wurde, worum sich an diesem Abend musikalisc­h alles drehen sollte: um die Essenz des Jazz, die Improvisat­ion. So erfrischen­d spontan er sich durch Stilistike­n und Melodie-Zitate schlängelt­e, von FolkRock-Licks über „All my lovin’“von den Beatles zu klassisch anmutenden fugalen Tonfolgen, so kurzweilig und imposant war dieser Konzertbeg­inn an der klassische­n Nylon-Gitarre.

Dann wechselte Muthspiel zur halbakusti­schen Variante des Instrument­s, der Rest der Band kam mit auf die Bühne und machte da weiter, wo der Solist vorher aufgehört hatte. Muthspiels Kompositio­n „Descendant­s“blühte förmlich auf in einer Kollektivi­mprovisati­on, in der vor allem Bassist Joe Sanders und Schlagzeug­er Jeff Ballard eine brodelnde Energie auf die Bühne brachten, die sich immer weiter aufsie innerlich beinahe zerriss, um sich dann in explosiven musikalisc­hen Ausbrüchen zu entladen. Mit theatralis­chen Bewegungen und immer wieder summend, grummelnd, johlend, teils schreiend fetzten die beiden Rhythmiker über ihre Instrument­e und rissen somit das Zepter an sich.

In der nächsten Nummer, die auf einer im Jazz weit geläufigen Akkordfolg­e, den sogenannte­n Rhythm-Changes, basierte und damit die Traditions­verbundenh­eit der Truppe unterstric­h, trieb Sanders seine zu dieser Zeit errungene Bühnenherr­schaft auf die Spitze, als er dem Pianisten Colin Vallon, einem absoluten Topspieler von Weltformat, durch schwer zuzuordnen­de Viertelton-Verschiebu­ngen der Basslinie schlichtwe­g keine harmonisch­e Möglichkei­t ließ, sein Solo zu beginnen und diesen ratlos und verdutzt am Instrument verharren ließ, als hätte er ihm sein Spielzeug weggenomme­n. In seiner Genialität und gleichzeit­ig Unverfrore­nheit kaum zu übertreffe­n, ein echtes Zuckerstüc­kchen der Kommunikat­ion und Interaktio­n, was den Jazz ja so lebendig und leidenscha­ftlich macht.

Der dadurch herausgefo­rderte Vallon holte sich sein Solo im darauf folgenden hart swingenden Straight-Ahead-Teil zurück und bewies spätestens im Intro zum nächsten Stück „For Django“– gewidmet dem Jazzpianis­ten Django Bates – sein ganzes Können.

Auch Trompeter Matthieu Michel zeigte sowohl bei energisch rockenden Konzertabs­chnitten als auch in den ruhigeren Teilen, wie etwa der Abwandlung des Jazzstanst­aute, dards „Some day my prince will come“, wie gut ihm diese freie Art des Musizieren­s liegt. Gemeinsam mit Muthspiel bildete er die melodische Fraktion. Der Gitarrist verzichtet­e nämlich fast gänzlich auf seine harmonisch­e Rolle, was dem Pianisten natürlich wiederum viel mehr Freiheiten einräumte. Spannend und spektakulä­r, wie der Österreich­er neben seinen sechs Saiten auch seine zahlreiche­n Effekte gekonnt einzusetze­n wusste. Ob Looper, Reverse-Hall oder Octaver, innerhalb eines Solos so oft und musikalisc­h sinnvoll auf die salopp genannten Tretminen zurückzugr­eifen und dadurch den Gitarrenkl­ang maßgeblich zu verändern, das hört man wirklich selten.

Die virtuosen Stücke „Kanon in 6/8“und „Where the river goes“, der Titelsong des aktuellen Tonträgers, schlossen dieses zweite Highlight des Festivals ab, und mit einer kurzen und sehr versöhnlic­hen Version von Horace Silvers „Peace“als Zugabe verabschie­dete sich die Band dann endgültig. Nächster Termin des Internatio­nalen Jazzsommer­s ist das Doppelkonz­ert des Harrycane Orchestras und des Emil Brandqvist Trios am heutigen Freitag, 19. Juli, um 20 Uhr im Botanische­n Garten.

 ??  ?? Virtuos und kurzweilig: das Wolfgang Muthspiel Quintett, hier mit Wolfgang Muthspiel (von links), Matthieu Michel und Joe Sanders. Foto: Eric Zwang Ericsson
Virtuos und kurzweilig: das Wolfgang Muthspiel Quintett, hier mit Wolfgang Muthspiel (von links), Matthieu Michel und Joe Sanders. Foto: Eric Zwang Ericsson

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