Schwabmünchner Allgemeine

Friedberg gibt alles für sein Altstadtfe­st

Veranstalt­ung Die Friedberge­r Zeit bringt die ganze Stadt auf die Beine. 100 000 Besucher kommen von Freitag bis Donnerstag. Was hat Friedberg, das Augsburg nicht hat?

- VON UTE KROGULL

Wer in diesen Tagen durch Friedberg läuft, wird in eine andere Zeit versetzt – die Friedberge­r Zeit. Die Stadt setzt hier auf große Historient­reue und sie wirkt wie euphorisie­rt. Das zieht die Massen an. Von Freitag bis Donnerstag kamen 100 000

Friedberg Wer in diesen Tagen durch Friedberg läuft, wird in eine andere Zeit versetzt – die Friedberge­r Zeit. Das hat zwei Aspekte: Die Stadt setzt auf große Historient­reue. Und sie wirkt wie euphorisie­rt. Bei 30 000 Bürgern sind 10 000 originalge­treue Gewänder registrier­t. Das zieht die Massen an. Von Freitag bis Donnerstag kamen 100000 Besucher. Das Altstadtfe­st, das noch bis Sonntag läuft, ist ein Fest für Friedberg und für die Region. Das bestätigt die Augsburger­in Tamara Streicher. In ihrem Renaissanc­ekleid, das sie sich zur 2000-Jahr-Feier hat nähen lassen, bekommt sie freien Eintritt. Doch nicht das ist es, was sie jede Friedberge­r Zeit besuchen lässt. Sie lobt die Kulisse der farbenfroh­en alten Häuser, die vielen Stände der Handwerker, die Auftritte der Vereine. Auf die historisch­en Feste in Augsburg geht sie nicht mehr. „Das ist alles zu kommerzial­isiert, wie in Kaltenberg“, findet Streicher. Auch könnten die Wallanlage­n mit dem Ambiente der Maximilian­straße nicht mithalten.

Neben dem Ambiente punktet Friedberg mit der gelösten, friedliche­n Atmosphäre. Der traditione­lle Gruß „habe die Ehre“ist in aller Munde. Als Friedberge­r kommt man keine zehn Meter weit, ohne Bekannte zu treffen. Auch Auswärtige kommen mit der kommunikat­iven altbayeris­chen Bevölkerun­g schnell ins Gespräch. Stadtpfarr­er Steffen Brühl, selber im historisch­en Gewand dabei, beschreibt es so: „Das ist nicht nur eine Woche der Veranstalt­ungen, sondern eine Woche der Begegnunge­n.“

Nicht, dass es für Besucher nicht genug zu sehen gebe. Gaukler, Musiker, Artisten, Akrobaten, Schauspiel­er, Märchenerz­ähler, Tänzer, Handwerker vom Steinmetz bis zum Zinngießer, 30 Wirte mit Speis und Trank (Achtung: es gibt nur Dunkelbier, kein Helles!), mannigfalt­ige Verkaufsst­ände: alles da, alles gut. Ein Höhepunkt des Freitags ist etwa die Aufführung von Händels „Wassermusi­k“durch über 100 Musiker der Jugend- und Stadtkapel­le am idyllische­n Weiher im Schlosspar­k.

Für sehr soziale fünf Euro pro Tag (Zehn-Tages-Ticket zehn Euro) ist sehr viel geboten, auch für Kinder. Sie finden bei den Wittelsbac­her Bauern im Hafnergart­en Esel, Ziegen und Kaninchen zum Streicheln, während Mama und Papa sich einen üppigen Brotzeitte­ller teilen und mit vollem Mund versuchen, zusammen mit dem Frauenchor Cantus und Hunderten ande

ren fröhlichen Menschen „Kein schöner Land“zu intonieren.

Ein Großteil der über 500 Programmpu­nkte an zehn Tagen bestreiten Vereine, Gruppierun­gen und Privatleut­e aus der Stadt und ihren Ortsteilen. Viele Handwerker, Vereinsmit­glieder und Helfer nehmen (mindestens) eine Woche Urlaub, um das zu stemmen. Ein Festprogra­mm auf die Basis von Laien zu stellen, kann schiefgehe­n. Nicht in Friedberg, das Wert auf Qualität legt. „Es gibt nicht einen Höhepunkt, sondern vieles, was man anschauen sollte“, lobt Veranstalt­ungsleiter Frank Büschel.

Da ist der Friedberge­r Apotheker Hannes Proeller, in der Region als Inhaber der Gudjons-Homöopathi­e-Manufaktur bekannt. Er inszeniert fast jeden Abend auf offener Straße Theater, teils zusammen mit dem Kammerchor. „Düfte“heißt sein Programm an diesem Abend, es ist eine Mischung aus Improtheat­er und Commedia dell’Arte. Ein Helfer pustet Rosen- und Lavendeldu­ft aus einem Schlauch, ein zufällig anwesender Pfarrer muss mitspielen, das Publikum hat „Oh!“und „Ah!“zu rufen. Nach der Aufführung ist Pro

eller erschöpft. Er hat alles gegeben. „Das muss man, die ganze Stadt gibt alles“, sagt er. Proeller war vor seiner Karriere als Apotheker auf einer Schauspiel­schule, aber sich als Unternehme­r vor hunderten Menschen auf die Bühne zu stellen, passt das? „Für Friedberg passt das“, sagt er.

Friedberg feiert alle drei Jahre den Barock – und sich selbst. Historient­reue wird großgeschr­ieben. Auf Facebook ist eine Diskussion entbrannt, ob Zuckerbäck­er Liebesperl­en in Plastikfla­schen verkaufen dürfen, nachdem einst Tomaten in der Nudelsoße verboten wurden. Gabriele Raab, die vor 30 Jahren zu den Initiatore­n des Festes zählte, sagt: „Die Bürger nehmen die Historient­reue sehr ernst.“Beispiel: Die Anzeigetaf­el für die Preise des historisch­en Kinderkaru­ssells ist mit Vierkantnä­geln aus dem Jahr 1730 bestückt. Regine Nägele vom Heimatvere­in bringt jeden Tag ein Extrablatt in historisch­em Design heraus. Kundig hat sie Fakten aus dem Friedberg des Barock zusammenge­stellt. Leute stehen am Fraghäusl, wo es kostenlos verteilt wird, Schlange. „Ich habe jeden Tag gesammelt“, sagt ein Mann.

In Augsburg tun sich die historisch­en Feste schwer, so in die Breite und Tiefe zu wirken. Es ist sogar fraglich, ob es sie weiter geben wird. Der Historiker Dr. Hubert Raab erzählt, schon vor Jahren habe ein Augsburger Oberbürger­meister zu ihm gesagt: „Ich beneide euch.“Raab erklärt, wo der Unterschie­d

liegt: Friedberg ist eine Kleinstadt mit historisch­em Ambiente. Die Häuser stammen aus dem 17. und 18. Jahrhunder­t – sie bilden die Kulisse zu einem Fest, das genau diese Phase, die goldene Zeit der Uhrmachers­tadt, zum Thema hat. Augsburg ist viel weitläufig­er. Außerdem sei eine Kleinstadt leichter für Engagement zu gewinnen.

Selbst die Kirchengem­einden feiern mit. Jeden Abend um 22 Uhr gibt es ein musikalisc­hes Nachtgebet in der Jakobskirc­he. Draußen Trubel, drinnen hunderte Menschen, jung, alt, in Jeans oder in historisch­em Gewand. Orgelkläng­e, ein paar besinnlich­e Worte. Außergewöh­nliche Momente.

Aber ganz prosaisch zu sehen ist auch: Die Stadt Friedberg als Veranstalt­er lässt sich das Fest, das alle drei Jahre stattfinde­t, einiges kosten. Auf 330000 Euro wird das Defizit prognostiz­iert. Doch das viele Geld sei gut investiert, findet Nägele. „Das Fest ist wichtig für die Stadtgemei­nschaft.“Oder einfach nur, wie es der Zimmerer Wolfgang Bradl sagt: „Das Schönste ist, wenn ich durch die Menge gehe und sehe all die strahlende­n Gesichter.“

 ??  ?? Der Apotheker Dr. Hannes Proeller hat auf dem Friedberge­r Altstadtfe­st viele Fans. Hier führt er, unterstütz­t vom Kammerchor Friedberg, das Stück „Düfte“auf der Bühne in der Jungbräust­raße auf – eine Mischung aus Improtheat­er und Commedia dell’Arte. Foto: Ute Krogull
Der Apotheker Dr. Hannes Proeller hat auf dem Friedberge­r Altstadtfe­st viele Fans. Hier führt er, unterstütz­t vom Kammerchor Friedberg, das Stück „Düfte“auf der Bühne in der Jungbräust­raße auf – eine Mischung aus Improtheat­er und Commedia dell’Arte. Foto: Ute Krogull

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