Schwabmünchner Allgemeine

„Man merkt, dass du keine Deutsche bist“

Universitä­t Die Preisträge­rinnen des Wissenscha­ftspreises für interkultu­relle Studien gehen den Defiziten der Einwanderu­ngsgesells­chaft auf den Grund

- VON STEFANIE SCHOENE

Je mehr Rot in einer Schulaufga­be, desto schlechter die Note. Bei Ayça wie bei Anja. Oder nicht? „In den Diskussion­srunden für meine Masterarbe­it“, so Aylin Karabulut, „hat ein türkischst­ämmiges Mädchen berichtet, ihr Lehrer habe bei der Rückgabe einer Arbeit vor der ganzen Klasse erklärt: ‚Man merkt, dass du keine Deutsche bist.‘ Das hat ihr den Boden unter den Füßen weggezogen.“Die Mitschüler­in mit deutschem Namen und ebenso fehlerhaft­em Text erhielt in der Situation keinen zusätzlich­en Kommentar.

Karabulut studierte an der Universitä­t Duisburg-Essen Lehramt und Bildungswi­ssenschaft­en. Ihre Abschlussa­rbeit „Diskrimini­erungserfa­hrungen von Schüler*innen ‚mit Zuwanderun­gsgeschich­te‘“wurde jetzt mit dem Förderprei­s für interkultu­relle Studien der Stadt Augsburg, der Universitä­t und des Forums Interkultu­relles Leben und Lernen ausgezeich­net. „Latenter Rassismus ist wenig gezielt, aber häufig und sowohl beim Lehrer als auch im Erfahrungs­schatz der Schülerin tief verankert“, so die Wissenscha­ftlerin. In verschiede­nen Schulen untersucht­e Karabulut acht Diskussion­srunden mit je etwa sechs 15- bis 18-Jährigen.

Meist erlebten Schüler Rassismus von Lehrern. Starke Ohnmachtsg­efühle waren die Folge, weil er auf unveränder­liche Merkmale wie das äußere Erscheinun­gsbild und die Herkunft der Jugendlich­en gerichtet ist. Die Schüler empfanden Schule als ein geschlosse­nes System, in dem die Anschuldig­ung als Skandal gilt, nicht die Diskrimini­erung. Karabulut: „In diesen Situatione­n sinkt das Vertrauen in Schule und Staat.“Ihre Arbeit zählt zur in Deutschlan­d noch jungen Disziplin der „Postcoloni­al Studies“, die die asymmetris­chen Herrschaft­sverhältni­sse zwischen Mehr- und Minderheit­en erforschen.

Der eigentlich­e Wissenscha­ftspreis schließt in diesem Jahr sozusagen biografisc­h direkt an die Jugendlich­en in Karabuluts Untersuchu­ng an: Wie wählen Verwaltung­en in der Migrations­gesellscha­ft ihr Personal, vor allem die Azubis aus? Ist die öffentlich­e Hand divers genug? Beteiligt sie alle Bevölkerun­gsteile an den oft mit hoheitlich­er Macht ausgestatt­eten Aufgaben? Oder macht man es sich auf der „Bestenausl­ese“bequem?

Christine Lang von der Universitä­t Osnabrück widmete sich diesen Fragen und erforschte in Berlin über fünf Jahre die „Produktion von Diversität in städtische­n Verwaltung­en“. Sie fand heraus, dass Schüler oft nicht wissen, dass man bei Verwaltung­en eine Ausbildung machen kann. Sie kennen in ihrem Community-Umfeld keine Beispiele dafür. Verwaltung­en sollten demnach ihre Werbung ändern, mehr Praktika anbieten. Kurse im Vorfeld der Ausbildung könnten gezielt junge Frauen mit Migrations­hintergrun­d einbinden.

Fixe Quoten seien dagegen langfristi­g eher kontraprod­uktiv, weil einzelne Negativerf­ahrungen dann von der Belegschaf­t pauschal auf „die“Einwandere­r zurückgefü­hrt werden. „Die Verantwort­lichen sollten zum Beispiel akzeptiere­n, dass es heute verschlung­ene Bildungswe­ge gibt und die Bewerber später einsteigen können. Denn viele Einwandere­rkinder machen Abitur und starten dann ins Studium. Oft merken sie, dass es nicht passt. Diese Menschen sind als Bewerber nicht schlechter, sondern nur älter als die Schulabgän­ger und sollten nicht pauschal aussortier­t werden“, empfiehlt die Wissenscha­ftlerin.

Um den zum 21. Mal vergebenen interkultu­rellen Wissenscha­ftspreis, der mit 5000 Euro dotiert ist, konkurrier­ten in diesem Jahr 14 Einreichun­gen. Für den Förderprei­s mit 1500 Euro bewarben sich heuer 30 Arbeiten.

 ??  ?? Aylin Karabulut (links) und Christine Lang wurden mit dem Interkultu­rellen Wissenscha­ftspreis der Universitä­t Augsburg ausgezeich­net. Foto: Michael Hochgemuth
Aylin Karabulut (links) und Christine Lang wurden mit dem Interkultu­rellen Wissenscha­ftspreis der Universitä­t Augsburg ausgezeich­net. Foto: Michael Hochgemuth

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