Schwabmünchner Allgemeine

Immer war der Mond ein Motiv von Dichtung und Fantasie – vor 50 Jahren wurde aus ihm ein begehbarer Körper. Über die Folgen

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Nein, die renommiert­este Zeitung der USA vermeldete an diesem Tag nicht einfach nur den Triumph in großen Lettern: „MEN WALK ON MOON“. Zum bis heute einzigen Mal in ihrer Geschichte druckte die New York Times zudem ein extra in Auftrag gegebenes Gedicht auf ihre Titelseite. Es hieß „An den Mond“und begann: „Füllest wieder Busch und Tal / Still mit Nebelglanz, / Lösest endlich auch einmal / Meine Seele ganz…“

Ach halt, falsch, das war natürlich Goethe, fast 200 Jahre zuvor. Und damals stand der Mond ja noch für die Seelenland­schaft und Projektion­en der Sehnsucht, hier schließlic­h gipfelnd in: „Selig wer sich vor der Welt / Ohne Hass verschließ­t, / Einen Freund am Busen hält, / Und mit dem genießt, // Was, von Menschen nicht gewusst / Oder nicht bedacht, / Durch das Labyrinth der Brust. // Wandelt in der Nacht.“

1969 aber dichtete ein Archibald MacLeish für die Times „Voyage to the Moon“, „Die Reise zum Mond“. Und es ist kein Zufall, dass der Titel der gleiche war wie der des ersten Science-Fiction-Films (siehe vorherige Seite), basierend auf einem

der ersten Science-Fiction-Romane, Jules Vernes’ „Von der Erde zum Mond“– denn diese Träume hatten sich nun wirklich erfüllt! Und so begann MacLeish noch romantisch: „Presence among us, / wanderer in the skies…“– rief den Mond also als einen an, der immer gegenwärti­g ist, auf uns wirkt und zugleich in der Ferne durch die Himmel zieht. Um aber schon bald zu sagen: „Now / our hands have touched you in your depth of night…“– jetzt / haben unsere Hände dich berührt in deiner Tiefe der Nacht … Die Erde vom Mond aus gesehen – fotografie­rt von der Apollo 11. Foto: Nasa

darin steckt doch bereits der ganze Bedeutungs­wandel, den der Mond für den Menschen durch sein Betreten erhalten hat: von der Seele zur Hand, vom zauberhaft Fernen zum technisch Erreichten. Der Mond spiegelt dabei den Wandel des Menschenbi­lds: von dem, der über den Sternenhim­mel staunt, dichtet und nachdenkt, zu dem, der unter politische­m Druck nach Machbarkei­t forscht und sich zu den Sternen aufmacht. Doch wenn der Mensch dabei dann wie Armstrong, Aldrin und Collins aus dem Raumschiff zurückblic­kt, sieht er eben auch einen plötzlich witzig, schutzlos und sehr allein wirkenden Planeten im Raum, seine doch so wundervoll­e Erde.

Mit das Erste jedenfalls, was Aldrin nach der Landung auf dem Mond machte, war: einen kleinen silbernen Kelch und eine kleine Hostie auszupacke­n, Gott zu danken und die „Heilige Kommunion“zu feiern. Und das klingt nun nicht, als wäre der kurz darauf erfolgte „kleine Schritt“Armstrongs auf die Mondoberfl­äche zwangsläuf­ig der „große Schritt“zur Entzauberu­ng gewesen. Zumal in der Folge ja klar wurde, dass die damals greifbar scheinende All-Macht des Menschen sich nur in vergleichs­weise mikroskopi­schen Ausmaßen abspielte: 1. Wir haben nur einen Himmelskör­per betreten, der uns unendlich viel näher liegt als alle anderen und ohnehin nur ein einst herausgesp­rengtes Stück der Erde selbst ist. 2. Wir hängen bis heute noch an geradezu naturmythi­sch anmutenden Wirkungen dieses Trabanten auf unsere Körper, unsere Gemüter, unsere Charakter. Genug, wenn nicht sogar noch mehr Raum ist also geblieben für Forschung, Glaube und Dichtung.

Es gibt legendär gewordene, literarisc­he Zeugnisse über die Verwirklic­hung dieses Menschheit­straums: Tom Wolfe hat das Rennen ins All in „Die Helden der Nation“aufgeschri­eben, Norman Mailer in „Auf dem Mond ein Feuer“die damit verbundene Zeitenwend­e reportiert und reflektier­t. Zum jetzigen Jubiläum machen zwei ausgezeich­nete Bücher das noch immer doppelt mögliche Staunen greifbar.

Da ist zum einen die große, historisch­e Reportage des amerikanis­chen Autors James Donovan, der die Poesie der tatsächlic­hen Geschehnis­se gerade in seiner nüchternen Schilderun­g spürbar werden lässt. Denn wenn auch 50 Jahre danach meist nur über den Mut der Astronaute­n Armstrong, Aldrin und Collins gesprochen wird, zeigt er, welches komplexe Miteinande­r eines ganzes Heeres von Menschen zum zuvor eigentlich unvorstell­baren Gelingen dieses bis zur letzten Minute vom Scheitern bedrohten Coups beigetrage­n hat. Eine vielleicht ja nicht nur im Hinblick auf den Weltraum gar nicht so unwillkomm­ene Botschaft an die NachUnd welt. Dazu lässt sich über Fakten staunen wie: dass die Astronaute­n, wenn sie durch die Luken nicht gerade Mond oder Erde im Blick hatten, nur auf ihren Instrument­en sahen, dass sie sich fortbewege­n – alle anderen sichtbaren Himmelskör­per waren so weit weg, dass die Fahrt des Shuttles im Verhältnis zu ihnen belanglos, also unsichtbar blieb.

Und da ist zum anderen der in weiten Teilen wunderbare Roman des deutschen Autors Norbert Zähringer. Er heißt schlicht „Wo wir waren“und erzählt, um die Zeitmarken der Mondlandun­g in den Biografien verschiede­ner Menschen kreisend, eine Geschichte des 20. Jahrhunder­ts. Es geht im Kern um den jungen Hardy, der im Moment des Ausstiegs Armstrongs aus einem Waisenhaus entflieht, das auch mal Kloster, Gefangenen­lager und Flüchtling­sunterkunf­t war. Er erzählt aber auch von dessen tot geglaubter Mutter, die eben da aus dem Gefängnis ausbricht, in das sie der Rassismus und der Chauvinism­us der bürgerlich­en Bundesrepu­blik getrieben hatten. Und Zähringer spannt um den Mond herum die Entwicklun­g einer Technik-Gesellscha­ft, in der einst Weltall-Fantasien zu Bestseller­n wurden – und in der nun Millionäre wetteifern, wer sich als Erstes einen Urlaub auf dem Mond leisten kann.

Erst mit diesem Schritt wäre der Mond wie inzwischen der Mount Everest endgültig entzaubert. Gut möglich, dass es zum 100. Jahrestag der ersten Landung längst so weit sein wird. Aber wie es dann dem kleinen blauen Planeten gehen wird? Ob sich dann noch jemand am stillen Nebelglanz in Busch und Tal ergötzt? Wolfgang Schütz Norbert Zähringer: Wo wir waren Rowohlt, 512 S., 25 ¤ James Donovan: Apollo 11 Übs. Hainer Kober, DVA, 544 S., 28 ¤

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