Conchita Wurst der Oper
Heute beginnen die Bayreuther Festspiele. Auftritt erhält nicht nur Frau Bundeskanzlerin, sondern auch eine Drag-Queen, ein Sänger in Damen-Outfit
Schrille Frauen und Männer tauchen ja immer mal wieder aufmerksamkeitsheischend auf dem Grünen Hügel auf. Hinter den Kulissen, auf der Bühne und im Publikum. Klappern gehört halt zum Handwerk auch von PR-Maschinerien. Nein, wir meinen jetzt natürlich nicht Frau Merkel, die sich auch dieses Jahr wieder angekündigt hat und bei ihrer Bayreuther Pilgerfahrt in der Königsloge thronen wird.
Wir meinen auch nicht das arme Sünderlein, das im Zentrum der diesjährigen Eröffnung und Neuinszenierung am heutigen Donnerstag steht: Tannhäuser. Auch er ein Pilger, er gen Rom – weil er lange Zeit – wie formulieren wir es ohne anzuecken? – sozusagen ausschweifend gelebt hat. Mit ihm ist es so: erst brünstig lieben, dann brünstig beten. Nein, diesen Außenseiter der Gesellschaft, in dem sich sein kompositorischer
Schöpfer Richard Wagner recht eigentlich gut spiegeln kann, den meinen wir auch nicht.
Aber dieser Tannhäuser, von Beruf ein Minnesänger übrigens, kriegt ja in der Neuproduktion regelrecht Konkurrenz. Und eben die mag manchem schrill erscheinen – wobei das nicht akustisch gemeint ist. „Le Gateau Chocolat“, was übersetzt „Schokoladenkuchen“bedeutet, weist eine profunde Bariton-Stimmlage auf, wenn er in was hermachenden DamenRoben auftritt.
„Le Gateau Chocolat“nämlich ist eine so genannte „Drag-Queen“, ein
Mann, der gerne in Frauen-Kostümen singt, hier im speziellen ein bekennender homosexueller Mann mit Vollbart und Brusthaar-Pullover. Also quasi so etwas wie eine Conchita Wurst der Oper, nur mit schwarzer Hautfarbe.
Bevor nun aber die Alt-Wagnerianer Gotteslästerung wittern und wähnen, sei insofern Contenance anempfohlen, als „Le Gateau Chocolat“zwar Teil der „Tannhäuser“–Premiere sein wird, aber nicht im Allerheiligsten, im Festspielhaus selbst singt. Statt dessen wird dieser Außenseiter, der auch schon in die Rolle der TannhäuserFreundin Elisabeth geschlüpft ist und „Dich, teure Halle, grüß’ ich wieder“ schmetterte, in der ersten Pause unten im Festspielhaus-Park die Stimme erheben. Am Fuß des Hügels also, gleich am Teich, neben dem „Tristan“-Spielplatz. Mal hören, was uns erwartet von einem, der wie Tannhäuser alle braven Konventionen erst mal meidet wie der Teufel das Weihwasser.
Dazu gehört natürlich auch die bürgerliche Identität. Sie ist nicht leicht herauszufinden. Gateau Chocolat heißt im wirklichen Leben wohl George Ikediashi, ist 36 oder 37 Jahre alt und bei nigerianischer Abstammung in Großbritannien geboren. Seine Bühnenkunst aber geht über die einer reinen Drag-Queen deutlich hinaus. In ihr verbinden sich Liederabend mit Kabarett und zeitgenössischer Oper. Zwischen Sydney und London ist der Mann in Tüll gefragt. Nun aber: Debüt am Grünen Hügel. Rüdiger Heinze