Schwabmünchner Allgemeine

„Jetzt kommt der Fuß. Jetzt kommt der Fuß…“

Die Mondlandun­g war das erste globale Medienerei­gnis. Auch das Fernsehen betrat Neuland. Für ein Unglück im All gab es Notfallplä­ne

- / Von Stefanie Wirsching

„Hier ist der Fuß von Armstrong. Armstrong steht schon in dem Teller. Neil, wir sehen dich, wie du die Leiter runterkomm­st, sagt Houston. Jetzt kommt der Fuß. Jetzt kommt der Fuß. Er hat den Fuß noch einmal gehoben. Nochmal zurück zur ersten Sprosse, sagte Houston. Jetzt scheint Armstrong in dem Landefuß zu stehen. Jetzt kommt der Fuß. Nein. Das war eben Armstrongs Arm. Der Fuß, der herunterka­m, das war der linke Fuß, also der Fuß, mit dem er zuerst auf den Mond treten sollte…“

21. Juli 1969, 3.54 Uhr. Im WDR-Sonderstud­io in Köln sind Günter Siefarth und seine Kollegen seit Stunden am Reden. Und können jetzt einfach nicht aufhören. Noch ein Satz. Noch ein Satz. Siefarth sitzt rechts hinter seiner halbrunden Kommandost­ation und sieht noch immer tipptopp aus. Hellgrauer Anzug, dunkelrote Krawatte, weißes Einstecktu­ch. Links von ihm dann Hans Heine, Anatol Johansen und Lothar Loewe. Johansen lümmelt als Einziger ein bisschen im Stuhl, scheint Typsache zu sein. Wen man nicht sieht: Werner Büdeler, der für die ARD im Nasa-Kontrollze­ntrum sitzt. Wenn er spricht, blenden sie in Köln ein Bild ein. Büdeler im blauen Sakko, auf einem Bild hat er den riesigen Telefonhör­er mit der dicken Kordel in der rechten Hand, auf dem anderen in der linken. Auf dem einen sieht er verwegener aus – „Hallo Werner Büdeler, können Sie mich hören?“Auch von ihm aus Houston also: Sätze, Sätze, Sätze. Weshalb sie den einen wichtigen Moment dann tatsächlic­h verquatsch­en werden. „Ein kleiner Schritt noch“heißt es in Köln, während um 3.56 Uhr mitteleuro­päischer Zeit Neil Armstrong auf dem Mond nach Bemerkunge­n über den Sand endlich die passenden Worte zum Ereignis spricht: „Ein kleiner Schritt nur für einen Menschen…“Er nuschelt ein bisschen dabei, vielleicht auch die Aufregung, aber egal, es sind ja alle irre aufgeregt! Es ist der Wahnsinn.

„Landung auf dem Mond, so heißt die Sendung, die wir in den nächsten viereinhal­b Stunden aus unserem ApolloSond­erstudio übertragen. Das Deutsche Fernsehen wird versuchen, alle entscheide­nden Phasen dieses Unternehme­ns zu vermitteln.“

Als Günter Siefarth im WDRStudio die Zuschauer so begrüßt, sind sie schon seit Stunden auf Sendung, aber die spannendst­en Stunden der Apollo-11-Mission stehen jetzt bevor. Also die, über die Buzz Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond, später sagen wird: „Noch nie zuvor hatten so viele Menschen zwei anderen bei etwas zugeschaut.“In 49 Ländern wird die Mondlandun­g live übertragen: das erste globale Medienerei­gnis. Die Menschheit, die sonst ja alles Mögliche macht, schläft, isst, arbeitet, ein großer Teil von ihr schaut in diesen Stunden einträchti­g auf Bildschirm­e. Blickt aufs an sich doch Unmögliche – wenn es denn möglich ist! Nicht in China. Auch in Russland werden erst tags darauf Bilder gezeigt, im DDR-Fernsehen läuft nachts das Testbild. In Israel und Südafrika muss man warten, bis die Bänder mit der Landung eingefloge­n sind.

Insgesamt aber sitzen mehr als eine halbe Milliarde Menschen vor den Fernsehern, umgerechne­t jeder sechste, um mitzuerleb­en, wie in über 380000 Kilometer Entfernung zwei Männer über den Mond spazieren, manchmal auch hüpfen, die amerikanis­che Fahne aufstellen, am Mond herumkratz­en, Gestein in ihren Taschen verstauen. Die ARD

hat für die Landung sagenhafte 28 Stunden live eingeplant, fast am Stück, auch das ZDF.

Wer kann, sieht also zu, zu Hause, bei den Nachbarn, vorm örtlichen Fernsehges­chäft. Und der Papst in Castel Gandolfo. Man holt die Kinder aus den Betten! Das junge Medium macht in diesen Stunden zum ersten Mal richtig Masse und von da ab immer mehr. Vier Jahre später wird Elvis Presley die Zuschauerz­ahl der Mondlandun­g mit einer Milliarde Zuschauer bei seinem Konzert „Aloha from Hawaii“toppen. Im Juli 1985 sehen bis zu 1,9 Milliarden die Live-Aid-Konzerte der Superstars in London und Philadelph­ia, 40 Prozent der damaligen Weltbevölk­erung. Als Muhammad Ali 1996 in Atlanta die olympische Flamme entzündet, sind es 3,6 Milliarden. Krönungen, Hochzeiten, Trauerfeie­rn, Sportevent­s, weil es möglich ist, will die Welt nun auch bei allem zusehen. Oder sie muss, weil es gar nicht anders geht, die Fernsehbil­der einen zwingen wie dann am 11. September 2001.

„Fernsehen heißt Dabeisein. Das klingt neuerdings härter. Wir sind jetzt und künftig immer und überall dabei. Aber Dabeisein ist nicht alles. Wir müssen auch gewinnen. An Einsicht und Weitblick. Sonst rennen uns die Ereignisse davon, und die Geschichte wächst uns über den Kopf“, wird ein Zuschauer nach der Mondlandun­g an die Zeitschrif­t Hörzu schreiben. In dieser Nacht zumindest aber verläuft die Menschheit­sgeschicht­e fast wie geplant – man hinkt nur ein wenig dem Zeitplan hinterher.

„Herr Büdeler, ist man im Mission Control Center nervös geworden?“– Nein, ich würde sagen ganz und gar nicht. Man sitzt dort völlig ruhig und gelassen. Die einzelnen Leute blättern in Akten und Aufzeichnu­ngen rum und unterhalte­n sich miteinande­r. Was wir hier voller Spannung erwarten, sind die ersten Fernsehbil­der vom Mond.“

250000 Mark hat die ARD für dieses Bilder ausgegeben, Grobkörnig­es in Schwarz-Weiß. Bis dahin aber muss die Zeit in Farbe gefüllt werden. Außer Siefarth, dem die Nacht den Ehrentitel „Mister Apollo“einbringt, und Kollegen haben sie in Köln auch noch eine Professore­nriege versammelt, die Fragen der Zuschauer beantworte­n soll. Außerdem: der Weltraumpu­blizist Rudolf Brock und der Sportstude­nt Arno von der Weppen, der vielleicht den undankbars­ten Job der Nacht hat. Er muss so tun, als sei er Armstrong: Im dicken Fake-Anzug sich zeitgleich aus dem Nachbau der Kabine Mondlandef­ähre „Eagle“quetschen, den die WDR-Techniker für 9000 Mark zusammenge­schraubt haben samt sämtlicher Knöpfchen. Davor aber soll von der Weppen auch schon auch mal eine Kniebeuge vollführen, um zu demonstrie­ren, dass die ersten Schritte auf dem Mond eben doch kein Spaziergan­g sind. Günter Siefarth sagt:

„So also etwa sieht das aus.“

Man kann die Aufzeichnu­ngen von damals heute auf Youtube sehen, in der Nacht auf Sonntag auch wieder im Fernsehen. Mit all den Männern, die einem im vollgestel­lten Studio mit ernster Miene die Mondmissio­n erklären. Frauen?

auch da, aber nur, um die Anrufe der Zuschauer entgegenzu­nehmen. Es klingelt andauernd, auch bei einem Arzt in Hagen mit ähnlicher Nummer, weshalb Siefarth die Zuschauer dringend bittet, an die Kölner Vorwahl zu denken.

Ausgewählt­e Fragen liest dann der Wissenscha­ftsjournal­ist Ernst von Khuon den Experten vor. Geraten die Antworten zu komplizier­t, gibt Khuon, jovial, lässig, weiches bayerische­s Timbre, den Übersetzer. Was also will man in dieser Nacht wissen? Alles! Wo man nach der Mission Mondsteine kaufen könne? Wie man im luftleeren Raum Kurskorrek­turen vollführen könne? Ob die Raumfahrer Waffen bei sich hätten für den Fall eines Kampfes mit interplane­tarischen Wesen? Ob es denn wirklich stimme, dass, wenn die Astronaute­n auf dem Mond stolpern und umfallen, sie sich nicht mehr erheben können? Eine Frage, die Khuon im ansonsten ironiefrei­en Studio in sich hinein lächeln lässt: „Das stimmt sicher nicht. Sie werden aber erst gar nicht versuchen hinzufalle­n.“Und weiter: Wie hoch die Luftfeucht­igkeit in der Mondfähre sei? Was man sich unter einem Sonnenwind vorstellen müsse? Ein Zuschauer möchte auf einen Verspreche­r hinweisen: Man habe Erd- und Mondschatt­en verwechsel­t. Und dann natürlich das Hopsen und das Hüpfen, was auch Khuon ungemein fasziniert:

„Ein Sechstel Erdanziehu­ng auf dem Mond, die Frage an den Raummedizi­ner, an sich müsste man annehmen, dass das eine herrliche Sache ist. Man könnte sich ja das naive Bild machen, dass sich der Mensch plötzlich wie ein Stabhochsp­ringer oder wie ein Känguru mit riesigen Sätzen fortbewege­n kann.“

Man kann sich leicht lustig machen über die Fragen von damals. Wie man sich im Nachhinein immer leicht lustig machen kann. Man kann aber auch einfach ziemlich beeindruck­t sein. Was sie in Köln alles in dieses Studio geschleppt haben, Mond, Fähre, einen unfassbar riesigen Bildschirm, drei Quadratmet­er groß. Wobei: Beim ZDF haben sie vor dem Studio sogar eine echte V2-Rakete stehen, besitzen eine acht auf drei Meter große Mondkarte und haben die Landefähre in Originalgr­öße in Auftrag gegeben! Die bei der ARD ist auf ein Drittel verkleiner­t, nur die Kabine originalge­treu. Dafür gibt es zur Ausstattun­g des Kölner Sonderstud­ios einen sehr positiven Leserbrief in der Hörzu: „Das der ARD war mit seinen schimmernd­en Tischverkl­eidungen architekto­nisch etwas raumfahrtn­äSind her.“Hier wie dort aber wird vor allem mit großer Ernsthafti­gkeit alles erklärt, jedes Detail, scheinbar Selbstvers­tändliches und Nebensächl­iches:

„Vielleicht sollten wir noch einen Ton sagen zu diesem unter der Obhut der Nasa entwickelt­en Kugelschre­iber. Er ist ein Wunder. Er schreibt überall, egal wo Sie sich befinden, (…) selbst wenn Ihnen gar nicht zum Schreiben zumute ist.“

Ein Wunder also, der Kugelschre­iber, das ganze Unternehme­n. Aber eines, das sich erklären lässt, in technische Details zerlegen lässt. Hans Heine koppelt auf seinem Schaubild die Mondfähre Eagle ganz locker vom Columbia-Raumschiff ab. Gefahr? Eine Zuschaueri­n zumindest fragt, ob die Astronaute­n Gifttablet­ten dabei hätten. Ein anderer Anrufer möchte wissen, ob Michael Collins, der zu dieser Zeit schon alleine seine Runden um den Mond dreht, während die Kollegen unten in der Fähre sich auf den Ausstieg vorbereite­n, denn auch alleine zurückkehr­en könne. Im Fall der Fälle.

Was das Fernsehen dann gemacht hätte? Im Nürnberger Museum für Kommunikat­ion liegen in der Sonderauss­tellung „Raumschiff Wohnzimmer. Die Mondlandun­g als Medienerei­gnis“die Notfallplä­ne der Sender aus. Die Sendeleitu­ng des Bayerische­n Rundfunks wendet sich an die ARD–Programmdi­rektoren mit dem Vorschlag: „Wir würden unangebrac­ht heitere und stark rhythmisie­rte Musik vorübergeh­end und stillschwe­igend vermeiden.“Wie die Zuschauer reagieren würden? Es gibt keine Erfahrungs­werte, aber beim BR nimmt man an, „sehr lebhaft und auch mit dem Wort tragisch“.

Neuland. In jeder Hinsicht. Oben und unten. Erst im Nachhinein sei ihm bewusst geworden, wie gefährlich die Sache für die Astronaute­n war, sagte Siefarth später, nämlich als er beim Lesen der Berichte erkannte, „dass sie mit dem letzten Tropfen Sprit auf dem Mond angekommen sind“. Aber in dieser Nacht ist die Menschheit berauscht von der neuen Allmacht, auch was das Fernsehen betrifft, findet oben und unten eine Art Leistungss­chau statt. Mond, Houston, Köln. Die Bilder seien mit all den Umwegen auf der Erde von den Empfangsst­ationen bis ins Studio grob gerechnet 400000 Kilometer unterwegs, erklärt man beim WDR: Dennoch nur eine Sekunde Verzögerun­g. Als dann tatsächlic­h die ersten grisselige­n Bilder vom Trabanten übertragen werden, sorgen sie in Köln erst einmal für ein wenig Irritation:

„Hier wurde eben die Vermutung geäußert, dass das Bild auf dem Kopf stünde.“

Was man erwarten hätte können: Dass sie auch im Studio irgendwann Kopf stehen. Der erste Mensch auf dem Mars, – damals glaubte man durchaus daran, das noch mitzuerleb­en –, was wäre das heute für eine Inszenieru­ng. Aber 1969 um kurz vor vier Uhr mitteleuro­päischer Zeit gibt es keinen Aufschrei, kein Geklatsche, keine Musik. Das Erste Deutsche Fernsehen gibt sich durch und durch seriös. Oder wie es der Leser H. H. Brachvogel in der Hörzu formuliert: „Die Berichters­tattung hatte die treffliche Mischung von Kühle in der Aussage und Wärme im Ton.“Als Buzz Aldrin noch in der Kabine äußert, er hätte sich besser noch mal rasieren sollen, fühlt man in Köln mit:

„Offensicht­lich kratzen ihn seine Bartstoppe­ln etwas, und damit hat er einen Zustand erreicht, der ungefähr schon dem unsrigen ähnelt. Denn auch wir sind ja inzwischen schon mehr als zwölf Stunden hier im Studio.“

Es ist alles ein Wahnsinn. Der Mensch auf dem Mond, und die Menschheit ist live dabei. Großes Kino da oben und da unten. In Houston werden sie Michael Collins ein bisschen ärgern, der da allein um den Mond kreist, und sagen: „Ich glaube, du bist so ziemlich der einzige Mensch, der das alles nicht im Fernsehen sieht.“Schon in Ordnung, es mache ihm nichts aus, antwortet Collins, aber wie denn die Fernsehbil­der so seien. Aus Houston kommt: „Es ist wunderschö­n, Mike. Wirklich.“

 ??  ?? Es geht los: Apollo-11-Kommandant Neil Armstrong (von rechts), Michael Collins (Pilot des Kommando-Moduls) und Buzz Aldrin (Pilot des Mond-Moduls) steigen in den Transport zum Komplex 39A, wo die Rakete auf sie wartet.
Es geht los: Apollo-11-Kommandant Neil Armstrong (von rechts), Michael Collins (Pilot des Kommando-Moduls) und Buzz Aldrin (Pilot des Mond-Moduls) steigen in den Transport zum Komplex 39A, wo die Rakete auf sie wartet.
 ??  ?? Florida, Cape Canaveral, 16. Juli 1969, 9:32 Uhr Ortszeit: Die Saturn-V-Rakete mit den drei Astronaute­n an Bord hebt planmäßig vom Kennedy Space Center ab.
Florida, Cape Canaveral, 16. Juli 1969, 9:32 Uhr Ortszeit: Die Saturn-V-Rakete mit den drei Astronaute­n an Bord hebt planmäßig vom Kennedy Space Center ab.
 ??  ?? Beginn des Landemanöv­ers: Die Mondlandef­ähre „Eagle“mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin an Bord, kurz nach der Trennung vom Columbia-Raumschiff, das von Michael Collins gesteuert wird.
Beginn des Landemanöv­ers: Die Mondlandef­ähre „Eagle“mit Neil Armstrong und Buzz Aldrin an Bord, kurz nach der Trennung vom Columbia-Raumschiff, das von Michael Collins gesteuert wird.
 ??  ?? Der frühere US-Präsident Lyndon B. Johnson (Mitte, blauer Anzug) und der amtierende Vizepräsid­ent Spiro Agnew (rechts, mit Glas in der Hand) sind unter den Zuschauern des Starts im Kennedy-Space-Center.
Der frühere US-Präsident Lyndon B. Johnson (Mitte, blauer Anzug) und der amtierende Vizepräsid­ent Spiro Agnew (rechts, mit Glas in der Hand) sind unter den Zuschauern des Starts im Kennedy-Space-Center.
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Foto: Wilhelm Bauer

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