Das Regierungsbündnis bröckelt
Debatte Die Koalition aus CSU, SPD und Grünen präsentierte sich lange als Einheit. Je näher die Kommunalwahl rückt, desto mehr ändert sich das. Plötzlich entdecken alle die Bürger für sich
Vieles kungelten die großen Drei vorab aus
Sieben Monate vor dem Wahltermin gehen die Augsburger Parteien allmählich in den Wahlkampf: Wer das Zustandekommen von politischen Entscheidungen in den vergangenen Monaten und Wochen beobachtet hat, stellt fest, dass es immer mehr Absetzbewegungen einzelner Partner aus dem Dreierbündnis von CSU, SPD und Grünen gibt. Beispiele: die unnötig angestoßene, wie gleichermaßen aufgebauschte Hundeleinen-Diskussion im Stadtwald, die noch lange nicht abgeschlossene Debatte über mehr städtisches Eingreifen in die Wohnungsbaupolitik, der Schlagabtausch um die Schulsanierungen ...
Seit einem halben Jahr wird im Augsburger Stadtrat wieder mehr diskutiert und gestritten. In den vergangenen fünf Jahren mussten die Bürger teils das Gefühl haben, im wahrsten Sinne des Wortes alternativlose Politik präsentiert zu bekommen. Die großen Drei kungelten vieles vorab aus – das mag die Effizienz einer Stadtregierung erhöht und insofern nicht nur Nachteile gehabt haben. Doch politische Diskussionen anzustoßen, blieb an der zahlenmäßig kleinen Opposition hängen, zurückgedrängt in die Rolle des Hofnarren, der, auch wenn er Wahres ausspricht, nicht ernst genommen wird. Kein Wunder, dass politische Diskussionen entsprechend kurz waren.
Inzwischen mehren sich die Auflösungserscheinungen des Bündnisses, das Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) schmiedete und das ihm – nach den Erfahrungen in der Vergangenheit – eine komfortable Mehrheit bescherte, die ein nahezu geräuschloses Regieren ermöglichte. Immer ging diese Rechnung, siehe Stadtwerke-Fusionsdebatte, aber nicht auf. In den Wahlkampf
starten die drei stärksten Fraktionen des Bündnisses mit unterschiedlichen Voraussetzungen.
Die CSU als größte Fraktion hat es in den vergangenen Jahren geschafft, ihren Führungsanspruch durchzusetzen und das auch nach außen hin zu verkaufen. Für Augsburg ist es in den vergangenen Jahren nicht schlecht gelaufen, und diese Erfolge werden mehr oder weniger dem Oberbürgermeister einer Stadt zugerechnet. Es wird an der Opposition liegen, Dinge wie die Rekordverschuldung, die von Finanzbürgermeisterin und OB-Kandidatin Eva Weber mit zu verantworten ist, zu benennen und anzugreifen.
Die Koalitionspartner werden das nicht tun, weil sie diesen Kurs zumindest in weiten Teilen mitgetragen haben. SPD und Grüne hawerden
ben in den vergangenen Jahren Akzente gesetzt, brachten auch manches Herzensprojekt durch, doch – das ist der Fluch der KompromissPolitik hinter verschlossenen Türen – blieben in der Wahrnehmung dennoch blass. Sie üben sich seit einem Jahr verstärkt darin, sich freizuschwimmen und Themen zu setzen. Denn die Chancen auf den OB-Sessel sind mit dem Verzicht von Amtsinhaber Gribl auf eine neue Kandidatur gestiegen.
Das Tagesgeschäft wird viele Anregungen liefern, und vermutlich
die Fachreferenten noch mit Ideen aufwarten. Man muss kein Wahrsager sein, um festzustellen, dass SPD-OB-Kandidat und Sportreferent Dirk Wum versuchen wird, beim Thema Bäder zu punkten. Und es fällt noch etwas anderes auf: Viele Kandidaten haben es so wichtig wie noch nie, über Bürgerbeteiligung zu sprechen. In der auslaufenden Stadtratsperiode gab es viel Bürgerbeteiligung – Formate, in denen man Bürgern ergebnisoffen zuhörte, aber auch solche, in denen es nur um das Wie bei Maßnahmen ging.
Die grundsätzliche Frage des Ob wurde gleich ganz ausgeblendet, obwohl es Redebedarf gegeben hätte. Nichtsdestotrotz brüstete sich die Politik hinterher damit, mit den Bürgern den Dialog gesucht zu haben. Dieses Modell funktioniert
aber immer weniger. Bei den Herrenbach-Baumfällungen schaffte es eine auf die Schnelle formierte Bürgergruppe, die Stadtregierung öffentlich unter Druck zu setzen. Politik findet also nicht mehr nur in gewählten Gremien wie dem Stadtrat statt. Das ist nichts Neues, die Entwicklung nimmt aber an Fahrt auf. Den Politikern bleibt nichts anderes übrig, als neue Dialogformen mit den Bürgern zu finden – sie engagieren sich eher punktuell, sind weniger an Parteien gebunden als früher und können über Soziale Medien über Nacht Öffentlichkeit für ihre Belange herstellen.
Nur zur Erinnerung: Der aktuelle Stadtrat verkörpert den Willen von nur 41,2 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung – dem Rest war die Wahl offenbar egal.